Es gibt keinen "richtigen" Führungsstil
Die Art und Weise, wie eine Lehrperson unterrichtliche Lehr- und
Lernprozesse strukturiert und steuert, ist u. a. von dem
Führungsstil abhängig, den sich eine Lehrkraft zu eigen gemacht hat.
Dabei ist mit dem Begriff Führungsstil eine Disposition der
Lehrperson gemeint, die sich prägend auf das konkrete
Führungsverhalten im Unterricht auswirkt und Voraussagen über die
Auswirkungen auf das Schülerverhalten ermöglicht; unabhängig von den
gewählten Unterrichtsverfahren (vgl.
Dubs 2009, S. 85)
Aussagen über die Auswirkungen, die der Führungsstil einer
Lehrperson auf das Lernen von Schülerinnen und Schülern hat, können
indessen nicht ohne Berücksichtigung zahlreicher Faktoren, die das
jeweils konkrete Setting, in dem das unterrichtliche Lehren und
Lernen stattfindet, gemacht werden.
Insbesondere die Annahme, dass ein sozialintegrativer
Führungsstil, "bei dem die Lehrkraft möglichst wenig lenkt und den
Lernenden mit grosser Wertschätzung begegnet" (Dubs
2009, S. 86), dem autoritären (direktiven) Stil oder dem
Laissez-faire-Stil (vgl.
Lewin, Lippitt & White 1939) grundsätzlich überlegen sei, ist
heutzutage in dieser Form nicht mehr haltbar.
Stattdessen wird heutzutage die Interdependenz und die
Wechselwirkung von Unterrichtszielen, Unterrichtsverfahren und den
schülerseitigen Gegebenheiten viel stärker betont und daraus der
Schluss gezogen, dass es keinen "richtigen" oder
situationsunabhängigen idealen Führungsstil gibt.
Faustregel, aber sehr differenziert
Was sich sagen lässt, kann mit einer "Faustregel" ausgedrückt
werden: Bei großer Wertschätzung der Schülerinnen und Schüler ist
-
stärker
strukturierter und gelenkter Unterricht im Zusammenhang von
einfacheren kognitiven Lernzielen bei ängstlicheren und
schwächeren Schülern erfolgreicher
-
bei
anspruchsvolleren kognitiven Lernzielen und Zielen im affektiven
und sozialen Bereich lernen stärkere Schüler mit indirektem
Lehrerverhalten besser
Förderliches Lernklima
in einem förderlichen Lernsetting ist entscheidend
Die wichtigste Erkenntnis: Der Lernerfolg von Schülerinnnen und
Schülern ist weniger von dem Ausmaß der Strukturierung und Lenkung
als von einem förderlichen Lernsetting einschl. dem Klassenklima und
besonders von der wertschätzenden Haltung der Lehrperson abhängig,
die sie dem / den Schüler/n gegenüber einnimmt.
Dementsprechend "[entscheidet] "nicht das Maß an Strenge oder
Liberalität [...] darüber, ob ein Unterricht gut ist, sondern die
Frage, ob die Lehrkraft Kontakt mit den Schülern herstellen und ihre
Aufmerksamkeit binden kann." (Bauer 2007,
S. 64f.)
Joachim Bauer
hat für die wertschätzende Haltung einer Lehrkraft den Begriff der
verstehenden Zuwendung entwickelt, bei der eine zu Spontaneität und
Authentizität fähige Lehrperson die Balance zwischen zwischen
verstehender Zuwendung und Führung halten muss.
"Verstehende Zuwendung bedeutet, den
einzelnen Schüler nicht nur unter dem Aspekt seines schulischen Könnens
(oder seiner schulischen Schwächen) zu sehen, sondern auch und vor allem
als Person, das heißt seine Motive, sein Bemühen, sein Verhalten, seine
emotionalen Stärken ebenso wie seine problematischen Seiten
wahrzunehmen. Dabei vermeidet sie Kränkungen, Demütigungen und
Bloßstellungen. Führung bedeutet die Notwendigkeit, Werthaltungen
zu vertreten, Ziele zu formulieren, Schüler zu fordern, als Lehrkraft
mutig zu diesen Forderungen zu stehen und Kritik zu üben, Schülerinnen
und Schüler dabei aber Mut zu machen und sie in ihren Anstrengungen zu
unterstützen." (Bauer
2007, S. 54)
Aus diesen und andern Gründen empfehlen Rolf
Dubs (2009, S. 91)
und andere Wissenschaftler, dass es vor allem darauf ankommt, eine
förderliche Lernumgebung herzustellen mit einem warmen und
ermunternden Klassenklima und einem Unterricht, der
situationsgerecht die ganze Bandbreite direkten und indirekten
Lehrerverhaltens zur Steuerung und Begleitung der Lernprozesse
einbringt. (vgl. Dubs
2009, S. 91)
Best Practise: Direkter und indirekter Führungsstil und Lernberatung
Im Unterricht kommt es lehrerseitig vor allem darauf an, den
eigenen Führungsstil situationsgerecht zu variieren.
Neben direkten und indirektem Lehrerverhalten bekommt,
insbesondere auch im kompetenzorientierten Unterricht mit dem Ziel
selbständigen Lernens, der förderlichen Begleitung des Lernens der
Schüler in Form einer Lernberatung besonderes Gewicht.
Auch beim selbständigen Lernen dürfen sich die Lehrpersonen aus
dem Lernprozess nicht "ausklinken" und sich aus dem
Unterrichtsgeschehen zurückziehen. Sie müssen sich, auch wenn
▪
Gruppenunterricht und Kleingruppenarbeit stattfindet, um die
selbständig arbeitenden Schülerinnen und Schüler kümmern, sie
"ständig beobachten und ihnen bei Problemen beistehen, nicht aber in
der Form des Darbietens (Lösungswege aufzeigen, Arbeitsabläufe
vorgeben usw.), sondern in dem sie beim Lernen beraten." (Dubs
2009, S. 92)
Durch Beobachtung der Schüler Erkenntnisse über individuelle
Lernprozesse gewinnen
Hofmann/Moser (2002, S.76f.) haben einen "Fragenkatalog
zur Rekonstruktion individueller Lernprozesse" erarbeitet, der verschiedene
Gesichtspunkte umfasst, über die ein Lehrer bzw. eine Lehrerin Informationen
sammeln kann, während er die Schüler in ihrem Lernprozess beobachtet.
Dabei kann sich das Augenmerk auf verschiedene Aspekte des
Lernprozesses richten:
Scaffolding als Konzept
für unterstützendes (beratendes) Lehrerverwaltung beim selbständigen
individuellen oder kooperativen Lernen
Die Lernberatung kann
sich auf das von
Wood, Brunner & Ross (1976) formulierte Konzept des
Scaffolding stützen.
Als
Technik unterstützenden Lehrerverhaltens versteht
Dubs (2009, S. 93)
darunter eine selbständige individuelle oder kooperative
Lernprozesse begleitende Lernberatung, bei der die Lehrperson "Anstösse
und Anregungen für die selbständige Konstruktion von Wissen sowie
zum Aufbau von Lern- und Denkprozessen (aber keine
Arbeitsanweisungen oder Lösungen) gibt."
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.04.2021
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