Der Alltagsbegriff: Von der Ausübung politischer Ämter bis hin zum
Absetzen von Tweets?
Unter
▪ politischer Beteiligung bzw. politischer
Partizipation (von lat. participare = teilhaben) wird im Alltagsgebrauch
oft verstanden, sich irgendwie politisch oder sozial zu engagieren.
Manch einer meint auch, dass ▪ politisches
Interesse schon als politische Partizipation aufgefasst werden kann.
Und manche sind sogar der Ansicht, dass das "Liken" bestimmter Informationen
im Web (Stichwort: »Clicktivism)
oder das Tragen eines Schriftzuges wie z.B. "Rettet die Wale" auf dem
T-Shirt schon zeige (Stichwort: »Slacktivism),
dass man nicht nur politisch interessiert, sondern auch willens sei,
politisch mitzumischen.
Allerdings gibt es auch in der Wissenschaft
heutzutage ernsthafte Stimmen, die angesichts der neuen
Online-Interaktionsformen, wie sie z. B. bei "liking" und "sharing" (Facebook) oder "favoriting" und "tweeting"
bzw. "retweeting" (Twitter) praktiziert werden, fordern, dass solche niederschwelligen Partizipationsformen zu einer Erweiterung bzw.
Neudefinition des Begriffs der politischen Partizipation führen müssten.
(vgl. Buchstein 1996,
Voss 2014,
Kneuer 2014, S.199f.)
Es gibt unserem Alltagsverständnis zufolge, wie das Schaubild in
einer Auswahl zeigt, vielfältige Möglichkeiten, sich politisch zu
beteiligen. Wird der Begriff allerdings wissenschaftlich definiert,
dann fallen manche der im Schaubild dargestellten Formen aus dem
Raster heraus.
Kaase
(1997, S.160) versteht unter Partizipation nämlich (nur) solche
Handlungen, "die Bürger freiwillig mit dem Ziel vornehmen,
Entscheidungen auf verschiedenen Ebenen des politischen Systems zu
beeinflussen."
Politische Partizipation - der wissenschaftliche Begriff
Die Politikwissenschaft
versteht unter unter politischer Partizipation allerdings (nur) solche
Handlungen, "die Bürger freiwillig mit dem Ziel vornehmen,
Entscheidungen auf verschiedenen Ebenen des politischen Systems zu
beeinflussen." (Kaase
(1997, S.160)
Wie
Decker u. a. (2013, S.36) betonen, liegen dieser Definition vier
wesentliche Elemente zugrunde:
-
Partizipation äußert sich
in Handlungen. Dementsprechend geht es dabei nicht darum,
welche Einstellungen jemand zur Politik bzw. politischen
Sachverhalten hat.
-
Die Beteiligung erfolgt
auf rein freiwilliger Grundlage und geht von den Bürgern
selbst aus.
-
Partizipationshandlungen
werden mit dem Ziel durchgeführt, politische
Entscheidungsprozesse zu beeinflussen. Das bedeutet, dass "rein
kommunikative oder passiv-unterstützende Handlungen" wie z. B.
Diskussionen über Politik am Stammtisch oder im Freundeskreis, das
Ansehen politischer Sendungen im Fernsehen oder das Lesen einer
Tageszeitung, das Zahlen von Steuern oder das Mitsingen der
Nationalhymne (vgl.
ebd.) sowie andere Formen des »Slacktivism,
wie z.B. den Schriftzug "Rettet die Wale" auf einem T-Shirt
herumzutragen, aus dem Raster politischer Partizipation herausfallen.
-
Partizipationshandlungen
sind i. e. S. politisch motiviert, das bedeutet, dass
soziales und gesellschaftliches Engagement i. w. Sinne nicht
darunter fällt.
Bürgerschaftliches und zivilgesellschaftliches Engagement
Eine derart strenge Definition wird indessen nicht von allen geteilt.
So werden politische Partizipationshandlungen und soziales und
gesellschaftliches Engagement auch häufig unter dem Oberbegriff
▪ bürgerschaftliches oder
▪
zivilgesellschaftliches
Engagement zusammengefasst. (vgl.
ebd.)
Verfasste und nicht-verfasste Formen der politischen Partizipation
Die verschiedenen Formen politischer Beteiligung können unter
verschiedenen Gesichtspunkten unterteilt werden, wobei die wichtigste
Unterscheidung die zwischen ▪
verfassten
und ▪
nicht-verfassten Beteiligungshandlungen
ist (vgl.
Decker u. a.
(2013, S.37) Dabei bedeutet
verfasst, dass die Einflusswege "institutionell verbindlich verankert
sind" (Kaase 1995a
S.522)
Zu den Partizipationspfaden, die "institutionell verbindlich
verankert sind" (Kaase
1995a, S.552), zählen die Teilnahme an Wahlen, Abstimmungen,
Volksbegehren, aber die Arbeit in den
▪
Parteien, die durch ▪
Grundgesetz
Artikel 21 und das »Parteiengesetz
von 1967 (neueste Fassung 2011) normativ geregelt ist. (▪
Parteienorientierte
Partizipation, vgl.
Uehlinger 1988, S.67-134))
-
Nicht-verfasst sind alle anderen politischen
Partizipationshandlungen, die sich jenseits des von Verfassung,
Gesetz und sonstigen rechtlichen Vorgaben abspielen. Bei ihnen sind
"der Zugang, der Rahmen und die Durchführungsbedingungen nicht in
Verfassung oder Gesetz festgelegt." (Kneuer
2013, S.7)
Hierzu können,
wenn man den Begriff des Politischen entsprechend weitet, auch die ▪
Formen
bürgerschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Engagements
gezählt werden. Die Bürgerinnen und Bürger können
Unterschriftenaktionen, Demonstrationen und andere Protestaktionen,
Boykotts, Streiks oder Hausbesetzungen natürlich freier gestalten,
zugleich aber sind der Aufwand, die Kosten, Folgen und
Verantwortlichkeiten solcher unverfasster Formen jedoch auch weniger
kalkulierbar. (vgl.
Westle 1994,
S.141-143, vgl.
Kneuer 2013,
S.7) Dazu gehören aber ▪ symbolische
und hedonistische Formen der Partizipation im Internet, die vom
"Liking" und "Tweeting" bis hin zur Beteiligung an einem "Shitstorm"
gehen können.
Statt von verfassten und nichtverfassten oder unverfassten Formen von
Partizipation kann auch von konventionellen und unkonventionellen
(vgl.
Westle 1994,
S.141-143, Kaase 1995a,
S.552, Kaase 1995b,
S.462f.., Kneuer
2013, S.7) bzw. von formellen und informellen Formen
gesprochen werden. Letztere Kategorisierung ist hingegen in
wissenschaftlichen Partizipationsforschung ungebräuchlich.
Eine aus den
1980er Jahren stammende Unterscheidung politischer
Beteiligungshandlungen stammt von Hans-Martin
Uehlinger
(1998, S.67-134, zit. n.
Kaase 1995b,
S.463f.). Danach lässt sich die politische Partizipation in die
folgenden 5 Formen einteilen:
E-Partizipation und E-Demokratie
Neben den herkömmlichen Formen der politischen Partizipation
haben sich auch durch die Entwicklung der neuen Informations- und
Kommunikationstechniken, insbesondere durch die Entwicklung des
Internets, inzwischen ganz neue Formen von politischer Partizipation
entwickelt, die unter der Bezeichnung ▪
E-Partizipation
zusammengefasst werden.
Dabei wird E-Partizipation oft eingeordnet in
ein neues Konzept von ▪
E-Demokratie, in dem die neuen Techniken eine herausragende Rolle
spielen. Dabei wird davon ausgegangen, dass das Internet wichtige
Funktionen im demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozess
übernehmen kann, z. B. Information, Kommunikation,
Interessenartikulation und Interessenaggregation sowie Entscheidung mit
Hilfe von Deliberation und durch Wählen oder Teilnahme an Abstimmungen.
(vgl. Hagen o.J..,Hagen
1997, zit. n.
Kneuer 2014, S.199)
Zwar zählt die E-Partizipation heute und wahrscheinlich auch in
absehbarer Zukunft nicht zu den am
weitesten verbreiteten Formen politischer Beteiligung, aber zugleich
kann festgestellt werden, dass das Internet "von den Deutschen zunehmend dazu eingesetzt
(wird),
um sich über Politik zu informieren, aber auch zu dem Zweck, über
unterschiedliche Online-Angebote politisch zu partizipieren." (Jungherr/Schoen
2013, S.53)
Doch dies gilt nicht für alle Bevölkerungsgruppen
gleichermaßen und es kann durchaus sein, dass die soziale Selektivität
durch die neuen E-Partizipationsformate sogar noch verstärkt werden
könnte.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
25.01.2020
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