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Raum
»Die frühe Neuzeit: Aufschwung des Universitätswesens
In diesem Arbeitsbereich zum ▪
Studentenleben in der frühen Neuzeit
(1350-1789) sind verschiedene Aspekte zu diesem
Thema mit unterschiedlichen Materialien zusammengestellt.
In seiner
"Sittengeschichte des deutschen
Studententums" aus dem Jahr 1926 hat sich »Max Bauer
(1861-1932) mit de sogenannten Schoristen befasst.
»Waren die fürchterlichen und unwürdigen Qualen der
▪ Deposition
vorüber, so war aus dem Beanus der Fuchs, der Pennal, geworden, und
neue Foltern begannen, die sich auf ein bis eineinhalb Jahre
erstreckten.
Der Schüler 'kommt aus dem Vaterhaus, schüchtern und ungelenk, in
eine Welt wilder Gesellen. Mürbe gemacht durch Beschimpfungen,
Verhöhnungen, Vergewaltigungen fällt er seiner
Landsmannschaft zum
Opfer. Nun unterliegt er der Tyrannei der älteren Studenten, der
Schoristen, der Scherer', "weil sie den jungen Studenten die Haare abschoren, und sonst auch wacker schoren".[
...].
Manch einer der Füchse ist den Torturen seines Schoristen erlegen,
körperlich und seelisch zu Grunde gegangen. Im Jahre 1615 quälten
Jenenser Bursche einen armen Jungen, daß er in seiner Not zum
Fenster hinaussprang und den Hals brach. Die Schuldigen büßten nur
mit einer geringen Geldstrafe.
Ein Jahr, sechs Monate, sechs Wochen, sechs Stunden, sechs Minuten
währte diese Tortur. Dann mußte der Fuchs sich bei jedem einzelnen
Mitglied der Nation, der Verbindung, der sein bisheriger Quälgeist
angehörte, und der er beizutreten hatte,
"die Absolution" erbitten.
Er erhielt diese auf dem von ihm auszurichtenden
Pennalschmaus,
seinem Abschiedsessen vom Pennalstand. Hier wurden ihm nur noch die
Haare abgebrannt, dann konnte er selbst an Anderen vergelten, was er
selbst erduldet hatte. [
...].
Jetzt noch
einiges über die Schoristen, "diese Schandflecken des deutschen
Studententums", wie sie Huber nennt.
In einer akademischen Rede zeichnet sie um 1607 Professor Wolfgang
Heyder in seiner gewohnten drastischen Weise:
"Kommst du ohngefähr in seine Stuben, ich frage dich, was wirst du
für Hausrath finden, was wirst du finden? Erstlich zwar keine
Bücherlein (denn was hat dieser hitzige oder tolle Soldatenhahn mit
den kalten und verzagten Studien zu thun?), oder etliche wenige
unter die Bänke und in die Winkel verwegentlich geworfene, die von
Staub verwüstet, von Motten zerfressen und von Mäusen fast
aufgezehrt. Schauest du hin und her, du wirst sehen an der
Wand abhangen etliche Dolche, etliche Sticher, darunter ein Theil
nicht um drei Heller zu lösen sein, damit, wenn es Noth thut, er
solche den Rektoren einbändigen könne. Über dieses etliche Büchsen,
die er bisweilen in dem Losament oder in den Vorstädten zwischen
Häusern mit Schindeln gedecket und Scheuern mit Getreide bereichert,
los zu platzen sich gar nicht scheuet. Du wirst sehen Panzer oder
eiserne Händschuhen, damit der Riese nicht ungewappnet auf dem
Kampfplatz erscheine; auch Wämbster, die inwendig mit Baumwollen,
Werg, Haar oder Fischbeinen dick ausgefüllt und wohl vermachet sein,
damit, wenn es zur Faust gerathen. solche den Stich dulden können.
Du wirst sehen etliche Humpen und eine große Anzahl Gläser, welche
der neuen Gäste erwarten. Du wirst sehen Karten, Bretspiel, Würfel
und mehr Instrumente, das Geld samt der Jugend zu verderben.
Das
öffentliche Collegium besuchet er entweder niemals, oder gar zu
langsam; er höret keine Lektionen, damit er nicht in den Auditorien
wie ein Hund im Bade angetroffen werde. Nach Mittage schläfet
entweder das faule Murmelthier, oder sitzet in gemeinen Trinkzechen
und rüstet sich also zu den annahenden Nachts-Scharmützeln, daß man
auch zumal, wie tapfer und frisch er sich halten werde, abmerken
kann. Wenn es nun auf den Gassen, auch in den Gemachen still worden,
beides die Menschen in die Ruhe sich begeben, und die Vögelein unter
den Zweigen das Singen verlassen, und die Bestien in ihren Höhlen
schlafen, alsdann erhebet er sich mit großem Krachen der Pfosten und
Thüren, bricht los wo er gestecket, gewappnet und von seinem Jungen
begleitet. Dannzumal hast du ein wunderlich Schrecken- und
Trauerspiel zu hören, das rültzen, das grültzen, das rauschen, das
schreien, das wüthen, das Steinhauen und werfen, und viel mehr
Stücke, welche, so jemand aus den einäugigen Riesen thäte, würde
ganz Sicilia zusammenlaufen und den Schwärmer in ewiges Elend
verbannen...
Nachdem er nun in Akademien geschwänzet, gewühlet und gebahret, wird
er heirn, wiewohl ungern, berufen, es sei denn Sache, daß er
allbereit, wie gemeiniglich zu geschehen pfleget, wegen seiner
heroischen Tugend als ein pestilenzisches Glied mit Verweisung ist
abgeschnitten und von der Gesellschaft der Studenten verworfen
worden. Er scheidet von dannen, fast allezeit schattengelb, mager,
halbäugig, hinkend, zahnlos, mit Narben und Heften durch und durch
zerflicket. Und dieses sein die Belohnungen des ehrbaren und
engelischen Lebens.
Wenn er zu den Pforten des Vaterlandes eingegangen, ist er nicht so
kühn, vor das Gesicht der Eltern und Vormunden zu kommen, sondern
nachdem er aus einem Löwen zum Hasen worden, suchet für Angst
finstere Ecken, erblicket endlich Vorbitter, die Mutter, die
Schwestern, die Schwäger, die Verwandten, und durch solche Bitten
und Flehen erlanget er mit schwerer Not, daß er in des Vaters
Wohnung, so er die auf Universitäten nicht (auch) in sich gefressen
und gesoffen, darf kriechen, schnarchen und verborgen liegen. Er hat
kein Herz in etlichen Monden auf öffentlichen Gassen und Straßen zu
treten, Ursach weil er von jedermänniglichen verspeiet und
zerlästert wird. Nächst diesem wird er gezwungen, eine andere
Lebensart zu wählen ..."
Aus dieser und
anderen Reden Heyders führt Schöttgen in seiner "Historie des ehedem
auf Universitäten gebräuchlich gewesenen Pennalwesens" noch die
Schilderung des Tagewerks eines
Schoristen an: "Das öffentliche Kollegium besuchte er entweder
niemals oder gar zu langsam: er höret keine Lektionen. Bisweilen
lauschet er vor der Türe, keineswegs, daß er Notwendiges lernen
wollte, sondern damit er etliche Sprüchlein auffassen und darnach
unter seinen Rottburschen und
Zechbrüdern erzählen, der Professoren Stimme, Reden und Geberden
nachäffen und turn Gelächter befördern möchte. Bisweilen spazieret
er haußen auf dem Saal und redet mit seinen Gesellen von
Narrenpossen. Früh schläft das zarte Brüderlein bis um neun, darnach
aber, wo etwa Zeit bis zum Mittagsmahl übrig, bringet er solche zu,
die Haare zu kämmen, zu krümmen, zu putzen, zu reiben, nach Läusen
zu stellen, oder doch die Sauf-Pfinnen und Schwären in dem Gesicht
auszudrücken. Wenn er sich zu Tische gesetzet, frisset der Unmensch
wenig (denn der gestrige und rasende Rausch will es nirgends
gestatten, und, weil alle Sinne bestürzet, die Natur nicht leiden),
scherzet auch ein wenig (denn was kann für Höflichkeit in diesem
säuischen Leib und Seele wohnen?). Unterdessen aber schüttet er von
sich einen vollen Wust von tölpischen Stockereyen, von garstigen
Unflätereien und zwar dergestalt, daß, sobald er seine übelriechende
Goschen öffnet, alle Knaben und Mägdlein davonlaufen, damit sie
nicht von dem Atem des pestilenzhaftigen Siechen angesteckt werden.
— Nach Mittag schläfet entweder das faule Murmeltier und Meerkalb,
Oder wandelt mit seinem Jungen umher in dem nächsten Weydich, oder
sitzet in gemeinen Trinkzechen und rüstet sich also zu den
annahenden Nachts–Scharmützeln, daß man auch dazumal, wie tapfer und
frisch er sich halten sverde, abmerken kann. Derhalben, wenn er nun
sein Kloak mit Wein und Bier sehr wohl befeuchtet, und es auf den
Gassen, auch in den Gemächern still worden, alsdann erhebet er mit
großem Krachen der Pfosten und Türen, bricht los, wo er nur
gestecket, gewappnet, und von seinem Jungen begleitet. Da hat man
ein wunderlich Schrecken- und Trauer-Spiel von Rültzen, Grültzen,
Rauschen, Schreien, Wüten, Steinhauen und Werfen, und noch viel mehr
Stücke. — Wenn es ihm den Tag über in der Bulschaft unglücklich
ergangen; wenn zwischen ihm und seinen Saufbrüdern ein Zank
entstanden; wenn er an die Pflastersteine anstößet; wenn einer dem
andern antwortet, so flucht er sieben hundert tausend Sakramenter.
Wenn er einen Feind merket, so springet er mit Füßen an die Tore,
wirft mit Steinen in die Fenster, und schüttet allerhand
Schmähungen und Lästerungen aus... Wenn ihnen Prediger begegnen, so
gingen sie ihnen aus dem Wege und süchten eine andere Gasse.
Wenn man mit einer Leiche an einem Ort vorbeizog, woselbst
geschmauset ward, haben sie mit Trompeten ein Feldstückchen lassen
aufblasen. Wenn Professoren und andere wackere Leute
auf Hochzeiten und Ehrengelagen beisammen gewesen, haben sie
sich ungebeten eingefunden
mit Schreien, Saufen und anderen Unhöflichkeiten die Leute beschwert,
auch ihren Jungen allerhand Mutwillen gestattet. Die Bürger nannten
sie Bechert. — Was die Kleidung
derer Schoristen anbelangt, so war sie gut soldatisch, jedoch
nach der damaligen Mode.
Sonst gingen die
Studenten in Mänteln, fein ehrbar, wie man damals sagte. Allein
das kam ab, und ich halte, der damalige Dreißigjährige Krieg habe
zur Veränderung der alten Mode ein Vieles beigetragen. Sie trugen
alle einen Degen an der Seite, Feder auf dem Hute, Stiefel und
Sporen, Koller und Feldzeichen — (d. h. Schärpen in gewissen Farben,
die bekanntlich noch im Dreißigjährigen Krieg die Uniformen
vertraten). —
In der Hand trugen sie Stäbe und Spitzhämmer, hinter den Ohren einen
gekräuselten Zopf, und am Leibe ein zerschnittenes Wams ...
Daß solche Bursche zu allem fähig waren, ergibt sich von selbst.
"Daß
alle möglichen Tumulte, ja sogar Mordtaten bei diesem Unwesen
vorkamen, belegt Schöttgen noch ausführlich". Statt Tumulte
hätte Huber Verbrechen setzen können, die sich nun häufen. [...]
Die Marburger
Annalen von 1619 heben lobend hervor, daß in diesem Jahre kein
Totschlag verübt worden sei.
Johann Winckelmann,
Professor der Theologie, predigte 1599 in Marburg beim Begräbnis
eines Studenten, der eines nachts von einem andern erstochen worden
war: Ein Student soll nicht "fressen,
saufen, huren und Bubenspiel üben, schändliche, leichtfertige,
lotterbübische Reden führen, des nachts auf den Gassen jauchzen und
schreien, mit bloßen Waffen auf den Gassen tumultieren, Fenster
stürmen, andere Leute molestieren und verunruhigen. Das ist eine
solche Lust und Fröhlichkeit, daraus großer Unlust entstehet: Zorn,
Zank, Hader, Hauen, Balgen, Mord, Totschlag, Gefiingnis, Flucht,
Krankheit".
Man hatte sich
schließlich daran gewöhnen müssen in dem Schoristen und seinen
direkten Nachkommen die
Quintessenz aller üblen studentischen — burschikosen — Eigenschaften
zu sehn. Er war ein
Rüpel
ohne jede Erziehung, aller Herzensbildung bar. Jeglicher
Völlerei ergeben, ausschweifend in Liebe und Trunk, von keinerlei
Achtung vor der Wissenschaft bedrückt. Er vergeudet Gesundheit,
Verstand, Jugendkraft, selbst die geringen Kenntnisse, die er von
der heimatlichen Schule an die Universität gebracht hatte, ebenso
wie das Geld, eigenes oder entliehenes.
Bei solch geilen
Auswüchsen in den mit einander Schritt haltenden
Pennalismus und Schorismus,
die den Studentenkörper zu zerstören drohten, konnte nicht
ausbleiben, daß sich Universitätsbehörden zu irgend einem
Vorgehn gegen den
Pennalismus aufzuraffen suchten. Es blieb dabei aber meist nur
bei Worten, wenn auch mitunter sehr scharfen. So beißt es einmal:
"Durch diese schlimme Krankheit — des Pennalismus — dieser und
anderer Akademien wird wie durch pestartigen Brand und Krebs diese
Anstalt aufgerieben und schwindet zusammen. Wiewohl wir wiederholt
beschlossen haben, durch die allerschwersten Strafen ihre Urheber
wie faule Leichname vom gesunden und unversehrten akademischen
Körper abzuschneiden, unsere ernstesten Erlasse durch Gesetze
gefestigt und durch Strafen ausgerüstet haben, hat dennoch die
eisenfeste, ja stahlharte Bosheit bisher nicht unterdrückt werden
können, daß sie nicht alle Augenblicke gleichsam wie eine Flut
herausbräche". Man erinnerte die Studenten an ihren Eid, den sie auf
die Universitätsgesetze geleistet haben,
verbot ihnen, sich um die Nationen zu kümmern, drohte ihnen die
Relegation cum infamia für alle Zeiten.
Insbesonders waren
Jena und Rostock in Kampfesworten an
der Spitze, da auch bei ihnen der Pennalismus am ärgsten tobte. Noch
aber war die Zeit nicht urteilsreif, wie Beyer sagt, dem ich hier
folge. Wenn die
Kunde von dem wüsten Studentenleben wirklich einmal in weitere
Kreise hinausdrang, gedachte der Vater mit Lächeln seiner Jugend,
wie er es auch nicht anders getrieben. Die Zeit war eben dazu
geneigt, ziemliche Roheiten gelassen zu ertragen, als müßten sie so
sein. Ihre Nerven waren stark.
Wie Professor
Heyder unerschrocken der studentischen Barbarei zu Leibe ging, trat
auch wohl einmal ein Pastor auf, der in seiner Predigt ankündigte,
daß er am nächsten Sonntag den Schoristen ihr Unwesen vorhalten
würde. Dann fehlte es nicht an Drohungen, direkten und versteckten,
der Studenten. Aber die Predigt wurde dennoch gehalten. Sie deckte
rückhaltlos alle Schädlichkeiten und Gefahren auf, nahm auch die
stets vorgeschützten guten Zwecke der Nationen vor, "Hegung der
Freundschaft, Unterstützung der Armen, Pflege der Kranken,
Ausgleichung der Händel, Erziehung der Jugend", und zeigte
schlagend, daß das Gute längst vergessen und überall vom Bösen
verdrängt war. Die Hergenommenen waren ihm, wie er auf der Kanzel
offen aussprach,
Säurüssel, Vollfresser, Schlingochsen, Gassenräuber, Geilspatzen.
"So oft ich mich diesen Guckucken, die ihren eigenen Namen immerdar,
wiewohl über anderen im Schnabel führen, erinnere, kann ich mir
keine Scythen, Goten, Tartaren, Mohren, denn sie sind Menschen,
keine Wölfe, Bären, Basilisken, denn sie
sind Tiere, keine Asmodi, Beelzebub, Satan, Belial, Behemoth,
Leviathan, denn
sie sind Teufel oder des Teufels Figuren, vorbilden, sondern
weit häßlichere, garstigere und abscheulichere Dinger, daß auch in
der Armut deutscher Zungen kein Wort zu finden, so die Bosheit
genugsam ausspreche".
Solch ehrliches
Poltern hatte zunächst natürlich nur die Wirkung, daß in einer der
nächsten Nächte ein fürchterliches Geschrei sich vor dem Hause des
Geistlichen erhob, Flüche und Verwünschungen losgebrüllt wurden und
seine Fensterscheiben in Stücke brachen. Ja es kam vor, daß ein
derartiger Pastor beschimpft und in Gegenwart von Frau und Kindern
verprügelt wurde. Furchtloses Auftreten machte aber häufig dennoch
Eindruck, zumal wenn es einem größeren Kreis durch den Druck der
Anklage-Predigt bekannt gemacht worden war. Hier und da rüttelte
dies auch die Behörden aus ihrer Lethargie auf und zwang sie,
stärkere Saiten aufzuziehn.
Verbote allerschärfster Art ergingen, Strafen von unerhörter Härte
wurden angedroht, um schließlich alles so zu belassen, wie es
ursprünglich gewesen; denn den Studenten blieb stets das letzte
Wort. Wollten die Behörden anders wie sie, dann rüsteten sie
sich zum Abzug nach einer anderen Universität, und darob gab es
Heulen und Zähneklappern bei den Behörden, den Bürgern, nicht
zuletzt bei den Professoren.
So kann es
schließlich nicht Wunder nehmen, wenn der
Student einen Freibrief für alle erdenklichen Äußerungen des
Übermuts und der Torheit zu haben glaubte.«
(aus:
Bauer 1926,
S.82-89)
weiter mit: ▪
Studentenehen (Bauer
1926)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
06.12.2024