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Anfang des 20.
Jahrhunderts begann mit den Forschungen des französischen Pädagogen und
Psychologen »Alfred
Binet (1857-1911) das Zeitalter der »Psychometrie,
die sich mit dem Testen und Messen geistiger (mentaler) Fähigkeiten befasst.
Dabei werden statistische Beziehungen zwischen den verschiedenen Maßen
geistiger Fähigkeit untersucht und auf deren Grundlage schließt man dann auf
die Beschaffenheit der menschlichen Intelligenz. (vgl.
Zimbardo/Gerrig 2004, S.412)
Alfred
Binet und sein Kollege Theophile Simon entwickelten eine Methode, um
Intelligenz in quantitativen Kategorien auszudrücken, kurz um Intelligenz
quantitativ zu messen. Anlass zu ihren Überlegungen war eine
Aufforderung des französischen Bildungs- und Erziehungsministers, der
verlangte, dass Kinder mit Entwicklungsstörungen besser gefördert und für
sie bessere und geeignetere Lehr-/Lernmethoden entwickelt werden sollten.
Binets Idee und die seines Kollegen Simon war es daher, ein Verfahren zu
entwickeln, mit dem Kinder mit Entwicklungsstörungen, ohne subjektive
Trübungen durch Voreingenommenheiten von Lehrern und Eltern, eindeutig
identifiziert werden konnten.
Um dieses Ziel zu erreichen entwickelte Binet altersgerechte Aufgaben (Testitems),
die die Ergebnisse, die ein einzelner erzielte, mit denen der Gruppe
Gleichaltriger vergleichbar machte. Solche Aufgaben mussten, wenn sie ihren
Zweck erfüllen sollten, so gestaltet sein, "dass sie Urteilsfähigkeit und
Fähigkeit zu schlussfolgerndem Denken und nicht auswendig gelerntes Wissen
erfassten" (ebd.,
S.406) Zu den Aufgaben, die den Kindern vorgelegt wurden gehörten z.B.
Aufgaben, die darin bestanden, Zeichnungen wiederzugeben oder Begriffe zu
definieren.
Mit solchen Testitems (im sog. Binet-Test)
ermittelte Binet den Durchschnittswert, den normale Kinder erreichten. Im
Anschluss daran wurden die Ergebnisse, die jeder einzelne erzielte, mit dem
Durchschnittswert der Altergruppe verglichen. Den Zeitpunkt, an dem ein
durchschnittliches Kind eine bestimmte geistige Leistungsfähigkeit
erreicht, bezeichnet man als
Intelligenzalter. Die Kategorie des Intelligenzalters ist dabei
völlig unabhängig vom Lebensalter. Wenn bei einem Test herauskam, dass das
Ergebnis, welches eines Testperson erzielte, dem durchschnittlichen
Leistungsvermögen, das eine Gruppe von Siebenjährigen erzielte, entsprach,
hatte die Testperson, egal wie alt sie in Wirklichkeit war, eben das
Intelligenzalter sieben.
Die von Binet begründete Psychometrie fand in der Folge vor allem in den USA
eine große Anhängerschaft. Im Vorfeld des Ersten Weltkrieges (1914-1919)
griff man in den Rekrutierungsbüros auf Tests zurück, die die geistigen
Fähigkeiten der Rekruten messen und entsprechende Hinweise für eine mögliche
Karriere als Offizier oder die beste Verwendung im Krieg liefern sollten.
Die amerikanische Öffentlichkeit war schließlich von solchen Testverfahren
so angetan, dass in Schule und Arbeitswelt Intelligenztests flächendeckend
zum Einsatz kamen.
Zugleich gab es zu dieser Zeit, vor allem US-amerikanische Forscher, die der
Vergleich zwischen Intelligenzalter und Lebensalter, wie ihn Binet
vorgenommen hatte, nicht überzeugen konnte. Sie machten sich auf die Suche
nach einem numerischen, standardisierten Maß für Intelligenz. Was daraus
folgte, war die "Erfindung" des IQ, des
Intelligenzquotienten.
Der Psychologe an der Universität Stanford »Lewis
Madison Terman (1877-1956) veröffentlichte 1916 eine Überarbeitung
des Binet-Tests, die später als "Stanford-Binet-Intelligenzskala" bezeichnet
wurde. Im Mittelpunkt seines Konzepts steht der Intelligenzquotient, ein
Begriff, der auf den deutschen Psychologen »Wilhelm
(William) Stern (1871-1938) zurückgeht und von diesem im Jahre 1912
erstmals verwendet worden ist. Der IQ stellt dabei einen
Abweichungsquotienten dar. Der Wert eines bestimmten IQ ergibt sich aus dem
Verhältnis des Intelligenzalters zum Lebensalters, multipliziert mit 100.Wer
die seinem Lebensalter gemäße Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen
konnte, erhielt so den IQ-Wert 100, der als
Durchschnittswert angesehen wurde.
Besaß ein achtjähriges Kind nach den Testergebnissen ein Intelligenzalter
von 10 Jahren, dann verfügte es demnach über einen IQ von 125. Der von
Terman modifizierte Binet-Test wurde fortan als
Stanford-Binet-Test, ergänzt um eine
ganze Reihe von Untertests, zur Schulberatung herangezogen. Dabei wurde er
immer wieder neuen Bedingungen angepasst und, zuletzt 1986 in seiner vierten
Auflage, verbessert. Als Testitems werden Fragen zum Sinngehalt von
Sprichwörtern gestellt, andere Testaufgaben zielen auf das Satz- und das
Zahlengedächtnis, auf Orientierungsfähigkeiten und das Erkennen von
Gegensätzen sowie die Wiedergabe von Kernthesen eines gehörten Textes.
Heutige Intelligentests ermitteln ihre IQ-Werte nicht mehr mittels Division
des Intelligenzalters durch das Lebensalter. Stattdessen werden gewöhnlich
die Punkte, die man bei einem Intelligenztest erzielt, einfach
zusammengezählt und
unmittelbar mit der durchschnittlichen Gesamtpunktzahl
anderer Testpersonen in der jeweiligen Altersgruppe verglichen. Immer noch
gilt, dass ein IQ-Wert von 100 "normal" und Werte über 120 als
"überdurchschnittlich" angesehen werden. IQ-Werte unter 70 können auf eine
Intelligenzminderung oder eine geistige Behinderung hinweisen, deren
zuverlässige Diagnose allerdings auch noch andere Kriterien heranziehen
muss.
Da sowohl im Binet- wie auch im Stanford-Binet-Test verbale Fähigkeiten der
Testpersonen sehr im Vordergrund stehen, machte sich der US-amerikanische
Psychologe »David
Wechsler (1896-1918) daran, Testverfahren zu entwickeln, die auch
andere Aspekte berücksichtigen. Seine 1939 veröffentlichte
Wechsler-Bellevue-Intelligenzskala, "die verbale Untertests mit
handlungsbezogenen Untertests" mit dem Ergebnis kombinierte, dass
"neben der Gesamtintelligenz, dem IQ, auch noch die Angabe eines
Verbal-IQ und eines
Handlungs-IQ möglich" wurde (Zimbardo/Gerrig
2004, S.409), erhielt nach einigen weiteren Modifizierungen ab 1955 die
Bezeichnung "Wechsler Adult
Intelligence Scale" (WAIS bzw. seit 1991
WAIS-R). Der Test der somit zwischen »sprachlicher
(verbaler) und praktischer Intelligenz unterscheidet, heißt in seiner deutschen Fassung kurz HAWIE
für »Hamburg-Wechsler-Intelligenztest
für Erwachsene«, seit seiner Verbesserung (Revision) 1991
abgekürzt
HAWIE-R.
Die Verteilung der IQ-Werte bei einer großen Stichprobe werden im
Allgemeinen dadurch vergleichbar gemacht, dass die Messwerte auf der
Grundlage der Gauß'schen Normalverteilung abgebildet werden. Wechsler
entwickelte hierfür (HAWIE-Test) eine Skala, bei der die eine
Standardabweichung vom Mittelwert 100 um 15 Punkte nach oben oder unten
möglich ist. Der Wert von 100 entspricht dabei dem (Populations-)Durchschnitte,
d.h. es gibt gleich viele Personen, die über und unter diesem Durchschnitt
liegen. Werte zwischen 90 und 110 gelten als normal, über 120 als
überdurchschnittlich oder weit überdurchschnittlich und Werte unter 70
deuten auf zunehmende Grade geistiger Behinderung hin.
Intelligenzverteilung und Klassifikation
nach Wechsler (HAWIE)
IQ
(HAWIE) |
Intelligenzgrad |
Anteil |
ab 127 |
extrem hoch |
2,2 % |
118–126 |
sehr hoch |
6,7 % |
110–117 |
hoch |
16,1 % |
91–109 |
durchschnittlich |
50,0 % |
79–90 |
niedrig |
16,1 % |
63–78 |
sehr niedrig |
6,7 % |
unter 62 |
extrem niedrig |
2,2 % |
"Nach der Wechsler-Skala liegen rund 68 Prozent der Bevölkerung zwischen
den Messwerten 85 und 115 bei einem Durchschnitt von 100. Je weiter ein
Messwert von 100 entfernt ist, desto größer ist sein Messfehler. Sehr hohe
und sehr niedrige IQ-Werte sind deshalb unzuverlässig und sollten mit
Vorsicht betrachtet werden. Da man von Hochbegabung erst bei einem Wert
oberhalb der zweifachen Standardabweichung spricht, also bei dieser
Skalierung Werten von über 130, kann diese nur mit speziell dafür
ausgelegten Tests hinreichend sicher ermittelt werden. Im unteren Bereich
unterscheidet man Lernbehinderung (IQ 85–70), leichte (IQ 69–50), mäßige (IQ
49–35), schwere (IQ 34–20) und schwerste Intelligenzminderung (IQ<20)."
(aus:
wikipedia.de, 24.10.07) Aber gerade im Bereich der Diagnostik von
Lernbehinderungen zeigen sich auch Grenzen solcher Messverfahren, denn ohne
Heranziehung anderer Kriterien läst sich gerade in diesem Bereich wohl kaum
eine zuverlässige Diagnose stellen.
So lassen sich natürlich auch eine ganze Reihe von
Einwänden und
Kritikpunkten am Konzept IQ, den IQ-Tests und den dahinter stehenden
Vorstellungen von Intelligenz vorbringen. Vielleicht gilt hier im besonderen
Maße, was
Boring schon 1923 und andere nach ihm immer wieder betont haben, dass
eben nur das als intelligent gelte, was diese Tests auch messen würden.
Zumindest wird man die kulturelle Bedingtheit dieses IQ-Konzeptes immer
wieder zu betonen haben, die interkulturelle Vergleichsmöglichkeiten
derartiger Ergebnisse erheblich einschränken, wenn nicht gar verunmöglichen.
Aber selbst im Rahmen einer modernen Gesellschaft westlichen Zuschnitts
können die IQ-Ergebnisse, die ermittelt werden, erheblich verfälscht sein.
So erzielen z. B. Jugendliche, Untersuchungsgefangene oder Obdachlose mit
großer Regelmäßigkeit offenbar, im Durchschnitt betrachtet, deutlich
niedrigere IQ-Werte als nach ihrer allgemeinen Intelligenz zu erwarten ist.
Das liegt zum Teil wohl daran, dass diese Personengruppen von vornherein
eine negative Haltung zu derartigen Tests einnehmen und daher auch
absichtlich falsche Antworten geben.
Aber auch die jeweilige körperliche und psychische Verfassung einer
Testperson kann sich durchaus auf das Messergebnis auswirken. Wer sich aus
irgendeinem Grund - sei es zu wenig Schlaf, schlechter Stressbewältigung,
wegen Prüfungsangst o. ä. - nicht hinreichend konzentrieren kann,
"verfälscht" damit natürlich auch das Messergebnis. Und dass im Konzept IQ
nur ein Teil der menschlichen Intelligenz erfasst ist, hat seit Howard
Gardners bahnbrechendem Werk "Abschied vom IQ" (1985) den "IQ-Hype"
vergangener Jahre deutlich relativiert. Und doch: in Boulevard-Magazinen
aller Medien feiert das Konzept ständig "populärwissenschaftliche
Auferstehung", und das zumeist in völlig unkritischer Sicht: Der IQ als
Medienereignis hat dem Konzept im gesellschaftlichen Alltag der Menschen
einen so wichtigen Platz zugewiesen, dass dahinter auch die hilfreichen
diagnostischen Aspekte solcher Messverfahren beinahe verschwinden.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet:
29.09.2013 |
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