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Bausteine zu Mode und Kleidung in der frühen Neuzeit (1350-1789)

Dekolletierung und aufgeschürtzte Brüste

Wilhelm Rudeck (1897, 2. Aufl.1905)

 
GESCHICHTE
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Wihelm Rudeck (1873-1913), ein deutschsprachiger Autor und Arzt  veröffentlichte neben mehreren Büchern über das Verhältnis von Medizin und Recht populäre Sachbücher zum deutschen Sittenleben, darunter eine "Geschichte der öffentlichen Sittlichkeit in Deutschland" (1897, 2. Aufl.1905). Darin befasst er sich in seinem dritten Kapitel auch mit der Kleidermode und dabei besonders mit der Mode des Dekolltierens im der ▪ frühen Neuzeit (1350-1789).

»Nachdem das ganze Mittelalter hindurch die Frauen Brust und Schultern verhüllt und nr den Hals unbedeckt gelassen hatten, kam im 14. Jahrhundert, also in der Zeit des Bürgertums, Mode auf, sich zu dekolletiieren. Bereits in der Mitte des Jahrhunderts trugen die Frauen den Ausschnitt so tief, daß man die halben Brüste sah. Und um die Weiße des Nackens und Rückens zur vollen Geltung zu bringen, wurden die wallenden Locken, wie sie bis dahin getragen worden waren, hochgebunden.

Vergebens versuchten die Behörden dieser Mode entgegenzuwirken und umsonst bemühten sie sich vorzuschreiben, wie tief der Ausschnitt sein und wieviel Fingerbreit das Kleid auf den Achseln liegen sollte. Die Mode ward gegen Ende des 14. Jahrhunderts dadurch noch anstößiger, daß die Taille hoch unter den Busen hinaufrückte. So wurde die Fülle des Busens noch verstärkt und unverhüllter als vorher getragen. In diese zeit fällt die Schilderung, die Hus in dem 18. Kapitel seiner "Historia et monumenta" von den Frauenkleidern entwirft: " Die Weiber trugen und tragen ihre Kleider oben an der Halsöffnung so ausgeschnitten und weit, daß beinahe bis an die Hälfte der entblößten Brüste überall jeder ihre leuchtende Haut offen erblicken kann, in den Tempeln des Herrn vor den Priestern und Geistlichen, ebenso wie auf dem Markte, aber noch viel mehr im Hause, und was noch von der übrigen Brust bedeckt war, das ist, wie schon vorher gesagt wurde, so hervorstehend künstlich vergrößert und hervorgeschoben, daß es fast wie zwei Hörner an der Brust erscheint."

Die Mode der hohen Taille herrschte noch das ganze fünfzehnte Jahrhundert hindurch. In demselben nahm auch die Entblößung ständig zu. Waren zu allen Zeiten die Arme bis zum Handgelenk völlig bedeckt gewesen, so kam jetzt die Mode der bloßen Arme auf. Der Dichter des Kittel erzählt in vollster Entrüstung, die Hauptlöcher seien so weit, daß die Achsel herausfliege und man unter dem Arm die Gruben sähe; die Brüste würden aufgeschürzt, daß man wohl einen Lichtstock darauf setzen könne. [...] Der Ausschnitt reicht vorn bis unter die Brust und hinten bis fast auf den Gürtel.

Die Chronisten, Dichter und Prediger jener Zeit sind voll Entrüstung über die Dekolletierung und geben ihren Gefühlen oft energischen Ausdruck. So sagte der 1481 verstorbene Augustiner Gottschalk Hollen zu Osnabrück über die Frauentracht: "So ist es gleichfalls gefährlich mir dem Feinde zu kämpfen, der ein Schwert aus der Scheide gezogen, aber viel gefährlicher ist es, wenn er viele gezogen, d. h. den Mantel ablegt, daß der Busen bis zu den Brüsten sichtbar wird, dann reizen sie die Männer um so mehr zur Unzucht." Noch am Ende des Jahrhunderts bricht Sebastian Brand in die Wort aus:

"Pfui Schand der deutschen Nation!
Was die Natur verdeckt will ha'n,
Daß man das blößt und sehen läßt."

In den Görlitzer Staturen 1460 wurde verordnet: "Item sollen Frauen und Jungfrauen ihre Röcke, Mäntel und alle andere Kleidung bis an den Hals machen lassen und vorn ganz zuknöpfen und ihr leinen Gewand Gewand darunter bedecken und verbergen." [...]

In Nürnberg verordnete der Rat am Ende des 15. Jahrhunderts, daß die Weiber vorn am Goller nicht tiefer als einen Querfinger breit unter dem Knorrlein am Halse, hinten eine halbe Viertelelle tiefer ausgeschnitten sein sollen.

In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ging in der Tat auch die Dekolletierung zurück, aber nicht infolge der behördlichen Verordnungen oder dank dem Einfluß der Reformation. Die Ursache war vielmehr eine ganz andere Bewegung der Mode. Seitdem die Männer sich von der widernatürlich engen Kleidung befreiten, strebt auch das Frauenkleid dahin, sich aller Fesseln und Hindernisse zu entledigen und naturgemäßer zu gehen. Die Taille sank von ihrer Höhe dicht unter den Brüsten herab an die ihr von Natur gegebene Stelle. Und als die Mode des Ausschlitzens und Unterlegens anderen Stoffes den allgemeinen Sieg davongetragen hatte, wurde auch der Brustausschnitt von dieser Bewegung ergriffen. Die Brust wurde nicht mehr entblößt wie früher, sondern mit einem besonderen Einsatz oder Bruststück bedeckt, der getreu seinem Ursprung anders gefärbt als das Kleid sein mußte.

Nach diesem entscheidenden Schritt wuchs auch das Leibchen immer höher, und bald drängte sich der Kragen des Leibchens bis unter das Kinn. So waren um die Mitte des 16. Jahrhunderts die Frauen überall verhüllt: die Moralisten hatten nichts mehr zu tadeln. Überall begegnen wir dem Lob der Ehrbarkeit der Frau. [...]

Nur die große Festkleidung, die Balltoillette behielt die Dekolletierung.

Im 17. Jahrhundert wich die völlige Verhüllung wieder der Dekolletierung. Der Ausschnitt ließ die Achseln mehr oder weniger bedeckt und senkte sich vor der Brust in einer Spitze oder Rundung herunter, so daß nicht selten die Hälfte der Brust entblößt wurde. Später ging der Ausschnitt in eine Höhe um Schultern, Rücken und Brust.

Um 1670 ward auch der Unterarm wieder bloß getragen.

Die Dekolletierung ergriff immer weitere Kreise, und so kam es, daß abermals aufs heftigste gegen sie geeifert wurde. So schrieb Caselius einen "Zuchtspiegel, das ist Nothwendige und sehr wohlgemeinte Erinnerung an das Chirst= und Ehrliebende Frawenzimmer in Deutschland" und klagte hier, daß viele Frauen aus lauter Uebermut und Ueppigkeit "ihre Hälse, Schultern und Brüste entblößen oder dieselben nur mit einem subtilen und gantz durchsichtigen Flor bedecken" und daß "auch arme Mägde, zweiffels ihne aus lauter böser Begierde und Mann=sucht, sich unterfangen, also einher zu treten." Im Jahre 1689 erschien die Schrift; Der gedoppelte Blasebalg der üppigen Wollust, nemlich die erhöhete Fontange und die bloße Brust, mit welchem das alamodische und die Eitelkeit liebende Frauenzimmer in ihrem eigenen und vieler unvorsichtigen Mann-Personen sich darin vergaffenden Herzen ein Feuer der verbotenen Liebes-Brunst angezündet, so hernach zu einer hellleuchtenden Flamme einer bitteren Unlust ausschlägt. Jedermänniglich, absonderlich dem Tugend und Ehrbarkeit liebenden Frauenzimmer zu guter Warnung und kluger Vorsichtigkeit vorgestellet und zum Druck befördert durch Ernestum Gottlieb, bürtig  von Beron." [...]


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Im 18. Jahrhundert gewann die Dekolletierung noch neue Seiten. Vor der Mitte der siebziger Jahre rückte der gerade Halsausschnitt so tief herab, daß eine auch nur mäßige Bedeckung des Oberkörpers hinreichte, die Brust nahezu gänzlich bloß zu legen. In den achtziger Jahren kamen sogar von England her in Deutschland Busengestelle, in den neunziger Jahren falsche Busen auf. "Die Damen haben", heißt es in dem Journal des Luxus, "die Sitte, durch wäscherne Anlangen ihren Armen Füllung und Rundung zu geben, auf etwas noch Substanzielleres angewandt, und sich statt der Busen, wenn die Natur die versagte, künstliche Stellvertreter von Wachs zugelegt, die so künstlich angepaßt und eingerichtet sind, daß Argus selbst mit allen seinen hundert Augen den kleinen, unschuldigen Betrug nicht bemerkt haben würde, wenn nicht ein unbescheidener Plauderer, der die neue Erfindung bei den Busenfabrikaten ausgekundschaftet hatte, durch eine öffentliche Bekanntmachung zum Verräter geworden wäre." Ja, selbst die natürlichen Busen kamen jetzt in Verdacht, falsch zu sein, so kunstvoll war Farbe und Geäder nachgeahmt. Da hatte die Spottlust selbstverständlich einen reichen und dankbaren Stoff. [..6

Noch tollere Orgien feierte die Dekolletierung in den griechischen Kostümen der Revolutionsepoche. Ein gleichzeitiger Berichterstatter schrieb: "Besuchen Sie einmal das Konzert im Theater de la rue Feydeau, und Sie werden von der Menge der Juwelen und Gold geblendet werden, womit die Damen bedeckt sind. Betrachten Sie diese brillanten Geschöpfe näher, und Sie werden leicht bemerken, daß sie entweder gar keine oder nur halbe Hemden tragen. Der ganze Arm, der halb Nacken, die ganze Brust ist bloß. Verschiedene haben ihren dünnen Florrock noch auf jeder Seite hinaufgeschützt, so daß sie auch noch die schöne Wade sehen sollen; kurz, die Inzedenz der Trachten dieser Impossibĺes ist unbeschreiblich. [...]"

Diese Pariser Kostüme à la greque fanden in Deutschland bald die vollste Nachahmung.«

(aus: Rudeck, 2. Aufl. 1905, S. 77-85)


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Nacktheit auf dem Rückzug

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 21.02.2022

 
   Arbeitsanregungen:
  1. Arbeiten Sie heraus, wie sich die Entwicklung des Dekolletierens vollzogen hat.
  2. Vergleichen Sie die Mode mit heutigen Erscheinungen?
  3. Wie beurteilen Sie aus heutiger Sicht, das Urteil, das der Verfasser darüber fällt?
 
      
 

 
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