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Studentenleben in der frühen Neuzeit (1350-1789)

Pennalismus

 
GESCHICHTE
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»Entwicklung der Universitäten im deutschsprachigen Raum
»Die frühe Neuzeit: Aufschwung des Universitätswesens

 ▪ Sozialdisziplinierung als Mittel der Staatsentwicklung
Johann Michael Moscherosch (1601-1669): Philander von Sittawald (ab 1640)

Deposition und »Pennalismus, "das spezifische Abhängigkeitsverhältnis der jüngeren von den älteren Studenten", bei dem die neu ankommenden Studenten während des so genannten Pennaljahres der fortwährenden Ausbeutung und Misshandlung durch ihre älteren Kommilitonen ausgesetzt waren, können beide als "Formen der Initiation" angesehen werden, die mit  zum Teil exzessiver Gewaltanwendung einhergingen. (Füssel 2005, S.2)

Beides passt auf den ersten Blick in eine Zeit, für die die allgemeine Verrohung der Sitten angesichts von Krisen, Hungersnöten und Kriegen immer wieder konstatiert wird. Und doch sind die beiden Phänomene kein bloßer Reflex auf solche historischen Umstände.

Während die Deposition, insbesondere nachdem sie zusehends in Regie und Verantwortung der Universitäten selbst übergegangen war, ein einmaliges »Initiationsritual war, das vor allem dazu diente, die Neulinge vor der Aufnahme in den besonderen Personenverband der Universität auf die Einhaltung ihrer Normen zu verpflichten, war der Pennalismus eine sich über Monate, manchmal auch Jahre hinziehende Erscheinung, die andauernde Schikane, Drangsalierungen, körperliche Misshandlungen und Psychoterror durch ältere Studenten (▪ Schoristen) bedeutete, denen sie dazu noch mit unzähligen servilen Dienstleistungen zur Verfügung zu stehen und sie immer wieder auch auszuhalten hatten.

Vor allem die Tatsache, dass sich die neuen Studenten den sich mehr und mehr formierenden nach der geografischen Herkunft organisierten und von den Studenten selbst verwalteteten »Landsmannschaften, nicht zu verwechseln mit den spätmittelalterlichen »nationes, anschließen mussten, wollten sie überhaupt über einen sozialen Rückhalt innerhalb der Studenten haben, erzwang die soziale Unterwerfung der Pennäler, deren Status als Student trotz Immatrikulation und Deposition sonst die soziale Anerkennung durch die Mitstudenten verweigert worden wäre.

Den Landsmannschaften diente die sich über das sogenannte Pennaljahr hinweg erstreckenden Demütigung der Pennäler dazu, ihren Korpsgeist einzuüben und zu festigen, auf dem der Zusammenhalt der Landsmannschaft beruhte. Dieser bot, so unterschiedlich dies sicher auch von jedem einzelnen betroffenen Pennäler erfahren worden ist, auch eine gewisse soziale Sicherheit, wenn man das Elternhaus verlassen und sich nicht mehr auf dessen Schutz verlassen konnte, wenn es einmal zu Auseinandersetzungen und Konflikten kam. Insofern kann das Pennalverhältnis auch als eine Möglichkeit gesehen werden, "neue Bindungen und Klientelverhältnisse aufzubauen

Die körperliche Demütigung diente zur Einübung eines Korpsgeistes, der den Zusammenhalt studentischer Zusammenschlüsse festigen sollte. Denn gerade die häufig auch räumlich von ihren angestammten familiären und sozialen Bindungen entkoppelten Studenten waren von den krisenhaften militärischen und ökonomischen Entwicklungen des 17. Jahrhunderts besonders betroffen.98 Das Pennalverhältnis konnte in diesem Zusammenhang dazu dienen, neue Bindungen und Klientelverhältnisse aufzubauen" (Füssel 2005, S.21) , die einem einen Platz in der neuen sozialen Umgebung sichern konnte.

"Mit dem »Acceßschmaus«", beschreibt Fabricius (1907, S.25)  das Pennaljahr, "feierten die Pennäle ihren Eintritt in die Landsmannschaft, während des Status trugen sie Pennalkleider, d. h. schlechte Kleider, die nicht zu dem üblichen Kleidertausch reizten, ohne die Abzeichen des Studenten wie Degen, Federn u. dgl.", in denen sie ihre "Fuchsdienste" genannten Dienste zu leisten hatten.


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In seinem  bekannten Werk "Der Academische Roman, worinnen das Studenten-Leben fürgebildet wird" aus dem 1690 (»google books) liefert »Eberhard Werner Happels (1647-1690) folgende Beschreibung der "schand- und schädlichen Pest" des Pennalismusd, wie man sich den Ablauf eines Pennaljahres, das meist ein Jahr, sechs Monate, sechs Tage und sechs Stunden  dauerte, und den Pennal- oder Fuchsenstatus vorzustellen hat:

"Denn wenn ein junger Student auf eine teutsche Akademie kam, musste er die ersten vier Wochen ein Fuchs heißen, er durfte nicht zu ehrlichen Studenten kommen, sondern musste auch in der Kirche seine Stelle in der sogenannten Fuchs-Ecke nehmen; er durfte keine hübschen Kleider tragen, der Mantel (Degen durften sie gar nicht anlegen) wie auch das Kleid und Hut musste alles alt, geflickt und zerrissen sein, kein Band war an ihnen zu sehen, je lumpenhafter ein Pennal ging, je ehrlicher hielt er sich. Wenn die alten Studiosi speisten, mussten die Pennalen vor den Häusern aufwarten, ob irgendeiner etwas zu befehlen hätte. Kamen alte Studenten zu ihnen, so mussten sie spendieren, vvas jene verlangten, durften aber nur einschenken und nicht trinken. Man zwang sie, unter den Tisch zu kriechen, zu heulen wie eine Katze oder ein Hund, ja den Speichel aufzulecken, und half kein Protestieren. Auf einer gewissen Akademie hat man einen Pennal gezwungen, so lange zu saufen, bis er eines plötzlichen Todes gestorben. [...] Wenn sie aber ihre Jahre ausgestanden hatten, alsdann kleideten sie sich zierlich und wurden absolviert. Aber sie durften sich nicht rächen wegen einer im Pennaljahr ihnen angetanen Injurie." (Academischer Roman, S.365f.)

Die sogenannte Absolution markierte das Ende des Pennaljahres und bedeute die Aufnahme in die Landsmannschaft als vollwertiges Mitglied. Dabei konnte es immer wieder vorkommen, dass der dabei zu bezahlende Absolutionsschmaus, als Pendant zum Accessschmaus zu Beginn, die finanziellen Möglichkeiten von Studenten deutlich überstieg. Aber offenbar störte sich, außer den Betroffenen, kaum jemand daran, weil "nicht zuletzt die Bürger und Professoren, bei denen die Studenten logierten, in nicht unerheblichem Maße Profit aus den Pennalschmäusen zogen." (Füssel 2005, S.22) Auf der anderen Seite scheint es aber auch immer wieder Fälle gegeben zu haben, dass insbesondere die ärmeren Studenten (pauperes) im Pennalverhältnis, beim "Famulieren", wie es Fabricius (1907, S.26) einmal nennt, eine Möglichkeit sahen, sich "wohlhabenden Studenten mit unterhalten" zu lassen "ohne dies als Almosen hinnehmen zu müssen."

Deposition und Pennalismus speisten sich sozialpsychologischen aus den gleichen Quellen und formten natürlich auch unter Studenten der frühen Neuzeit den Persönlichkeitstyp, den »Erich Fromm (1900-1980) sehr viel später als ▪ autoritären Charakter bezeichnet hat.

Blieb die Deposition eine weitgehende inneruniversitäre "Feierlichkeit". spielte sich der Pennalismus mitten in der Gesellschaft, in der Öffentlichkeit einer Universitätsstadt ab und führte damit auch immer wieder zu Gegenreaktionen, vor allem wenn die Studenten unter Alkoholeinfluss Randale machten oder ungefragt Hochzeiten und sonstige private Feste der Bürgerinnen und Bürger störten. Ja, es gibt sogar Berichte, wonach sich sie in Leipzig, Pennäler zu einer organisierten Diebesbande zusammengeschlossen haben sollen. (vgl. Füssel 2005, S.22)


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Wie sehr die städtische Gesellschaft auch moralisch Anstoß an den Auswüchsen von ▪  Deposition und Pennalismus genommen hat, zeigt unter anderem die Prosasatire ▪ "Philander von Sittewald" (ab 1640) von ▪ Johann Michael Moscherosch (1601-1669) auf. Darin bekommt der die Hölle besuchende Ich-Erzähler die für immer verdammten, aber, ohne jedes Bewusstsein für ihre Lage, sich noch immer ▪ ins Koma saufenden Schoristen und Pennäler zu Gesicht.

In einem Punkt unterscheiden sich Deposition und Pennalismus aber grundlegend. Die Deposition war nämlich im Gefüge des universitären Personenverbandes institutionalisiert und damit auch nur der Kontrolle durch die Universität unterworfen, die damit ihre ureigenen Normen und Verhaltensregeln durchsetzen wollte. Der Pennalismus hingegen war ein Versuch der Studenten, ihre Gemeinschaft selbst und zwar nach selbstgesetzten Regeln sozial zu regulieren.

Und genau dies war es im Kern auch, was neben allen sonstigen Auswüchsen und Umtrieben der Studenten, die den Universitäten und Städten zu schaffen machte, Gegenreaktionen evozierte, die auf die Abschaffung aller institutionalisierten und nicht-institutionalisierten Formen des Pennalismus der Landsmannschaften hinwirkten.

Jedenfalls versuchten die Universitäten selbst und der frühneuzeitliche Staat mit seinen Policey-Ordnungen auch immer wieder gegen studentische Umtriebe und den Pennalismus vorzugehen und erließen entsprechende Verbote. Für die Universitäten war dabei stets gemeinsames Vorgehen angesagt, weil bei einem vereinzelten Vorgehen gegen den Pennalismus stets die Gefahr bestand, dass die Landsmannschaften geschlossen abwanderten, um woanders ihr Studium fortzusetzen. So machten denn Universitäten wie Wittenberg, Leipzig, Jena, Helmstedt, Marburg, Altdorf, Frankfurt an der Oder, Straßburg und Königsberg ab 1668 gemeinsame Sache, um im Verbund gegen den Pennalismus vorzugehen. (vgl. Füssel 2005, S.29)

Dass der frühneuzeitliche Staat  "es nicht dulden (konnte), daß irgend jemand außer ihm sich auch nur den Schein obrigkeitlicher Befugnisse" anmaßte, wie es die Landmannschaften immer wieder taten, "wenn sie Studenten bestraften (Verruf) oder ihnen Steuern und andere Leistungen vorschrieben" (Fabricius (1907, S.26), war das Verbot des Pennalismus auch eine günstige Gelegenheit für die weltlichen oder geistlichen Landesherrn "gegen das studentische Assoziationswesen vorzugehen und damit letztlich die korporative Autonomie der Universität weiter einzuschränken." (Füssel 2005, S.30)

Am Ende verständigten sich am 1. Mai 1654 mehrere evangelische Gesandte auf dem Reichstag in Regensburg auf einen gemeinsamen Entwurf zur Abschaffung des Pennalismus. Darin wurde festgehalten, "dass es ernstlich verboten seyn solle / denen neuankommenden Studenten heimlich oder öffentlich nachzustellen / sie auf der Gassen / oder in ihren Logiamenten / Stuben / Schenken und Wirthshäusern am Tisch / in Collegiis oder sonsten zu importunieren / zu exagitiren / oder zu beschimpften / noch ihnen die geringste Ausgabe zu denen also titulirten Pennal-Access-AbsoIvirStuben- oder Tisch-Schmäußen / es geschehe solches gleich unter dem Vonvand der National-Conventicul, welche hiermit / als unzulässig / abgeschafft seyn sollen / oder irgend unter einem ander Praetext, anzumuthen / vielweniger ihnen mit Bedrohungen / Schlägen und liberalibus ingeniis unanständlichen Diensten / zusetzen / noch sonsten auf andere Wege sich zu ihnen nöthigen" (zit. n. ebd.) Wer diese Anordnung missachtete, dem drohte Gefängnis oder die unehrenhafte Verweis von der Universität.

Nach und nach schlossen sich weitere Landesherren diesem Appell an, so dass der "klassische" Pennalismus der Landsmannschaften zu Beginn des 18. Jahrhunderts keine Rolle mehr spielte.

Die Aufmerksamkeit, die die neuen staatlichen Behörden im Zuge der ▪ frühneuzeitlichen Staatsentwicklung dem Pennalismus schenkten, hängt natürlich auch mit dem Bestreben der neuen Territorialherren danach zusammen, sich alle ▪ Schlüsselmonopole staatlicher Herrschaft zu sichern und damit auch die bis dahin herrschende ▪ Vielfalt sozialer Gruppen mit zahlreichen Sonderrechten und Lebensformen zu beseitigen.

In diesem lang anhaltenden Prozess musste sich zum eine eine staatliche Zentral- und Lokalverwaltung entwickeln, "die getragen wurde von den Fürsten als den Inhabern jener Staatsgewalt verpflichteten Beamtenschaft mit umfassender Regierungs- und Verwaltungskompetenz". (Schilling 1987, S.153). Zum anderen mussten alle anderen Personen und Institutionen, die traditionell (herrschaftliche bzw. staatliche) Gewalt ausübten, ausgeschaltet werden.

Dementsprechend gingen die neuen Landesherren auch gegen die korporative Autonomie der Universität vor und griffen mit ihrer ▪ Policey-Gesetzgebung sozialregulierend und sozialdisziplinierend in das Universitäts- und Studentenleben ein, ▪ verboten schon frühzeitig Auswüchse des Pennalismus, entzogen diesen damit auch der universitären Gerichtsbarkeit und zeigten auch den Korporationen der Studenten damit ihre Grenzen auf. Die Gründung von Landesuniversitäten und die Umwandlung bestehender Universitäten in Einrichtungen, die dem landesherrlichen Regiment als Konfessionsuniversitäten unterstanden, setzte diese Entwicklung fort.

Erst im 19. Jahrhundert kam im Zusammenhang mit der weiteren Ausdifferenzierung des Bildungswesens wieder eine studentische Gruppenkultur auf, die zur Bildung neuer sozialer Gruppen wie den »Burschenschaften führte, die etliche Rituale, die an ▪ Deposition und ▪ Pennalismus erinnern, wieder unabhängig von der Institution der Universität aufgenommen und praktiziert haben, um ihren Korpsgeist zu stärken. Je mehr sich die Burschenschaften nach ihrer progressiven Rolle, die sie im »Vormärz (18301848) mit »Wartburgfest (1817), »Hambacher Fest (1832) und anderen Aktionen  gespielt hatten, nach der gescheiterten »Revolution von 1848 dem Konservatismus zuwandten, desto größere Bedeutung haben solche rituellen Formen wohl wieder gewonnen.

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 ▪ Sozialdisziplinierung als Mittel der Staatsentwicklung

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 24.02.2022

 
 

 
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