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»Die frühe Neuzeit: Aufschwung des Universitätswesens
▪
Sozialdisziplinierung als Mittel der Staatsentwicklung
▪
Johann Michael Moscherosch (1601-1669): Philander von Sittawald (ab
1640)
Deposition und »Pennalismus,
"das spezifische Abhängigkeitsverhältnis der jüngeren von den
älteren Studenten", bei dem die neu ankommenden Studenten während
des so genannten Pennaljahres der fortwährenden Ausbeutung und
Misshandlung durch ihre älteren Kommilitonen ausgesetzt waren,
können beide als "Formen der Initiation" angesehen werden, die mit
zum Teil exzessiver Gewaltanwendung einhergingen. (Füssel 2005,
S.2)
Beides passt auf den ersten Blick in eine Zeit, für die die
allgemeine Verrohung der Sitten angesichts von Krisen, Hungersnöten
und Kriegen immer wieder konstatiert wird. Und doch sind die beiden
Phänomene kein bloßer Reflex auf solche historischen Umstände.
Während die Deposition, insbesondere nachdem sie zusehends in Regie
und Verantwortung der Universitäten selbst übergegangen war, ein
einmaliges »Initiationsritual
war, das vor allem dazu diente, die Neulinge vor der Aufnahme in den
besonderen Personenverband der Universität auf die Einhaltung ihrer
Normen zu verpflichten, war der Pennalismus eine sich über Monate,
manchmal auch Jahre hinziehende Erscheinung, die andauernde
Schikane, Drangsalierungen, körperliche Misshandlungen und
Psychoterror durch ältere Studenten (▪
Schoristen) bedeutete,
denen sie dazu noch mit unzähligen servilen Dienstleistungen zur
Verfügung zu stehen und sie immer wieder auch auszuhalten hatten.
Vor allem die Tatsache, dass sich die neuen Studenten den sich mehr
und mehr formierenden nach der geografischen Herkunft organisierten
und von den Studenten selbst verwalteteten »Landsmannschaften,
nicht zu verwechseln mit den spätmittelalterlichen
»nationes, anschließen mussten, wollten sie überhaupt über einen
sozialen Rückhalt innerhalb der Studenten haben, erzwang die soziale
Unterwerfung der Pennäler, deren Status als Student trotz
Immatrikulation und Deposition sonst die soziale Anerkennung durch
die Mitstudenten verweigert worden wäre.
Den Landsmannschaften diente die sich über das sogenannte Pennaljahr
hinweg erstreckenden Demütigung der Pennäler dazu, ihren Korpsgeist
einzuüben und zu festigen, auf dem der Zusammenhalt der
Landsmannschaft beruhte. Dieser bot, so unterschiedlich dies sicher
auch von jedem einzelnen betroffenen Pennäler erfahren worden ist,
auch eine gewisse soziale Sicherheit, wenn man das Elternhaus
verlassen und sich nicht mehr auf dessen Schutz verlassen konnte,
wenn es einmal zu Auseinandersetzungen und Konflikten kam. Insofern
kann das Pennalverhältnis auch als eine Möglichkeit gesehen werden,
"neue Bindungen und Klientelverhältnisse aufzubauen
Die körperliche Demütigung diente zur Einübung eines Korpsgeistes,
der den Zusammenhalt studentischer Zusammenschlüsse festigen sollte.
Denn gerade die häufig auch räumlich von ihren angestammten
familiären und sozialen Bindungen entkoppelten Studenten waren von
den krisenhaften militärischen und ökonomischen Entwicklungen des
17. Jahrhunderts besonders betroffen.98 Das Pennalverhältnis konnte
in diesem Zusammenhang dazu dienen, neue Bindungen und
Klientelverhältnisse aufzubauen" (Füssel 2005,
S.21) , die einem einen Platz in der neuen sozialen Umgebung sichern
konnte.
"Mit dem »Acceßschmaus«",
beschreibt Fabricius
(1907, S.25) das Pennaljahr, "feierten die Pennäle ihren
Eintritt in die Landsmannschaft, während des Status trugen sie
Pennalkleider, d. h. schlechte Kleider, die nicht zu dem üblichen
Kleidertausch reizten, ohne die Abzeichen des Studenten wie Degen,
Federn u. dgl.", in denen sie ihre "Fuchsdienste" genannten Dienste
zu leisten hatten.
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In seinem
bekannten Werk "Der Academische Roman, worinnen das Studenten-Leben
fürgebildet wird" aus dem 1690 (»google
books) liefert »Eberhard Werner Happels
(1647-1690) folgende
Beschreibung der "schand- und schädlichen Pest" des Pennalismusd,
wie man sich den Ablauf eines Pennaljahres, das meist ein Jahr, sechs Monate, sechs Tage und
sechs Stunden dauerte, und den Pennal- oder Fuchsenstatus
vorzustellen hat:
"Denn wenn ein
junger Student auf eine teutsche Akademie kam, musste er die ersten
vier Wochen ein Fuchs heißen, er durfte nicht zu ehrlichen Studenten
kommen, sondern musste auch in der Kirche seine Stelle in der
sogenannten Fuchs-Ecke nehmen; er durfte keine hübschen Kleider
tragen, der Mantel (Degen durften sie gar nicht anlegen) wie auch
das Kleid und Hut musste alles alt, geflickt und zerrissen sein,
kein Band war an ihnen zu sehen, je lumpenhafter ein Pennal ging, je
ehrlicher hielt er sich. Wenn die alten Studiosi speisten, mussten
die Pennalen vor den Häusern aufwarten, ob irgendeiner etwas zu
befehlen hätte. Kamen alte Studenten zu ihnen, so mussten sie
spendieren, vvas jene verlangten, durften aber nur einschenken und
nicht trinken. Man zwang sie, unter den Tisch zu kriechen, zu heulen
wie eine Katze oder ein Hund, ja den Speichel aufzulecken, und half
kein Protestieren. Auf einer gewissen Akademie hat man einen Pennal
gezwungen, so lange zu saufen, bis er eines plötzlichen Todes
gestorben. [...] Wenn sie aber ihre Jahre ausgestanden hatten,
alsdann kleideten sie sich zierlich und wurden absolviert. Aber sie
durften sich nicht rächen wegen einer im Pennaljahr ihnen angetanen
Injurie." (Academischer Roman, S.365f.)
Die sogenannte Absolution markierte das Ende des Pennaljahres und
bedeute die Aufnahme in die Landsmannschaft als vollwertiges
Mitglied. Dabei konnte es immer wieder vorkommen, dass der dabei zu
bezahlende Absolutionsschmaus, als Pendant zum Accessschmaus zu
Beginn, die finanziellen Möglichkeiten von Studenten deutlich
überstieg. Aber offenbar störte sich, außer den Betroffenen, kaum
jemand daran, weil "nicht zuletzt die Bürger und Professoren, bei
denen die Studenten logierten, in nicht unerheblichem Maße Profit
aus den Pennalschmäusen zogen." (Füssel 2005,
S.22) Auf der anderen Seite scheint es aber auch immer wieder Fälle
gegeben zu haben, dass insbesondere die ärmeren Studenten (pauperes)
im Pennalverhältnis, beim "Famulieren",
wie es Fabricius
(1907, S.26) einmal nennt, eine Möglichkeit sahen, sich
"wohlhabenden Studenten mit unterhalten" zu lassen "ohne dies als
Almosen hinnehmen zu müssen."
Deposition und Pennalismus speisten sich sozialpsychologischen aus
den gleichen Quellen und formten natürlich auch unter Studenten der
frühen Neuzeit den Persönlichkeitstyp, den
»Erich Fromm (1900-1980)
sehr viel später als ▪
autoritären Charakter bezeichnet hat.
Blieb die Deposition eine weitgehende inneruniversitäre
"Feierlichkeit". spielte sich der Pennalismus mitten in der
Gesellschaft, in der Öffentlichkeit einer Universitätsstadt ab und
führte damit auch immer wieder zu Gegenreaktionen, vor allem wenn
die Studenten unter Alkoholeinfluss Randale machten oder ungefragt
Hochzeiten und sonstige private Feste der Bürgerinnen und Bürger
störten. Ja, es gibt sogar Berichte, wonach sich sie in Leipzig,
Pennäler zu einer organisierten Diebesbande zusammengeschlossen
haben sollen. (vgl. Füssel 2005,
S.22)
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Wie sehr die städtische Gesellschaft auch moralisch Anstoß an den
Auswüchsen von ▪ Deposition
und Pennalismus genommen hat, zeigt unter anderem die Prosasatire ▪
"Philander
von Sittewald" (ab 1640) von ▪
Johann Michael Moscherosch (1601-1669) auf. Darin bekommt der
die Hölle besuchende Ich-Erzähler die für immer verdammten, aber,
ohne jedes Bewusstsein für ihre Lage, sich noch immer ▪
ins Koma saufenden Schoristen und Pennäler zu Gesicht.
In einem Punkt unterscheiden sich Deposition und Pennalismus aber
grundlegend. Die Deposition war nämlich im Gefüge des universitären
Personenverbandes institutionalisiert und damit auch nur der
Kontrolle durch die Universität unterworfen, die damit ihre
ureigenen Normen und Verhaltensregeln durchsetzen wollte. Der
Pennalismus hingegen war ein Versuch der Studenten, ihre
Gemeinschaft selbst und zwar nach selbstgesetzten Regeln sozial zu
regulieren.
Und genau dies war es im Kern auch, was neben allen sonstigen
Auswüchsen und Umtrieben der Studenten, die den Universitäten und
Städten zu schaffen machte, Gegenreaktionen evozierte, die auf die
Abschaffung aller institutionalisierten und
nicht-institutionalisierten Formen des Pennalismus der
Landsmannschaften hinwirkten.
Jedenfalls versuchten die Universitäten selbst und der
frühneuzeitliche Staat mit seinen Policey-Ordnungen auch immer
wieder gegen studentische Umtriebe und den Pennalismus vorzugehen
und erließen entsprechende Verbote. Für die Universitäten war dabei
stets gemeinsames Vorgehen angesagt, weil bei einem vereinzelten
Vorgehen gegen den Pennalismus stets die Gefahr bestand, dass die
Landsmannschaften geschlossen abwanderten, um woanders ihr Studium
fortzusetzen. So machten denn Universitäten wie Wittenberg, Leipzig,
Jena, Helmstedt, Marburg, Altdorf, Frankfurt an der Oder, Straßburg
und Königsberg ab 1668 gemeinsame Sache, um im Verbund gegen den
Pennalismus vorzugehen. (vgl. Füssel 2005,
S.29)
Dass der frühneuzeitliche Staat "es nicht dulden (konnte),
daß irgend jemand außer ihm sich auch nur den Schein obrigkeitlicher
Befugnisse" anmaßte, wie es die Landmannschaften immer wieder taten,
"wenn sie Studenten bestraften (Verruf) oder ihnen Steuern und
andere Leistungen vorschrieben" (Fabricius
(1907, S.26), war das Verbot des Pennalismus auch eine günstige
Gelegenheit für die weltlichen oder geistlichen Landesherrn "gegen
das studentische Assoziationswesen vorzugehen und damit letztlich
die korporative Autonomie der Universität weiter einzuschränken." (Füssel 2005,
S.30)
Am Ende verständigten sich am 1. Mai 1654 mehrere evangelische
Gesandte auf dem Reichstag in Regensburg auf einen gemeinsamen
Entwurf zur Abschaffung des Pennalismus. Darin wurde festgehalten,
"dass es ernstlich verboten seyn solle / denen neuankommenden
Studenten heimlich oder öffentlich nachzustellen / sie auf der Gassen / oder
in ihren Logiamenten / Stuben / Schenken und Wirthshäusern am Tisch
/ in Collegiis oder sonsten zu importunieren / zu exagitiren / oder
zu beschimpften / noch ihnen die geringste Ausgabe zu denen also
titulirten Pennal-Access-AbsoIvirStuben- oder Tisch-Schmäußen / es
geschehe solches gleich unter dem Vonvand der National-Conventicul,
welche hiermit / als unzulässig / abgeschafft seyn sollen / oder
irgend unter einem ander Praetext, anzumuthen / vielweniger ihnen
mit Bedrohungen / Schlägen und liberalibus ingeniis unanständlichen
Diensten / zusetzen / noch sonsten auf andere Wege sich zu ihnen
nöthigen" (zit. n.
ebd.) Wer
diese Anordnung missachtete, dem drohte Gefängnis oder die
unehrenhafte Verweis von der Universität.
Nach und nach schlossen sich weitere Landesherren diesem Appell
an, so dass der "klassische" Pennalismus der Landsmannschaften zu
Beginn des 18. Jahrhunderts keine Rolle mehr spielte.
Die Aufmerksamkeit, die die neuen staatlichen Behörden im Zuge der ▪
frühneuzeitlichen Staatsentwicklung dem Pennalismus schenkten,
hängt natürlich auch mit dem Bestreben der neuen
Territorialherren danach zusammen, sich alle ▪
Schlüsselmonopole staatlicher Herrschaft zu sichern und
damit auch die bis dahin herrschende ▪
Vielfalt sozialer
Gruppen mit zahlreichen Sonderrechten und Lebensformen zu
beseitigen.
In diesem lang anhaltenden Prozess musste sich
zum eine eine staatliche Zentral- und Lokalverwaltung entwickeln, "die getragen
wurde von den Fürsten als den Inhabern jener Staatsgewalt verpflichteten
Beamtenschaft mit umfassender Regierungs- und Verwaltungskompetenz". (Schilling
1987, S.153). Zum anderen mussten alle anderen Personen und
Institutionen, die traditionell (herrschaftliche bzw. staatliche)
Gewalt ausübten, ausgeschaltet werden.
Dementsprechend gingen die neuen Landesherren auch gegen die
korporative Autonomie der Universität vor und griffen mit ihrer ▪
Policey-Gesetzgebung ▪
sozialregulierend und
sozialdisziplinierend
in das Universitäts- und Studentenleben ein, ▪
verboten schon frühzeitig Auswüchse des Pennalismus, entzogen
diesen damit auch der universitären Gerichtsbarkeit und zeigten auch
den Korporationen der Studenten damit ihre Grenzen auf. Die Gründung
von Landesuniversitäten und die Umwandlung bestehender Universitäten
in Einrichtungen, die dem landesherrlichen Regiment als
Konfessionsuniversitäten unterstanden, setzte diese Entwicklung
fort.
Erst im 19.
Jahrhundert kam im Zusammenhang mit der weiteren Ausdifferenzierung
des Bildungswesens wieder eine studentische Gruppenkultur auf, die
zur Bildung neuer sozialer Gruppen wie den
»Burschenschaften führte, die etliche Rituale, die an ▪
Deposition und ▪
Pennalismus erinnern, wieder
unabhängig von der Institution der Universität aufgenommen und
praktiziert haben, um ihren Korpsgeist zu stärken. Je mehr sich die
Burschenschaften nach ihrer progressiven Rolle, die sie im »Vormärz
(18301848) mit »Wartburgfest
(1817), »Hambacher
Fest (1832) und anderen Aktionen gespielt hatten, nach der
gescheiterten »Revolution
von 1848 dem Konservatismus zuwandten, desto größere Bedeutung
haben solche rituellen Formen wohl wieder gewonnen.
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Sozialdisziplinierung als Mittel der Staatsentwicklung
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
24.02.2022