Seit der Verabschiedung des →Grundgesetzes im Jahr 1949
wird in der Öffentlichkeit immer wieder
über die Notwendigkeit der Ergänzung der
repräsentativen Demokratie in Deutschland um
direktdemokratische
Entscheidungsmöglichkeiten gestritten. Dabei geht es immer
wieder um die Frage der Einführung bundesweiter Volksentscheide.
Im Gegensatz zu einer Wahl, bei der es um die Vergabe von Mandaten an
Personen geht, stehen bei Volksentscheiden in der Regel konkrete
Sachfragen im Vordergrund.Fragen und Probleme
Grundsätzlich gibt es das Instrument des Volksentscheides schon auf der
Bundesebene, es ist dort allerdings im
Artikel 29 GG seit 1949
auf Fragen der geografischen Länderneuregelung begrenzt.
Die immer wieder geführte Debatte um Volksentscheide auf Bundesebene
dreht sich im Kern um die folgenden Fragen:
-
Was soll überhaupt von
den Bürgerinnen und Bürgern per Volksentscheid entschieden werden
können?
-
Wie soll ein
Volksentscheid herbeigeführt werden?
-
Unter welchen Bedingungen
ist das dabei zustande gekommene Abstimmungsergebnis für das
politische System als Ganzes, seine Organe und die unterschiedlichen
politischen Akteure bindend?
Der Volksentscheid als Mittel der Volksgesetzgebung
Dabei ist der Volksentscheid, in Deutschland häufig auch synonym mit
den Begriffen Volksabstimmung und Referendum verwendet, prinzipiell Teil
der so genannten Volksgesetzgebung.
Diese wird in Modellen der direkten Demokratie, in denen das Volk sich
quasi selbst regiert, gefordert.
Aber auch in den repräsentativen
Demokratien mit ihren Parlamenten und auf Zeit gewählten Abgeordneten, die weltweit
deutlich in der Überzahl sind, ergänzen verschiedene
Elemente der Volksgesetzgebung die repräsentativ
organisierten politischen Entscheidungsprozesse.
Im politischen System der Bundesrepublik ist die Volksgesetzgebung stets
als ein dreistufiges Verfahren realisiert. Es beginnt gewöhnlich mit
einem
Antrag auf ein Volksbegehren oder eine
Volksinitiative, wird dann mit dem
Volksbegehren fortgesetzt und schließlich mit dem
Volksentscheid (in Baden-Württemberg
Volksabstimmung genannt) beendet. Nach der Wiedervereinigung 1990
wurde die dreistufige Volksgesetzgebung in den 16 Bundesländern mit
unterschiedlicher Ausgestaltung eingeführt. Im Allgemeinen sieht das
dreistufige
Volksgesetzgebungsverfahren vor:
1. Stufe: Den Auftakt macht die
Volksinitiative. Dabei muss von den
Befürwortern für einen vorhandenen Gesetzentwurf eine zahlenmäßig
festgelegte, aber verhältnismäßig geringe Anzahl von Unterschriften
gesammelt werden, damit das Parlament sich mit der Angelegenheit befasst
und über eine Zulassung zum Volksbegehren entscheidet.
2. Stufe: Beim Volksbegehren muss innerhalb einer bestimmten Frist eine bestimmte
deutlich höhere Anzahl von Stimmbürgern ihre Unterstützung für das
Anliegen des Volksbegehrens kundtun, damit das Volksbegehren in das
Parlament eingebracht wird. Dies kann durch freie
Unterschriftensammlung, durch Amtseintragung auf Listen oder als
Kombination von beidem erfolgen.
3. Stufe: Zum abschließenden Volksentscheid, der in der Regel auf eine Ablehnung
des Volksbegehrens folgt, sind alle Stimmbürger aufgerufen sich an der
Abstimmung über den Gesetzentwurf zu beteiligen, um diesen anzunehmen
oder abzulehnen.
Erfahrungen mit dem Volksentscheid in der Weimarer Republik
(1918-1933)
Die Diskussion um die Einführung bundesweiter Volksentscheide als
direktdemokratische Mitentscheidung von Bürgerinnen und Bürgern ist so
alt wie das Grundgesetz selbst.
Als das Grundgesetz 1949 mit einem ganz
eindeutigen Bekenntnis zur repräsentativen Demokratie (→Grundtypen
der Demokratie) in Kraft getreten ist, gab es in der neuen
Verfassung kaum mehr Möglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger über
die Teilnahme an Wahlen hinweg in politischen Fragen selbst zu
entscheiden.
Die
Weimarer Verfassung
wie noch eine Mischung von
plebiszitären und repräsentativen Elementen auf (Volksentscheide,
Direktwahl des Reichpräsidenten) auf. Im Grundgesetz war und ist davon nicht
mehr die Rede.
Schon die Schöpfer des Grundgesetzes haben zur Begründung schon gerne auf
schlechte Erfahrungen mit
Volksentscheiden in der Weimarer Republik hingewiesen. Allerdings halten solche Begründungen
der historischen Nachprüfung kaum stand.
Denn auf Reichsebene kam
es damals nur zu zwei Volksentscheiden. 1926 initiierten die linken
Parteien ein
Volksbegehren für die entschädigungslose Fürstenenteignung, das
ebenso scheiterte wie der 1929 von den rechten Parteien
unterstützte
Volksentscheid gegen den Young-Plan, bei dem es um die Neuregelung
der Reparationen aus dem 1. Weltkrieg ging.
Volksentscheide in den Bundesländern
In Deutschland ist jedenfalls seit 1949 die direkte Entscheidung des
Staatsvolkes auf Bundesebene auf einen sehr engen Bereich begrenzt. In
Artikel 29 GG ist
festgelegt, dass er nur bei Entscheidungen über die geografische Länderneuregelung
in Frage kommt. Die sich nach dem Krieg entwickelnde
Parteiendemokratie in der Bundesrepublik zeigte wenig Bereitschaft,
daran zu rütteln.
In einzelnen Bundesländern allerdings blieb der Volksentscheid in den
Länderverfassungen erhalten.
Allerdings waren die Verfahrensregeln dafür
nicht gerade so ausgelegt, dass mit häufigen Volksentscheiden zu rechnen
war. So verwundert es natürlich nicht, dass es abgesehen von
Volksentscheidungen zur Länderneuregelungen in den 41 Jahren bis 1990
überhaupt nur drei (!) Volksentscheide auf Länderebene gab, bei denen
die Initiative von der Bevölkerung selbst ausgegangen ist (1969 in
Bayern 2x, 1971 in Baden-Württemberg).
Wiedervereinigung 1990: Kein Volksentscheid
Nach der "friedlichen Revolution" in der DDR 1989 setzten sich viele
Menschen in West und Ost dafür ein, die ins Auge gefasste
Wiedervereinigung mit einem Volksentscheid direkt in die Hände des
Volkes zu legen.
Aber stattdessen wurde die deutsche Einheit mit einem
anderen Verfahren hergestellt: Nach der Wiederherstellung der "alten"
Länder im Osten nach dem Zuschnitt der Weimarer Republik, traten diese
als die später die "neuen Bundesländer" genannten politischen Einheiten
der Bundesrepublik Deutschland bei.
Die Enttäuschung über dieses
Verfahren, das die Wiederherstellung der staatlichen Einheit
ausschließlich in repräsentativdemokratischen Bahnen vollzog, war
indessen bei vielen Menschen groß, selbst wenn sie die dadurch
mögliche schnelle und "reibungslose" Wiedervereinigung sehr begrüßten.
In einigen der neuen Bundesländer wurden nach der Wende Regelungen zu
Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide in die neuen
Landesverfassungen geschrieben, welche die Hürden zur Durchführung
deutlich niederer machten. Noch war dort der Wir-sind-das-Volk-Ruf der
friedlichen Revolution in der DDR noch nicht verhallt, mit der das
Volk im Herbst 1989 das DDR-Regime beseitigte.
Aber auch in manchen anderen Bundesländern kam es nach der
Wiedervereinigung, wischen 1990 und 1999 zu Volksentscheiden, die von
der Bevölkerung ausgingen ( (in Bayern 1991, 1995 und 1998, in
Schleswig-Holstein 1997 und 1998, sowie Hamburg 1998 und 1999).
Nach der Jahrhundertwende sorgten weitere Bundesländer dafür, dass die Regelungen für direkte
Demokratie anwendungsfreundlicher wurden (Z.B. Berlin,
Brandenburg, Hamburg, Baden-Württemberg).
Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg hat
2015 die Hürde für die direkte Demokratie niedriger angesetzt. Statt
bisher mindestens zehn, werden künftig nur noch sieben Prozent der
Wahlberechtigten nötig sein, um ein Bürgerbegehren zustande zu bringen.
Und: Wenn es dann zu einem Bürgerentscheid kommt, reicht künftig, wenn
ein Fünftel der Wahlberechtigten an der Abstimmung teilnimmt, damit der
Bürgerentscheid erfolgreich und bindend wird (statt bisher ein Viertel).
Durch diese Veränderungen in den Ländern nahm die Zahl von Volksentscheiden in den
Ländern deutlich zu. Seit 2000 gab es schon 12 von der Bevölkerung
initiierte Volksentscheide in verschiedenen deutschen Bundesländern.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
20.06.2016
|