docx-Download -
pdf-Download
Ein Liegerad polarisiert. Manche Radler lehnen es schon allein deswegen ab,
weil es nicht wie ein normales Velo aussieht. Andere dagegen lieben es
abgöttisch und halten es für das Fahrrad der Zukunft. Manchmal wird die
Diskussion der Vor- und Nachteile dieses Fahrradtyps in der Radlerszene mit
einer solcher Heftigkeit geführt, dass sie Züge eines Glaubensstreits
annimmt. Dabei wird dann leicht übersehen, dass sich die Frage, welches
Fahrrad das bessere ist, gar
nicht beantworten lässt. Denn abgesehen davon,
dass es das "normale" Rad gar nicht gibt, hat jeder Fahrradtyp seine Stärken
und Schwächen. Das eine Fahrrad für jeden Zweck gibt es also genauso wenig
wie das Universalauto.
Die Gegner des Liegerades führen an, der Mensch sei ein Wesen, das nicht nur
im Beruf von oben nach unten tritt. Daher ist für sie das Treten in die
Pedale aus einer vergleichsweise niedrigen Sitzposition heraus einfach
unsinnig. Zudem könnten bei Modellen mit vorn überstehendem Kettenblatt
andere Menschen verletzt werden, sofern das Zahnrad nicht vernünftig
abgedeckt ist. Ferner heißt es, ein Liegerad sei auch unhandlich, für den
Stadtverkehr nicht wendig genug und ließe sich zudem auch noch schlecht
transportieren. Was die Verkehrssicherheit angeht, gibt man zu bedenken,
dass man als Liegeradfahrer bzw. –fahrerin wegen der niedrigen Silhouette im
Straßenverkehr leicht übersehen werden könnte. Dazu atme man auch noch
vermehrt die in Bodennähe konzentrierten Autoabgase ein. Und zu allem
Überdruss sei ein Liegerad überhaupt nicht geländegängig und seine
Bergtauglichkeit halte sich ebenfalls in Grenzen.
Nun bestreiten selbst ausgewiesene Liegerad-Enthusiasten nicht, dass dieser
Velo-Typ kein Mountainbike ist und dass alpine Passstraßen auch nicht
unbedingt seine Sache sind. Aber sie haben auch eine Reihe von Argumenten,
die für das Liegerad sprechen. Sie lassen das Liegerad als eine Alternative
zu herkömmlichen Fahrrädern interessant erscheinen. Da ist zunächst die
wirklich komfortable Sitzposition, die dem Gegenwind nicht allzu viel
Angriffsfläche bietet und die deshalb selbst auch bei entspannter Fahrweise
ungewöhnlich hohe Reisegeschwindigkeiten ermöglicht. Der relativ lange
Radstand lässt ein richtungsstabiles, ruhiges Radfahren selbst dann zu, wenn
viel Gepäck mitgenommen wird. Für die lange Radreise sind daher die meisten
Liegeräder ausgesprochen gut geeignet.
Auch in punkto Sicherheit spricht nach Ansicht seiner Befürworter einiges
für das Liegerad. Ganz zuerst die niedrige Fallhöhe. Dazu kommt noch die –
abgesehen vom Kurzlieger – geringe Überschlaggefahr bei Notbremsungen. Und
schließlich sind erfahrungsgemäß bei Unfällen mit Liegerädern Kopf- und
Halswirbel weniger in Gefahr als bei einem Sturz kopfüber von einem hohen,
konventionellen Fahrrad. Noch wichtiger als Komfort- und Sicherheitsaspekte
dürfte allerdings für manche Radler das Aufsehen sein, das man mit einem
Liegerad bei den Passanten erregt.
(Text
nach: Gerald Fink, Die Kunst des hohen Pedalierens,
in: Süddeutsche Zeitung, 22./23. 8. 1998, verändert und leicht gekürzt)
docx-Download -
pdf-Download
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
27.08.2023