Johannes Scherr (1817-1886) hat in seiner "Deutschen Kultur- und
Sittengeschichte in drei Bänden" (1909) die Besoldungsverhältnisse
der Professoren an den Universitäten der ▪
frühen Neuzeit im 16. und 17.
Jahrhundert wie folgt beschrieben:
"Das Bestätigungsrecht der Universitäten war im Mittelalter beim
Papste gewesen. Die Protestanten anerkannten ein Bestätigungsrecht
des Kaisers, welches aber beim Wachsen der Territorialsouveränität
allmählich auf die Landesfürsten überging, wenigstens de facto. Zur
Reformationszeit gründeten mehrere deutsche Fürsten Hochschulen als
Stützpunkte der neuen Lehre, als deren Metropole lange Wittenberg
galt, wo Luther und Melanchthon lehrten. Aus der Stiftung von
Universitäten durch die Fürsten folgte, daß die an denselben
wirkenden Professoren als fürstliche Diener angesehen und als solche
bezahlt wurden, während sie früher auf das Honorar für ihre
Vorlesungen angewiesen waren. Die Gehalte waren indessen, auch wenn
man nicht den Maßstab der Einnahmen gesuchter Universitätslehrer
unserer Tage daran legt, sehr bescheiden, wobei freilich
berücksichtigt werden muß, einesteils, daß andere Beamte noch viel
schlechter bezahlt wurden (es gab z. B. Prediger mit 36 Gulden
Jahrgehalt), andernteils, daß die Lebensmittel durchschnittlich sehr
billig waren (in Wittenberg z. B. soll eine einzelne Person ihre
jährlichen Nahrungsbedürfnisse im Jahre 1507 mit 8 Goldgulden haben
bestreiten können). Der Gesamtetat der Universität betrug bloß 3000
Gulden jährlich, der von Wittenberg 3795 Gulden. Luther und
Melanchthon bezogen als dortige Professoren jährlich 200 Gulden, und
höhere Gehalte gab es nicht. Der erste Professor der juristischen
Fakultät hatte ebenfalls 200 Gulden, der zweite 180, der dritte 140,
der vierte 100 Gulden; der erste Lehrer der Medizin hatte 150, der
zweite 130, der dritte 80 Gulden; in der philosophischen oder, wie
sie damals hieß, »artistischen« Fakultät waren nur die beiden
Professoren der hebräischen und der griechischen Sprache jeder mit
100 Gulden besoldet, die übrigen erhielten nur 80, der Pädagog nur
40. An der Universität Wien hatte im Jahre 1514 ein Professor der
arabischen und der griechischen Sprache 300, ein Professor der
Medizin 150 Gulden Gehalt. Mit solchen Gehalten, wozu allerdings
noch die Kollegiengelder der Studenten und die
Disputationsremunerationen kamen, mußten die Professoren sich und
ihre Familien erhalten, und außerdem noch ihre Bedürfnisse an
Büchern bestreiten, denn für öffentliche Bibliotheken geschah nur
Spärliches; die Universitätsbibliothek zu Wittenberg durfte z. B.
jährlich für 100 Gulden Anschaffungen machen. Es ist daher kein
Wunder, wenn die gelehrten Briefwechsel damaliger Zeit von Klagen
über Armut, Hunger und Schulden wimmeln und die ganze gelehrte Welt
einen widerlichen Anstrich von Bettelhaftigkeit erhielt. Wer von den
Gelehrten zu ehrlich war, an fürstlichen Höfen den astrologischen
oder alchimistischen Schwindler zu machen, suchte sich mit
»Dedikationen« zu helfen. Das Dedikationswesen wurde dann auch so
weit getrieben, daß einige Gelehrte die einzelnen Kapitel ihrer
dickleibigen Bücher vermöglichen Privatpersonen und außerdem das
ganze Werk noch einem im Geruche des Mäzenatentums stehenden Fürsten
widmeten. Ein solcher war insbesondere der Herzog Albrecht von
Preußen, dem nachgerühmt werden muß, daß er für Wissenschaft und
Kunst einen teilnehmenden Sinn bewies und die zahllos an ihn
einlaufenden gelehrten Bettelbriefe selten ohne klingende Erwiderung
ließ. Freilich, die gelehrten Gaukler wußten sich trefflich zu
helfen, wie das Beispiel des Paracelsisten Leonhard Thurneysser
zeigt, den der Kurfürst Johann Georg von Brandenburg zu seinem
Leibmedikus bestellte, der ein Jahrgehalt von 1352 Talern bezog und
zudem mit Nativitätstellen, Kalendermachen und Goldmacherprojekten
so viel verdiente, daß er in prächtigen Kleidern einherging,
Edelknaben in seinem Dienste hatte, in einem Viergespanne fuhr und
in Berlin ein glänzendes Haus machte. Wer von den Gelehrten nicht
solche Thurneysserisch-weltmännische Eigenschaften besaß, den quälte
nicht nur des Lebens Notdurft, sondern es machten ihm auch alle jene
kleinen Leiden, Erbärmlichkeiten und Bosheiten schwer zu schaffen,
welche ja noch jetzt unter den gelehrten Herren unserer Hochschulen
zu Hause sind. Zur Brotnot kam der kleinlichste Brotneid, und es
hatten insbesondere die jüngeren aufstrebenden Dozenten viel von den
alten Fakultätsherren zu leiden, welche den Senat oder das
sogenannte Konsistorium der Universität bildeten. Endlich war auch
schon zur Reformationszeit das in unseren Tagen so beliebte
Gemaßregeln akademischer Lehrer wohlbekannt, und den brutalsten Fall
dieser Art erlebte der Jenenser Theolog Striegel, welchen, weil er
seinem Kollegen Flacius gegenüber an der Melanchthonschen Auffassung
des protestantischen Lehrbegriffes festhielt, die Fürsten von Weimar
auf Anstiften des Flacius 1559 bei Nacht und Nebel wie einen Räuber
und Mörder aus dem Bette reißen und unter schandbarer Mißhandlung
seiner Frau ins Gefängnis führen ließen.
Die Zahl der Universitätslehrer war namentlich im 16. Jahrhundert
noch sehr beschränkt. Im Jahre 1536 hatte Wittenberg im ganzen
zweiundzwanzig Dozenten, Jena 1564 nur sechzehn, Königsberg bei
seiner Stiftung gar nur dreizehn. Demnach mußte auch der Kreis der
Universitätsstudien in damaliger Zeit klein sein. Auf den meisten
Hochschulen ging dem Anhören der Fachkollegien (Lektionen oder
Exerzitien nannte man sie) eine von den neu eintretenden Studenten
durchzumachende Lehrzeit in den sogenannten Pädagogien voraus, wo
insbesondere lateinische Grammatikalstudien getrieben wurden. Waren
diese überstanden, so empfing den Studierenden in den eigentlichen
Fakultäten eine ziemlich große Dürre. Denn auf den meisten deutschen
Universitäten wurde in der Theologie, mit gänzlicher
Vernachlässigung ihrer praktischen Teile und der Kirchengeschichte,
nur über Dogmatik und Exegese gelesen; in der juristischen Fakultät
über die Institutionen, den Kodex, die Pandekten und die kanonischen
Dekretalien; in der medizinischen über die Schriften des
Hippokrates, Galenus und Avicenna, wozu dürftige Notizen über
Anatomie, Diagnose und Pharmazie kamen; in der philosophischen über
einige griechische und römische Autoren, Dialektik, Moral,
Mathematik und Physik. Die Geschichte wurde fast gänzlich
hintangesetzt und auch da, wo sich etwa Lehrstühle dafür fanden,
höchst geistlos behandelt. In jeder Fakultät war jedem Dozenten der
Gegenstand seiner Vorlesungen, sowie die Anzahl und die Zeit der
Stunden, streng und bestimmt vorgezeichnet. Die akademischen Lehrer
konnten sich jetzt bei weitem nicht mehr so frei bewegen wie im
Mittelalter. Sie mußten sich in allem und jedem nach dem Willen und
Wohldünken ihrer fürstlichen Besolder richten, und daher sehen wir
seit der Reformation in der gelehrten deutschen Welt jenen
Professorenservilismus einreißen, welcher unserem Lande zu ebenso
großer Schande gereicht, als ihm hinwiederum die vielen Träger
wissenschaftlicher Selbständigkeit, Gesinnungstreue und
Freimütigkeit zur Ehre gereichen. Die sehr bedeutenden Lücken,
welche der enggezogene Kreis der akademischen Vorträge in der
Bildung der Studierenden ließ, suchte man durch häufige Deklamier-
und Disputierübungen nach Kräften auszugleichen. Die letzteren
mußten überhaupt häufig den Mangel einer wissenschaftlichen Presse,
wie unsere Zeit sie besitzt, ersetzen."
(aus:
Scherr, Johannes (1909):
Deutsche Kultur- und Sittengeschichte in drei Bänden, Zweiter Band: Das
Zeitalter der Reformation, 31.- 33. Tausend; Leipzig: Hesse und
Becker o. J., S. 154-156 online verfügbar
unter:
https://www.projekt-gutenberg.org/scherr/kultsit2/chap006.html)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
24.02.2022