Gelenkte Fantasien oder gelenkte Tagträume
Fantasiereisen, manchmal auch
gelenkte Fantasien oder
gelenkte Tagträume
genannt, "führen in unsere innere Welt, bringen uns in Kontakt mit
unseren Vorstellungen und Phantasien. Die auftauchenden Bilder, Töne oder
Empfindungen eröffnen uns neue Sichtweisen und geben Perspektiven für das
Handeln in der Außenwelt." (Teml
41994, S.5)
In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
wurde das Konzept der
Fantasiereise im Kontext von »Gestaltpädagogik und
»Superlearning
(Suggestopädie) und in den
achtziger Jahren als wichtiges Verfahren ganzheitlichen Lernens allgemein
anerkannt.
Heutzutage werden Fantasiereisen im Unterrichtsalltag häufig auf ein Verfahren
reduziert, "mit dem Phasen der Ruhe
und Entspannung in das Unterrichtsgeschehen eingebaut werden." (Mattes
2002, S.42) Doch damit ist das Potential der Fantasiereise bei weitem
nicht erschöpft.
Grundlegende Zielorientierungen der Fantasiereise
Das Konzept zielt im Allgemeinen auf eine
ganzheitliche Erziehung und fördert eine meditative Grundhaltung, welche die
Innenwelt des Einzelnen als ebenso wichtig wie seine Außenwelt nimmt.
Fantasiereisen werden gewöhnlich unter drei verschiedenen
Zielorientierungen durchgeführt: Entspannung, Lernförderung und
Persönlichkeitsentwicklung.
Besonders
wichtig bei Fantasiereisen ist die Bildhaftigkeit der verwendeten Sprache.
Die verwendeten sprachlichen Bilder müssen so offen angelegt sein, dass sie
Imaginationen evozieren und Zugänge zu den je individuell verschiedenen eigenen
Vorstellungsbildern, Assoziationen, Gefühlen und Stimmungen ermöglichen sowie
Projektionen eigener Wünsche anregen.
Begriffe:
Imagination und Visualisierung
Die
Begriffe »Visualisierung
(Meditation) und Imagination, die im Zusammenhang mit
Fantasiereisen immer wieder fallen, bedeuten genaugenommen
Unterschiedliches. Sie lassen sich wie folgt voneinander abgrenzen: Während Imagination eine
eher "spontane, meist unbewusste Hervorbringung von Bildern" bedeutet,
bezieht sich der Begriff Visualisierung "auf die aktive Nutzung von
positiven Bildern." (vgl.
ebd.,S.13) Über den Bereich der Meditation hinweg wird Visualisieren
auch in der therapeutischen Praxis verwendet. In eine ganz andere Richtung
zielt der Begriff, wenn er als allgemeine Arbeitstechnik aufgefasst wird. (▪
Arbeitstechnik
Visualisieren).
Katathymes Bilderleben
Was die Fantasiereise erreichen will, nennt man auch
katathymes Bilderleben, bzw. »Symboldrama. Der Begriff
katathym (gr. katathýmios) bedeutet dabei
ursprünglich etwa "am Herzen liegend, erwünscht", wird aber in der
Psychologie auch verwendet für affektbedingt, wunschbedingt oder durch
Wahnvorstellungen entstanden. Katathymie
steht für Beeinflussung des Denkens, Wahrnehmens oder Erlebens durch
affektbedingte und gefühlsmäßige Einflüsse. (vgl. DUDEN. Das große
Fremdwörterbuch, 3. überarb. Aufl. 2003). (»Katathym-imaginative
Psachotherapie - KIP)
Als psychotherapeutisches
Konzept geht es auf »Hanscarl Leuner
(1919-1996) zurück, der das Konzept in den
fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts bei seinem Studium
tiefenpsychologischer Auffassungen von »Sigmund Freud
(1856-1939) und »C. G. Jung
(1875-1961) entwickelte. Im Unterricht kann es, vernünftig und professionell eingesetzt,
als Angebot zur Selbstreflexion und zum Dialog darüber dazu beitragen, den
Wahrnehmungs- und Erlebnishorizont des einzelnen zu erweitern.
Tiefenpsychologische Deutungen gehören allerdings nicht dazu.
Da das katathyme Bilderleben in seinen drei verschiedenen Stufen immer
wieder auf bestimmte Standardmotive zurückgreift, lassen sich diese auch für
den Unterricht bei der Gestaltung von Fantasiereisen nutzen. Solche Motive
sind z. B.
Sie lassen sich bei
Beachtung der Tatsache, dass es bei der unterrichtlichen Verwendung niemals
um tiefenpsychologische Deutungsversuche handeln kann, mit etwas Erfahrung
auch bei Fantasiereisen im Unterricht verwenden. Allgemeine Voraussetzung
aber dafür ist, ein "positives
Erziehungsklima, das von zwischenmenschlicher Wärme, einfühlendem Verstehen
und Offenheit" geprägt ist. (vgl.
Teml
41994, S.9) Wenn man die Standardmotive etwas genauer betrachtet, werden die
Möglichkeiten und Grenzen, die mit ihrer Imagination verbunden sind,
deutlicher:
-
Das
Motiv der Wiese
wird häufig als einleitendes Motiv genutzt. Mit diesem Vorstellungsbild
lässt sich offenbar besonders gut eine aktuelle Stimmungslage bzw.
Gestimmtheit imaginieren. Ebenso gehen von ihm Impulse für andere Motive
aus, insbesondere auch dann, wenn sich der "Fantasiereisende" auf der Wiese
bewegt und alle Sinne für seine Wahrnehmungen aktiviert.
-
Das
Motiv des Berges dient zur Imagination von Vorstellungsbildern, die sich mit dem Thema
Leistung beschäftigen. Drei Bereiche lassen sich dabei differenzieren:
Anstieg, Rundblick und Abstieg. Sie lassen unterschiedliche
Vorstellungsbilder zu. Der Aufstieg symbolisiert dabei stets die mit
einem Ziel verbundene Anstrengungen und/oder die Schwierigkeiten bei der
Erbringung einer bestimmten Leistung. Auf der Spitze des Berges lässt der
dort mögliche Rundblick einen Überblick über
die eigene psychische Verfassung und emotionale Gestimmtheit zu. Auf dem
Abstieg schließlich kann der einzelne besonders
gut erfahren, was er vollbracht hat, und damit eine Ich-Stärkung erleben.
Genauso gut aber kann der Abstieg auch mit sozialem Abstieg in Verbindung
gebracht werden und damit eine ganze andere Wirkung besitzen.
-
Der
Bach steht als Motiv für
Lebenskraft und sein Fließen drückt den Fluss der psychisch-emotionalen
Entwicklung des einzelnen aus. Dabei macht es bei den Vorstellungsbildern,
die mit dem Motiv des Baches zusammenhängen, natürlich einen Unterschied, ob
man dem Bachlauf aufwärts bis hin zu seiner Quelle oder abwärts bis hin zu
seiner Mündung ins offene Meer folgt. Je größer die Schwierigkeiten bei der
Lösung dabei sind, desto größer sind dementsprechend die emotionalen
Konflikte.
-
Das
Motiv des Hauses
soll dazu verhelfen, die eigene Person auszudrücken. So lässt sich
damit, die eigene Selbstwahrnehmung "sichtbar", d. h. erfahrbar machen
oder, wenn es gewünscht ist, auch ein ideales Selbstbild visualisieren.
Da damit in therapeutischen Prozessen auch verborgene oder unbewusste
Triebtendenzen aufgedeckt werden können, sollte dieses Motiv erst nach
einigen Erfahrungen mit der Methode zum Einsatz kommen.
-
Der
Waldrand bietet als
Motiv die Möglichkeit, in der Vorstellung Symbolgestalten zu begegnen.
Dabei steht der Wald für das Unbewusste. Die Gestalten, die aus ihm
hervortreten, bringen in Kontakt mit diesem. Der Wald selbst wird, wegen
der darin herrschenden kaum kontrollierbaren Dynamik, dagegen nicht
betreten, um keine Widerstände bei der Begegnung mit dem Unbewussten zu
evozieren.
(vgl.
Reich, K. (Hg.): Methodenpool. In: url:
http://methodenpool.uni-koeln.de)
Fantasiereisen
in der Schule
Fantasiereisen in
der Schule beruhen auf Vorstellungsübungen, die möglichst alle Sinne
ansprechen sollen. Auf diese Wiese entstehen
-
visuelle Vorstellungsbilder
-
auditive Vorstellungen von
Klangbildern
-
kinästhetische Vorstellungen
von Körperempfindungen und Gefühlen
-
Vorstellungen des Geruchs- und
Geschmackempfindens
(vgl.
Teml
41994, S.13)
Grundsätzlich
sollen Fantasiereisen so konzipiert werden, dass sie verschiedene
Repräsentationssysteme ansprechen. Dabei kann der
Einbau von körperlichen Aktivitäten bei ihrer Aktivierung
unterstützend wirken. Zugleich sollten Affirmationen, das sind bejahende und bekräftigende Aussagen, positive Vorstellungen und Gedanken
verstärken können. Besonders wirksam sind
Metaphern
und bildhafte
Vergleiche, "die uns einen Sachverhalt auf neue Weise 'ein-sichtig'
machen." (Teml
41994, S.14)
Man kann Fantasiereisen offen oder geschlossen anlegen.
Offene Fantasiereisen geben der
Vorstellung großen Raum, ohne Einzelheiten vorzugeben,
geschlossene Fantasiereisen
dagegen geben einzelne Elemente verhältnismäßig genau vor (z.B. Elemente des
Raumes oder der Örtlichkeit).
Unerlässlich ist es bei schulischen Fantasiereisen, das, was die Fantasiereisenden auf ihrer "Reise" erlebt haben, anschließend
auf verschiedene Weise zu bearbeiten und damit zu thematisieren. Dies geschieht
gewöhnlich durch das
Darstellen oder das
Besprechen der gemachten Fantasieerlebnisse.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
12.11.2018
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