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Die Pflicht der gegenwärtigen Regierung wäre es gewesen, zuzugreifen
und schnell und entschieden zu handeln. Aber sie hat die Aufgabe der
Sozialisierung nicht um einen Schritt gefördert. Was hat sie in der
Ernährungsfrage geleistet? Sie spricht zum Volke: »Du musst hübsch artig
sein und Dich gesittet benehmen, dann wird uns Wilson Lebensmittel
schicken.« Das gleiche ruft uns Tag für Tag die gesamte Bourgeoisie zu,
und diejenigen, die sich noch vor wenigen Monaten nicht genug darin tun
konnten, den Präsidenten von Amerika zu beschimpfen und mit Kot zu
bewerfen, sie begeistern sich jetzt für ihn und fallen ihm
voller
Bewunderung zu Füßen - um Lebensmittel von ihm zu erhalten. Ja freilich!
Wilson und seine Genossen werden uns vielleicht helfen, aber sicherlich
nur in dem Maße und in der Form, als es den imperialistischen Interessen
des Ententekapitalismus entspricht. Jetzt beeilen sich alle offenen und
heimlichen Gegner der proletarischen Revolution, Wilson als den guten
Freund des deutschen Volkes anzupreisen, aber gerade dieser
menschenfreundliche Wilson ist es ja gewesen, der den grausamen
Waffenstillstandsbedingungen Fochs seine Billigung erteilt und dadurch
dazu beigetragen hat, die Not des Volkes ins unermessliche zu steigern.
Nein, wir revolutionären Sozialisten glauben keinen Augenblick lang an den
Schwindel von der Menschenfreundlichkeit Wilsons, der nichts anderes tut
und tun kann, als die Interessen des Ententekapitals in kluger Berechnung
zu vertreten. Doch wozu dient jener Schwindel, mit dem die Bourgeoisie und
die Sozialpatrioten jetzt hausieren gehen, in Wahrheit? Um das Proletariat
zu überreden und zu verleiten, die Macht, die es sich durch die Revolution
erobert hat, preiszugeben.
Wir werden nicht darauf hereinfallen. Wir stellen unsere sozialistische
Politik auf den granitenen Boden des deutschen Proletariats; wir stellen
sie auf den granitenen Boden des internationalen Sozialismus. Wir halten
es weder mit der Würde noch mit der revolutionären Aufgabe des
Proletariats für vereinbar, dass wir, die wir mit der sozialen Revolution
begonnen haben, an die Barmherzigkeit des Ententekapitals appellieren,
sondern wir rechnen auf die revolutionäre Solidarität und die
internationale Tatbereitschaft der Proletarier Frankreichs, Englands,
Italiens und Amerikas.
Und was für eine Revolution ist es denn eigentlich, die wir jetzt von den
Sozialisten Frankreichs, Englands, Italiens und Amerikas erwarten? [. ..]
wir können von dem Proletariat der Ententestaaten mit Fug gar keine andere
als eine soziale Revolution erwarten. Doch wie sind wir zu einer solchen
Erwartung berechtigt, wie können wir an das Proletariat der anderen Länder
die Forderung einer sozialen Revolution stellen, solange wir selbst sie
noch nicht gemacht haben ! Wir müssen also den ersten Schritt dazu tun. Je
schneller und entschiedener das deutsche Proletariat mit dem guten
Beispiel vorangeht, je schneller und entschiedener wir unsere Revolution
zum Sozialismus hin entwickeln, je schneller wird uns das Proletariat der
Entente folgen.
[...]
(aus: Karl Liebknecht, Was will der Spartakusbund?
Rede in den Unionsfestsälen in der Hasenheide in Berlin, 23. Dezember
1918, in: ders., Ausgewählte Reden und Aufsätze, Berlin (DDR) 1952,
S.505-520)
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
07.12.2024