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 Informelle
Petitionen können im Gegensatz zu formellen
E-Petitionen "als Kampagnen oder Kommunikationsprozesse angesehen
werden, die in keinen rechtlichen Rahmen fallen." (Christian
Heise/E-Demokratie.org) Auch wenn "diese informellen Angebote
hauptsächlich der Artikulation politischer Interessen (dienen) und (...)
in der Regel auf nicht-regierungsnahen Webseiten gesammelt (werden)" (ebd.),
weisen diese "Hybridorganisationen und Sozialunternehmen" (Richter/Bürger
2014, S.257) bei genauerem Hinsehen "in der Bandbreite von Politik,
Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit" (ebd.)
doch große Unterschiede hinsichtlich ihrer Akteure und Zielgruppen auf. Als
so genannte Advocacy Networks kümmern
sie sich um "Themen, denen gegenüber die gesellschaftliche Haltung unsicher
ist, oder Bereiche, die von Staaten oder Organisationen zu einer
Kursänderung bewegt werden sollen." (ebd.) Dafür entwickeln sie neue Ideen,
versuchen neue Normen voranzubringen, indem sie den gesellschaftlichen
Diskurs über die von ihnen aufgegriffenen Fragen und Probleme eröffnen,
begleiten oder fördern wollen.
Als Freie E-Petitionsportale bieten Advocacy Networks eine Vielzahl von
Angeboten, die von formelllen E-Petitionsangeboten wie der →E-Petition
des Deutschen Bundestags naturgemäß nicht offeriert werden können. Sie
bieten z. B. über die Zeichnung einer Petition hinaus E-Mails und Newsletter an,
sammeln Spenden, um die Zeichnung einer E-Petition mit Anzeigen auf anderen
Webseiten bewerben zu können und unterstützen die Petenten mit ihrem Braintrust, dem in Blogs und Wikis dafür gesammelten
Wissen.
Zudem bieten sie auch die Möglichkeit, sich international zu
vernetzen und schaffen damit eine translokale und transnationale zivilgesellschaftliche
Öffentlichkeit. Agieren Sie international, sind sie Teil der globalen
Netzwerkgesellschaft und einer der Agenten der fortlaufenden Globalisierung
der Medienkommunikation. Angesichts der globalen Probleme der Menschheit eine
Möglichkeit also, sich z. B. in Europa mit den Klimaflüchtlingen aus Ozeanien zu
vernetzen und gemeinsam die Stimme für den Klimaschutz zu erheben.
Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Online-Petitionsportalen im
Internet, die ihren Nutzern bestimmte Partizipationspfade anbieten. Dazu
zählen u. B. »Aavaz.org,
»Campact.de, »Change.Org,
»MoveOn.org
oder »OpenPetition.org.
Sie konkurrieren miteinander um registrierte Mitglieder, Spenden und
letztlich um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Wie im übrigen auch die
formellen E-Petitionsangebote können und wollen sie herkömmliche Formen der politischen Partizipation
nicht ersetzen und sie tun es offensichtlich auch nicht. Wer sich öfters an
Online-Petitionen beteiligt, legt sich nämlich keineswegs auf die faule
Haut, wenn sich andere in den klassischen Offline-Formen politischer
Partizipation engagieren, in Parteien mitmachen, Bürgerinitiativen gründen,
Info-Stände gestalten oder an Demonstrationen teilnehmen. Im Gegenteil, wer
sich online politisch betätigt, das haben Studien ergeben, der ist auch mit
einer nahezu doppelt so großen Wahrscheinlichkeit bei solchen Offline-Aktionen dabei.
(vgl.
Richter/Bürger
2014, S.255)
Wer eine Petition auf einer der freien E-Petitionsportalen einstellt,
kann dafür - wie bei den formellen E-Petitionen auch - unterschiedliche
Motive haben, über die mangels empirischer Erkenntnis sich nur Vermutungen
anstellen lassen.
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So ist davon auszugehen, dass
viele Menschen E-Petitionen und die Teilnahme am jeweiligen Diskurs als
Teil ihres zivilgesellschaftlichen Engagements verstehen, aber aus
verschiedenen Gründen die reglementierten Partizipationspfade der
regierungsnahen formellen E-Petitionsportale bewusst vermeiden wollen.
Wer den Politikern und dem repräsentativen System der Bundesrepublik
Deutschland kritisch gegenübersteht, dem wird wahrscheinlich auch die
namentliche Registrierung, die bis zur Eingabe der
Personalausweis-Nummer gehen kann, Unbehagen erzeugen.
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Im Vordergrund für die
Nutzung von Advocacy Networks steht wohl ohnehin das Bedürfnis, sich
über das vorgetragene Anliegen mit anderen, ob lokal, regional,
national, europaweit oder auch global, zu vernetzen, um eine
Öffentlichkeit für bestimmte Probleme zu schaffen und auf sie Einfluss
zu nehmen.
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Und selbstverständlich steht
am Ende die Hoffnung, mit der Petition auf die adressierten politischen
Entscheidungsträger öffentlichen Druck zu erzeugen, damit diese im Sinne
der Petition tätig werden und Änderungen herbeiführen.
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Schließlich wird man auch
daran zu denken haben, dass solche Petitionen auch Teil eines Social
Marketing-Konzepts sein können, mit dem man die Reichweite und
Zustimmung zu den in einer Petition niedergelegten Überzeugungen
abschätzen kann. In diesem Zusammenhang können insbesondere auch die im
Umfeld der Petition von der Plattform zur Verfügung gestellten
Partizipationsmöglichkeiten der anderen User in Foren oder Blogs
wichtige Hinweise darüber geben, wie sich der angestoßene Diskurs oder
der Diskurs, auf den man sich dabei bezieht, entwickelt.
Natürlich kann hier zu den Motiven nichts Abschließendes gesagt werden,
da auch die empirische Forschung, wie schon oben erwähnt, darüber derzeit
noch am Anfang steht.
Freie Petitionsportale, insbesondere jene, die weiter oben aufgeführt
sind, bemühen sich durchaus, Petitionen, die irgendwie anstößig sind, Gewalt
verherrlichen oder extremistischen Anschauungen Vorschub leisten wollen,
einen Riegel vorzuschieben. Allerdings kommen auf diesen Portalen doch auch
immer wieder Petitionen vor, die nur spärlich ihren extremistischen, in der
Regel rechtsextremistischen Hintergrund verdecken. Der Versuch, möglichst
"seriöse" Informationskanäle zu nutzen, passt dabei in das aktuelle Konzept
von Tarnen und Täuschen, mit dem sich Rechtsextremisten an die "bürgerliche
Mitte" heranmachen, um dort vorhandene Ressentiments und Vorurteile mit
rechtsradikalen Überzeugungen zu vermengen (z. B. das seit Herbst 2014
auftretende rechtspopulistische und rechtsextreme Demonstrationsbündnis »PEGIDA
(= Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes). Mehr
noch: Ins Visier genommen haben Rechtsextremisten mit dieser Strategie vor
allem Jugendliche, denn soziale
Netzwerke bieten den Rechtsextremisten einen idealen
Kommunikationsraum, um an diese Zielgruppe zu gelangen. Dabei
nutzen sie alle Plattformen und Möglichkeiten des Web 2.0. Sie twittern, posten, sharen und liken so wie Millionen anderer Nutzer
und Nutzerinnen auch. Mit einer bis dahin nicht möglichen Reichweite
tragen sie so ihre menschenverachtenden und demokratiefeindlichen
Positionen in den letzten Winkel des Internets.
Insbesondere der "Kampf gegen Kinderschänder", den die rechtsextremen
Agitatoren sich allerorten auf die Fahnen schreiben, zeigt, wie breit, ja
auch wie modern, die rechte Szene mittlerweile aufgestellt ist. Wer das
Thema "googelt", gelangt auf eine Vielzahl von Seiten, auf denen zum
Thema des sexuellen Missbrauchs von Kindern alle Register von
Vorurteilen, Verdrehungen und Unwahrheiten gezogen werden, um Ängste
zu befördern und Menschen, die sich davon und ihren Vorurteilen
leiten lassen, ganz "unbemerkt" an das andere nationalistische und
rassistische Gedankengut heranzuführen. Da werden dann auf Seiten,
die zunächst einmal gar nicht zur rechten Szene gehören, Fragen
diskutiert, die dem Kenner eindeutig die rechtsradikale Handschrift
verraten. Wer sich ein Bild davon machen will, braucht nur einmal
die Ratgeber-Community gutefrage.net mit dem Schlagwort
"Kinderschänder" zu füttern, um zu sehen, wie der Meinungskampf tobt.
Aber auch freie E-Petitionsportale, die mit rechtsextremistischer Propaganda
nichts am Hut haben, werden für diese Strategie genutzt. Wenn z. B. »OpenPetition.de
eine auf Österreich bezogene Petition mit dem Titel "Unbedingte
freiheitsstrafen für Kinderschänder" mit dem folgenden Zusatztext
veröffentlicht hat, dann liegt die Vermutung nahe, dass die Plattform zu
mehr als fragwürdigen Zwecken genutzt worden ist. In diesem Text heißt es:
"20 bis 30 Jahre Haft gibt es für Kinderschänder -Ring- Beteiligte in den
USA! In Österreich laufen sie frei herum und werden sie verniedlicht obwohl
jeder Richter 2011 soweit geschult sein müsste um das zu wissen!" Dass die
Petition nur 76 Unterstützer gefunden hat, ist dabei nur ein schwacher
Trost, denn darauf kommt es wohl gar nicht an. Dass die Petition aber bis
heute recherchierbar ist, und damit immer noch denen dient, die das Geschäft
mit solchen Vorurteilen betreiben, ist genau so skandalös wie die Tatsache,
dass das Stichwort "Kinderschänder" auf openEdition "gegoogelt" 103 Einträge
aus Petitionen, Beschlüssen, Blogeinträgen usw. zutage fördert, die den
fragwürdigen "Diskurs" immer wieder anheizen.

Selbstverständlich kann und soll nicht jeder, der sich
heutzutage für höhere Strafen für sexuellen Missbrauch von Kindern einsetzt,
hier in einen Topf geworfen werden, mit denen die ihren vermeintlichen
"Kampf gegen Kinderschänder" dafür nutzen wollen, rechtsradikale
Einstellungen "salonfähig" zu machen, aber Portalbetreiber und ihre Nutzer
sind aufgefordert, sich für diese rechtsextremistische Strategie zu
sensibilisieren und ihr entgegenzutreten. Das gilt insbesondere unter dem
Blickwinkel des Jugendmedienschutzes. So könnten es auch viele junge Leute,
die gewohnt sind, zu twittern, zu posten, zu sharen und zu liken, dem
trügerischen Gefühl folgen, etwas Richtiges und Gutes beim Unterzeichnen
solcher E-Petitionen zu tun. (»Slacktivism)
(→Gert
Egle (2014): Neonazis im Web. Tarnen und Täuschen)
Und ebenso wichtig ist auch der kritische Blick auf die
Formen des so genannten
Clicktivism, d. h. mit der Offerte der sozialen Medien, die auch in
früher "abgeschirmten" Partizipationspfade politischer Willensbildung
eindringen, mit einem Mausklick eine Sache zu unterstützen. Die "Like-Kultur"
der sozialen Medien, die geringe Verbindlichkeit solcher Zustimmungsakte
stellen so in gewisser Weise auch eine Gefahr für die intendierte Wirkung
von E-Petitionen ein.
Letzten Endes stehen Freie E-Petionsportale aber auch unter
Erfolgsdruck. Ihr "Geschäftsmodell" funktioniert so lange, so lange sie mit
Erfolgsmeldungen aufwarten können, die eine im günstigsten Fall positive
Reaktion der Adressaten auf eine Petition dokumentiert. Zumindest aber
müssen sie unter Beweis stellen, dass es ihnen gelingt, Aktivistinnen und
Aktivisten bei ihren Kampagnen wirkungsvoll zu unterstützen, indem sie die
von ihnen erreichbare Öffentlichkeit für das Anliegen der Petenten
mobilisieren und zur Vernetzung ihrer Nutzer und Nutzerinnen auf ihrer
Plattform und darüber hinaus beitragen.
Gert Egle,
www.teachsam.de, 24.3.04) |
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