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Für den Marxismus sind "Revolutionen gesetzmäßige Erscheinungen der Klassengesellschaft",
die sich "aus dem Zurückbleiben vor allem der sozialökonomischen
Verhältnisse ('Produktionsverhältnisse') hinter der
technisch-industriellen Entwicklung ('Produktivkräfte')" ergeben. Der
daraus entstehende Widerspruch, der sich als "ruckartige Nachholung verhinderter
Entwicklung" (Marx) zeigt, bringt die bisher unterdrückten Klassen als
Träger der neuen Produktivkräfte in den Kampf gegen die herrschenden
Klassen, die die überlebten Produktionsverhältnisse, besonders mit Hilfe
der Staatsgewalt, verteidigen", Die Revolution endet mit dem Sturz der
bisher herrschenden
reaktionären Klasse, "die revolutionäre Klasse erobert die
Staatsmacht, beseitigt die alten Produktionsverhältnisse und errichtet
ihre eigene Herrschaft. Insofern ist jede soziale Revolution zugleich eine
politische Revolution. Damit es zu einer Revolution und nicht zu einem
bloßen Putsch kommt, muss eine gesamtnationale Krise vorhanden sein:
"Zur Revolution genügt es nicht, dass sich die ausgebeuteten und
geknechteten Massen der Unmöglichkeit, in der alten Weise weiterzuleben,
bewusst werden und eine Änderung fordern; zur Revolution ist es
notwendig, dass die Ausbeuter nicht mehr in der alten Weise leben und
regieren können" (Lenin).
Proletarische Revolution unterscheidet sich von ihren bürgerlichen
Vorgängern dadurch, dass sie nicht eine alte durch eine neue
Klassenherrschaft ersetzen, sondern am Ende jede Klassenherrschaft
überhaupt beseitigen will (*Kommunismus). Deshalb ist es nach Marx die
wichtigste Voraussetzung einer sozialistischen Revolution, dass Wirtschaft
und Technik des jeweiligen Landes einen außerordentlich hohen
Entwicklungsgrad erreicht haben. Russland im Jahre 1917 erfüllte diese
Bedingung nicht. Daher hat Lenin die Oktoberrevolution als bloßen Beginn
einer *permanenten Revolution, als Signal zur *Weltrevolution verstanden.
Im übertragenen Sinne wäre die marxistische Revolutionstheorie durchaus
auch auf die friedliche Revolution 1989/90 in der DDR anwendbar; streng
genommen war dies dann aber keine Revolution, sondern eine *Konterrevolution.
"(aus:
Gesellschaft und Staat; Lexikon der
Politik (1995), S.695f.)
Karl Marx (1859): Die Ursache sozialer Revolutionen
"In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen
die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige
Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten
Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die
Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische
Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer
und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche
Bewusstseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen
Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess
überhaupt. Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein,
sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein
bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die
materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den
vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer
Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie
sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte
schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine
Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen
Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher
um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muss man stets unterscheiden
zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden
Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den
juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder
philosophischen, kurz, ideologischen Formen, worin sich die Menschen
dieses Konflikts bewusst werden und ihn ausfechten. Sowenig man das, was
ein Individuum ist, nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt, ebenso
wenig kann man eine solche Umwälzungsepoche aus ihrem Bewusstsein
beurteilen, sondern muss vielmehr dies Bewusstsein aus den Widersprüchen
des materiellen Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt zwischen
gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen
erklären. Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle
Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue
höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die
materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft
selbst ausgebrütet worden sind. Daher stellt sich die Menschheit immer
nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet wird sich stets
finden, dass die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen
Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozess ihres
Werdens begriffen sind. In großen Umrissen können asiatische, antike,
feudale und modern bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen
der ökonomischen Gesellschaftsformation bezeichnet werden. Die
bürgerlichen Produktionsverhältnisse sind die letzte antagonistische
Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, antagonistisch nicht im
Sinn von individuellem Antagonismus, sondern eines aus den
gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Individuen hervorwachsenden
Antagonismus, aber die im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft sich
entwickelnden Produktivkräfte schaffen zugleich die materiellen
Bedingungen zur Lösung dieses Antagonismus. Mit dieser
Gesellschaftsformation schließt daher die Vorgeschichte der menschlichen
Gesellschaft ab." (aus:
Karl
Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie. Vorwort (1859), in: Karl
Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 13, Berlin /DDR): Dietz 1971, S.8f.)
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