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Bundestagswahl

Die Fünf-Prozent-Klausel

Sperrklausel für kleine Parteien


fachbereich Politik
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Eine Sperrklausel gegen kleinere Parteien als Mittel zur Stabilisierung des Parteiensystems in den Parlamenten

Das personalisierte Verhältniswahlrecht in Deutschland für die Wahlen zum ▪ Deutschen Bundestag sieht eine Sperrklausel vor. Sie beträgt im aktuellen Bundestagswahlrecht 5%, so dass sie auch Fünf-Prozent-Klausel genannt wird.»§ 6 Abs. 3 des Bundeswahlgesetzes regelt die Einzelheiten wie folgt: "Bei Verteilung der Sitze auf die Landeslisten werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5 Prozent der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben. Satz 1 findet auf die von Parteien nationaler Minderheiten eingereichten Listen keine Anwendung." Solche Parteien nationaler Minderheiten sind z.B. der »Südschleswigsche Wählerverband (SSW), der in Schleswig-Holstein an Wahlen teilnimmt, die »Lausitzer Allianz, einer Partei der »Sorben in Brandenburg und Sachsen und die seit 2007 in Niedersachsen bestehende Partei »Die Friesen, die sich als Partei einer nationalen Minderheit versteht.
Grundsätzlich gilt: Wer weniger als 5% der abgegebenen Zweitstimmen erhält, kommt nicht in den Bundestag. Allerdings gibt es eine Ausnahmeregelung, die wegen des →personalisierten Verhältniswahlrechts, dem Erst- und Zweitstimmensystem bei Bundestagswahlen, zustande kommt. Wenn eine Partei nämlich mindestens 3 Direktmandate über die Erststimme gewinnt, bekommen diese Kandidaten als Wahlkreissieger einen Abgeordnetensitz zugesprochen. Ist dies der Fall, dann wird aber auch der Zweitstimmen-Anteil dieser Partei berücksichtigt. Wenn eine Partei also nur 3,8% der Zweitstimmen erhalten hat, wird auch dieser Anteil, wie der aller anderen Parteien, die es über die 5%-Hürde geschafft haben, mit verrechnet. Genauso ist natürlich auch der Fall denkbar, dass eine Partei mit 4,9% an der 5%-Klausel scheitert, aber dennoch zwei Wahlkreissieger(innen) als Abgeordnete ins Parlament schicken kann. Ihr Zweitstimmen-Anteil wird aber in einem solchen Fall nicht mit berücksichtigt.
Die 5%-Klausel wurde bei der ersten Bundestagswahl 1949 noch für jedes Bundesland getrennt ermittelt, wird aber seit 1953 auf die bundesweit abgegebenen gültigen Stimmen bezogen. Bislang einzige Ausnahme: Bei den ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen nach der Wiederherstellung der nationalen Einheit im Jahr 1990 wurde die 5%-Sperrklausel getrennt für das westdeutsche und das ostdeutsche Wahlgebiet angewendet.

Das Ziel der 5%-Klausel ist es, eine für die Stabilität des politischen Systems in Deutschland für schädlich gehaltene Parteienzersplitterung im Parlament auf Bundesebene zu verhindern. Eine der Folgen davon ist, dass Parlamente und Wahlergebnisse "das politische Meinungsspektrum in Deutschland homogener erscheinen lassen als es ist." (Rudzio 2011, S.179)

Das Problem der verlorenen Stimmen

Grundsätzlich sind alle Stimmen, die für eine Partei abgegeben werden, die den Einzug ins Parlament verpasst, weil sie an der 5%-Klausel scheitert, verlorene Stimmen.

Der Wählerwille der Wählerinnen und Wähler, die sich für eine solche Partei entschieden haben, wird damit ignoriert.

Solange sich die Anzahl der verlorenen Stimmen insgesamt unter 5% der abgegeben gültigen Stimmen befand, verhallte der immer wieder aufkeimende Widerspruch gegen diese Regelung und insbesondere die Höhe der Sperrklausel vergleichsweise schnell, auch wenn in solchen Fällen gut und gerne 1,5 Millionen Wählerinnen und Wähler keine ihrem Willen gemäße Repräsentation im Bundestag fanden.

Bei der Bundestagswahl 2013 erreichten die verlorenen Zweitstimmen einen bis dahin nie dagewesenen Wert: 15,69% der abgegebenen gültigen Stimmen fielen einfach unter den Tisch. Die Stimmen von fast 7 Mio. Wählerinnen und Wähler wurden bei der Sitzverteilung im Parlament weg- und den anderen Parteien hinzugerechnet.

Verlorene Stimmen bei den Bundestagswahlen nach der Wiederherstellung der Einheit 1990-2013

 

Gültige Zweitstimmen

Davon unberücksichtigt

Unberücksichtigter Anteil

1953 27.551.272 1.803.026 6,54 %
1957 29.905.428 2.087.041 6,98 %
1961 31.550.901 1.796.408 5,69 %
1965 32.620.442 1.186.449 3,64 %
1969 32.966.024 1.801.699 5,47 %
1972 37.459.750 348.579 0,93 %
1976 37.822.500 333.595 0,88 %
1980 37.938.981 749.646 1,98 %
1983 38.940.687 201.962 0,52 %
1987 37.867.319 512.817 1,35 %
1990 46.455.772 3.740.292 8,05 %
1994 47.105.174 1.698.766 3,61 %
1998 49.308.512 2.899.822 5,88 %
2002 47.996.480 3.376.001 3 7,03 %
2005 47.287.988 1.857.610 3,93 %
2009 43.371.190 2.606.902 6,01 %
2013 43.726.856 6.859.439 15,69 %
2017 46.515.492 2.325.533 5,00 %

»Bundestagswahl 1990: Sonderregelung 5%-Klausel getrennt nach west- und ostdeutschem Wahlgebiet
(Quelle: Wikipedia, 28.01.2020)

Die Kontroverse um die Sperrklauseln

»Sperrklauseln gibt es in verschiedenen europäischen Ländern. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht 2011 entschieden, die Sperrklausel bei den Europawahlen auf 3% abzusenken. In den Kommunalwahlen ist in fast allen Bundesländern inzwischen die Sperrklausel abgeschafft. So können alle Parteien und Gruppierungen Abgeordnet in Kreistage und Stadt- und Gemeinderäte entsenden, wenn ihr Stimmenanteil für zumindest einen Sitz ausreicht.

Das Ergebnis der Bundestagswahlen vom September 2013 mit seinem Rekordwert von fast 7 Mio. unberücksichtigten Stimmen hat, zumindest unter Politikwissenschaftlern und Staatsrechtlern eine alten Diskurs wiederbelebt, der die verfassungsrechtliche und demokratische Legitimation der Sperrklausel ins Visier nimmt. Der Verfassungsrechtler »Hans Herbert von Arnim (*1939) spricht, insbesondere auf die Lage der "kleinen Großen" (2013: FDP 4,8% und AfD mit 4,7%) bezogen, in diesem Zusammenhang von "doppelten Verlierern", weil die von ihnen gewählte Partei nicht in den Bundestag gekommen ist, die von ihnen abgegebene Stimme aber denen zugute kommt, die in den Bundestag eingezogen sind. (Meiritz 2013)  

Im Diskurs um die Sperrklausel in Deutschland werden verschiedene Vorschläge zu einer erneuten Wahlrechtsreform gemacht. Sie reichen von der Absenkung der Sperrklausel auf 3% bis zur ihrer völligen Abschaffung. Zudem wird  die Einführung einer Nebenstimme bzw. Eventualstimme ins Spiel gebracht. Mit ihr hat ein Wähler/eine Wählerin sozusagen eine Zweitoption. Sollte die Partei, für die er sich mit seiner Hauptstimme den Einzug ins Parlament verpassen, ist die Stimme nicht verloren, sondern wird der mit der Eventualstimme gewählten Partei hinzugerechnet. Damit soll vermieden werden, dass der Wählerwille der ehemals verlorenen Stimmen nicht gänzlich untergeht und am Ende nicht sogar Parteien zu Sitzen im Parlament verhilft, für die sich ein solcher Wähler/eine solche Wählerin nie im Leben ausgesprochen hätte. 
Wie Kailitz (2013, S.11) erwähnt, ist der Vorschlag mit der Nebenstimme inzwischen dreißig Jahre alt und wird seitdem von dem Chemnitzer Parteienforscher »Eckhard Jesse (*1948) immer wieder, allerdings ohne größeres Echo bei den großen etablierten Parteien, vorgebracht. Aber auch unter namhaften Experten aus den Politik- und Rechtswissenschaften ist die Nebenstimme durchaus umstritten.

Ungeachtet der "Sieben-Millionen-Lücke" der verlorenen Stimmen bei der Bundestagswahl 2013 melden sich aber auch einzelne Vertreter in dem öffentlichen Diskurs zu Wort, die sich gegen eine Änderung an der Fünf-Prozent-Hürde aussprechen. Dazu zählt z. B. der Journalist und Autor »Joachim Käppner (*1961), der in der Süddeutschen Zeitung vom 30.09.2013 unter dem Titel "Rebellensperre" eine engagierte Verteidigung der 5%-Klausel vorträgt mit der Fragestellung: "Warum die Fünf-Prozent-Hürde gut und gerecht bleibt". Sein Ergebnis: "die Klausel hat sich bewährt. Sie verlangt von den Parteien nicht nur ein erhebliches Quorum an Stimmen, sie verlangt viel mehr: eine sehr ernsthafte Anstrengung, wirklich an der parlamentarischen Demokratie teilzuhaben. Sie ist der natürliche Feind aller One-Issue-Gruppierungen, an die sich dann die Protestwähler hängen. Sie möchte nicht, dass starrköpfige Regionalseparatisten, sich zur Rettung des Universums berufen fühlende Politmissionare oder D-Mark-Nostalgiker das Parlament als Bühne für ihre Einzelinteressen nutzen - es sei denn, es gelingt ihnen, gut organisiert und überzeugend genug zu sein, eine größere Anzahl von Wählern zu gewinnen, eben mit mindestens fünf Prozent."

Natürlich sei die Sperrklausel insgesamt der Tatsache geschuldet, dass das Grundgesetz von einer Angst vor dem Volk durchzogen sei, was sich auch beim Verzicht auf bundesweite Volksabstimmungen zeige. Dafür gebe es auch historische Gründe, die mit der "desaströsen Erfahrung der Weimarer Republik 1918 bis 1933" zusammenhingen, in der die "Bonsai-Parteien" eben doch insofern als "Sargnägel der Demokratie" fungierten, als sie die allgemeine Instabilität des politischen Systems weiter beförderten. Zudem müsse sich jeder, der nach den Erfahrungen der Bundestagswahl von 2013 an der Fünf-Prozent-Klausel rüttle, fragen lassen, "ob der Verlust an Stabilität den Gewinn an Gerechtigkeit  wirklich wert wäre." Und dabei verweist er auf das Recht jeder Demokratie, sich auch Regeln wie die Sperrklauseln zu geben. Ein Blick über die Grenzen und auf das angelsächsische Mehrheitswahlrecht, bei dem es nach dem Prinzip zugehe "the winner takes ist all" zeige, dass auch in anderen demokratischen Systemen bei Wahlen Stimmen verloren gingen, und das in einem weitaus höheren Maße als in Deutschland mit seiner 5%-Hürde. So zeigt Käppner wenig Verständnis dafür, dass ausgerechnet diejenigen, die bei uns meistens bloße Partikularinteressen vertreten würden, dass "solche Rebellen des Egoismus immer wieder als Stimmen des Bürgersinns wider die Abgehobenheit der politischen Klasse gefeiert" werden.

Videos im Internet

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 30.01.2020

     
    
   Arbeitsanregungen:
  1. Erläutern Sie, was Hans Herbert von Arnim unter "doppelten Verlierern" versteht.

  2. Informieren Sie sich über die Auswirkungen des angelsächsischen Mehrheitswahlrechts im Umgang mit "verlorenen Stimmen"-

  3. Diskutieren Sie das Pro und Contra der Fünf-Prozent-Hürde im Wahlrecht der Bundesrepublik Deutschland.

  4. Visualisieren Sie die Tabelle zu den unberücksichtigten Stimmen nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit von 1990 bis 2017.

  5. Gestalten Sie u. a. damit eine Infografik zum Thema.

  6. Führen Sie eine Umfrage zum Thema durch.

 
     
 

 
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