▪
arbeitstechnik lesen
▪ Lesekompetenz
▪
Konzepte der Schreibkompetenz
Der Zusammenbruch der
spätantiken Lesekultur nach der Völkerwanderung
Die germanischen Stämme, die das Römische Reich im Westen im Zuge
der sogenannten »Völkerwanderung
(375 bis 568) eroberten, die »Teilung
des Reiches (395) und der »Untergang
des weströmischen Reiches (476/480) beendeten auch die
spätantike Schrift- und Lesekultur. Die germanischen Eroberer
brachten weder eine eigene mit, noch übernahmen sie, was sich bei
den Römern und in der griechischen Antike über viele Jahrhunderte
hinweg entwickelt hatte.
Lesen und Schreiben war nicht mehr gefragt, und wer es noch pflegte,
lebte hinter den Mauern mittelalterlicher Klöster, wo die Mönche bewahrten,
was von der antiken Schriftkultur noch übrig geblieben war. Wer dort
mit antiken Dokumenten hantierte, sie abschrieb oder einfach auch drauflosredigierte, tat dies wohl meistens ohne jedes Bewusstsein
für das (heidnische) kulturelle Erbe. Und so fiel wohl auch noch in
dieser Zeit vieles, was wir heute gewiss gerne in unserem
"kulturellen Gedächtnis" (Aleida Assmann) aufbewahren würden, der
Willkür der Wenigen, die überhaupt noch lesen und schreiben konnten,
bei Auswahl und Sicherung der antiken Quellen zum Opfer.
Was im Mittelalter überhaupt gelesen und geschrieben wurde, war meistens in
Latein verfasst. Daneben gab es ganz wenige althochdeutsche
Schriftdenkmale. Es dauerte bis ins 16. Jahrhundert bis man in
größerem Umfang in der eigenen Muttersprache zu lesen und zu
schreiben begann. Allerdings gab es auch im Mittelalter auch
volkssprachlich abgefasste Texte, die einer sehr begrenzten Anzahl
von Laien, meistens einzelne
höhergestellte höfische Damen, vor allem zur religiösen Andacht
und Erbauung dienten. Ingesamt zeigt sich aber auch schon im Verlauf
des Mittelalters ein "gruppen- und institutionenspezifische(s)
Nebeneinander unterschiedlicher Praktiken des Lesens." (Griese/Henkel
2018, S.735)
Im Umgang mit der dominierenden lateinischen Schriftlichkeit
kristallisierten sich unter denen, die des Lateinischen mächtig
waren, drei verschiedene Lesemodi heraus, die in bestimmten
Lesesituationen zum Einsatz kamen. Das monastische Lesen,
das studierende Lesen und das
scholastische Lesen.
Zugleich blieb Lesen und Schreiben weiterhin allem vor eine professionelle Angelegenheit von
Experten.
Monastisches,
studierendes und
scholastisches Lesen in den Expertenkulturen des Mittelalters
Über ein halbes Jahrhundert blieb es dabei, dass fast nur Geistliche
und Mönche lesen und schreiben konnten, selbst der größte Teil der
adeligen Oberschicht blieb wohl bis bis zum Ende des 13.
Jahrhunderts des Lesens und Schreibens unkundig. Allerdings gab es
dabei auch Ausnahmen: Die »Merowinger-Könige
(5. Jh. bis 751 n. Chr.) konnten offensichtlich schreiben, die »karolingischen
Hausmeier sowie »Karl
der Große (747-814), der selbst mehrere Sprachen sprechen
konnte, vermochte nicht selbst zu schreiben, »Kaiser
Otto I, der Große (912-973), und »Otto
II. (955-983) konnten lesen, »Heinrich
II. (973-1024) und »Heinrich
IV. (1050-1106) konnten lesen und schreiben und auch »Friedrich
I. Barbarossa (1122-1190) wird nachgesagt, dass er in seinen
späten Jahren noch ein wenig lesen gelernt habe. (vgl.
Wendehorst
1986, S.12-17, vgl.
Griese/Henkel 2018, S.722). Repräsentativ sind solche
Einzelfälle aber für die Mehrheit analphabetischer Adeliger
allerdings nicht.
In den klösterlichen "Expertenkulturen"
des Lesens (Bickenbach
2015, S.401) pflegten sie das sogenannte monastische Lesen. Dies war gekennzeichnet durch ein besonderes
Verhältnis zum geschrieben Text, das man als "schriftliche
Mündlichkeit" (Schön
1999/2001, S.12) bezeichnen kann, weil man beim Lesen und beim Abschreiben den
Text mehr oder weniger laut vor sich hin murmelte (Rumination =
Wiederkäuen). Es war "Lesen mit dem Ohr" (ebd.).
Diese Praxis
war aber nicht nur einfach eine Gewohnheit, sondern hatte als "lectio
divina" (ein quasi göttlicher ▪
Lesemodus) eine
kultisch-religiöse und soziale Bedeutung. Wenn die ganze
Ordensgemeinschaft sich versammelte, wurden z. B. in der täglichen
Lesungen die Ordenregeln, Messen oder Legendengeschichten laut
vorgelesen und auch der "sich wöchentlich wiederholende Gesang des
gesamten Psalters in acht Psalmtönen" (Griese/Henkel
2018, S.724) gehörten, neben anderen geistlichen Übungen, zur
geistlichen Lesepraxis in den Klöstern.
In der mittelalterlichen Bibelauslegung (Bibelexegese) spielte dabei die
Lehre vom mehrfachen Schriftsinn
eine zentrale Rolle für das Lesen.
Darunter verstand man die Unterscheidung zwischen dem Sinn eines
Textes, wie er an der Oberfläche der Buchstaben haftet und seiner eigentlich relevanten
metaphorischen,
allegorischen
und/oder heilsgeschichtlichen Bedeutung.
Über das Lesen als solches, was
es als Vorgang überhaupt bedeutete, machte man sich eigentlich keine
Gedanken, da man in den
"Expertenkulturen" des Lesens (Skriptorien, Bibliotheken,
Klöster) (vgl.
Bickenbach
2015, S.401) weitgehend unter sich blieb. Es gab daneben,
abgesehen von einigen adeligen Damen, kein lesekundiges Publikum und
auch so gut wie keine andern Lesestoffe als in Latein gefasste
religiöse Lektüre. (vgl Schön
1999/2001, S.14) Das ändert sich erst Ende des 18.
Jahrhunderts, als "Lesen zu einem öffentlichen Diskurs" und ein ein
größeres bürgerliches Lesepublikum entsteht und in den Romane dieser
Zeit auch Figuren vorkommen, "die als Leser bestimmter Literatur mit
bestimmter Weltsicht charakterisiert sind." (
ebd.,
S.401f., )

Wer den Text monastisch im Sinne "göttlichen Lesens" las, dem kam es
nicht so sehr darauf an, kognitiv zu verarbeiten, was er vor sich
hinmurmelte und "wiederkäute". Stattdessen wollte man sich
kontemplativ und meditativ in den Text versenken und sich der
göttlichen Wirkung des gesprochenen und geschrieben Wortes
vorbehaltlos ausliefen und, wenn laut vorgelesen wurde, konnte auch
damit dem geschriebenen Wort autoritativ Geltung verliehen werden.
Dabei galt wohl auch, dass Lesen in dieser
Zeit "Denken und Sprechen (war) und (...) vor vor allem ein Akt, der
sich nicht getrennt von der Außenwelt, sondern mitten in ihr,
innerhalb der sozialen Gruppe und kontrolliert durch sie abspielte."
(Bollmann
62007, S. 26)
Neben dieser geistlichen Lektürepraxis spielte aber auch das
"studierende Lesen als Prozess der Erschließung von Texten auf den
Ebenen der Form, der Realien und der Sinnstiftung" (Griese/Henkel
2018, S. 724) in den »Lateinschulen
eine Rolle, die bis gegen 1200 ausschließlich von Klöstern und
Domstiften betrieben wurden und ab dem 13. Jahrhundert auch in den
Städten zu finden waren. Dort las man in Gestalt der
sogenannten "lectio" Klassiker der römischen Antike wie z. B.
Vergil, Horaz, Ovid, Cicero oder Seneca. Dabei zielte das Ganze
darauf, "auf der Grundlage eines exemplarischen Texts, aber auch
über ihn hinausgehend, komplexe kulturelle Wissensfelder zu Realien,
Grammatik und Rhetorik etc. zu erarbeiten" (ebd.,
S.725) Studierendes Lesen sollte nicht nur praktische Fähigkeiten im
Umgang mit der lateinischen Sprache, sondern auch "eine umfassende
textbasierte kulturelle Bildung" (ebd.)
ermöglichen.
Unter diesen Rahmenbedingungen fand auch das Schreiben in den
Lateinschulen statt. Texte wurden wie eine Formularvorlage
herangezogen, so dass beim Schreiben nur an wenigen Stellen des
Textes, z. B. bei Namen, Orten oder Anlässen) Änderungen vorzunehmen
waren. (vgl. Fritzsche
1994, S. 259.
S.258f.) Schreiben, das in der Schule stattfand, war also stets
reproduzierendes Schreiben, bei dem es darauf ankam, bestimmte
Textgestaltungen, denen man den Rang von Vorbildern zuwies,
nachzuahmen. Konkrete Schreibanlässe oder die Berücksichtigung eines
mehr oder weniger herausgearbeiteten Adressatenbezugs war bei diesen
diesem Schreiben und seinen Imitationsaufsätzen nicht vorgesehen,
deren Schreibziele nicht über die möglichst analoge Umsetzung
vorgegebener Textmuster hinausführten.
Neben dem studierenden Lesen entwickelt sich im 12. Jahrhundert die
scholastische Lektürepraxis,
die mit neuen Strategien der zunehmenden Fülle an Schriftlichkeit
Herr werden will. So entstehen Sammelwerke, auch Summenwerke
genannt, die alles zusammenfassen, aufbereiten und strukturieren,
was zu einem bestimmten Thema für relevant angesehen wurde. Dabei
ging es im scholastischen Lesemodus nicht mehr um die
"fortschreitende Erfassung eines Textes", sondern um eine
"zielgerichtete punktuelle, wissens- und problemorientierte Lektüre"
(ebd.,
S.726) , wie sie vor allem an den mittelalterlichen Universitäten
gepflegt wurde.
Die Bedeutung der
Schrift und des Schriftbildes für die Lesepraxis
Für das laute Lesen, das in dieser Zeit
dominierte, spielten auch noch andere Gründe eine Rolle. Bis ins frühe
Mittelalter hinein waren nämlich die geschriebenen Texte in »Scripta
continua« gestaltet, d. h. in einer Art unendlicher Wörterschlange
Wort für Wort hintereinander ohne jegliche Zwischenräume gestaltet. Erst ab dem 8.
Jahrhundert wurde durch die dann eingefügte Trennung der Wörter
voneinander, leises Lesen und eine erheblich schnellere
Bedeutungserschließung möglich gemacht. (vgl.
Rautenberg/Schneider 2015, S.100) Die veränderte Textgestalt hatte
dabei großen Anteil daran, dass sich die individuelle und kollektive
Lesepraxis durch den Wechsel vom lauten zum stillen Lesen quantitativ
und/oder qualitativ so "massiv" veränderte, dass man in der historischen
Leseforschung sogar von einer ersten Leserevolution (Chartier) im 12.
und 13. Jahrhundert spricht. (vgl.
Schneider 2015,
S.760)
Die allmähliche Einführung von Satzeichen als Lesehilfen ersetzten
die Interpunktionen in antiken und mittelalterlichen Schriften, die
lediglich signalisierten, wo man beim lauten Lesen, dem Satzrhythmus folgend,
Atem holen sollte. Sie schufen damit wichtige Voraussetzungen für
das selbst in den Klöstern ganz allmählich "in Mode" kommende
▪ individuelle, stumme (stille
oder leise) Lesen. Eine Entwicklung im Übrigen, die so
selbstverständlich sie uns heute auch erscheinen mag, lange nicht so
gerne gesehen wurde, weil sie auch die Optionen für die Entwicklung
"neuartiger Verhaltensmuster persönlicher Intimität" schaffen
konnte, "welche die Legitimität
sowohl der kirchlichen als auch auch der weltlichen Obrigkeit auf Dauer
bedrohen" (Bollmann
62007, S.27) konnten. In jedem Falle war wohl die mit dem
stillen Lesen verbundene "geringere sinnliche Erfahrung des
Gelesenen (...) die Voraussetzung für Überblick, kognitives
Verstehen, kritische Distanz." (Schön
1999/2001, S.13)
Einige adelige Frauen
lesen in Andachtsbüchern
Über die Klöster hinaus gab es bis ins 12. Jahrhundert keine
nennenswerte Lesekultur. Und doch gab es, allerdings sehr wenige, Ausnahmen. So
nahmen offenbar Frauen aus den Herrscherhäusern und aus dem Adel
schon im »frühen
Mittelalter den lateinischen »Psalter,
meistens prächtig bebilderte und aufwändig gestaltete, eigens
für die Adeligen angefertigte Handschriften mit Psalmen und
Wechselgesängen, zur Hand, um darin zu lesen und beten zu können.
(vgl. Schön
1999/2001, S.9ff.) Der Psalter war, in Volkssprache verfasst,
quasi das "Erstlesebuch" (Heinzer
2006, S.148) des hohen Mittelalters, besaß damit "eine
bildungsstrategische Bedeutung". Er wurde vor allem von weltlichen
Frauen gelesen, die sonst auch Legendentexte, Gebets- und
Andachtsbücher lasen, aber durchaus "Interesse an Liebesgeschichten
des Trojaners Eneas oder am Parzival" (Griese/Henkel
2018, S.731) zeigten.
Gewöhnlich rezitierte man die darin
enthaltenen Psalmen in täglichen »Andachtsübungen
außerhalb des Gottesdienstes. Als Gebetbuch wurde der Psalter im
Spätmittelalter allmählich vom »Stundenbuch
abgelöst, das vor allem für Laien bestimmt war, aber wegen seiner
weiterhin sehr aufwändigen Gestaltung nur von reichen, lesekundigen
Mitgliedern des Adels oder städtischer Oberschichten erworben und für
das sogenannte »Stundengebet
verwendet werden konnten.
Die Überwindung der
Dominanz lateinischer Texte und der geistlichen Dichtung im
Hochmittelalter
In den etwa 200 Jahren des »Hochmittelalters
von ca.1150 bis 1250 mit seiner höfischen Ständekultur konnten adelige
Frauen offenbar meistens lesen. Damit begann das Lesen die
engen Schranken der monastisch geprägten Expertenkultur zu sprengen.
Außerhalb der weiter bestehenden Expertenkulturen und der Höfe gab
es in den Städten, die mehr und mehr Zentren des Handels und
Handwerks wurden und dabei eine reiche Oberschicht, das städtische
Patriziat, herausbildeten, noch lange keine eigenständige
literarische Entwicklung. Zum dritten Stand, in den man wie in alle
Stände einfach hineingeboren wurde, gehörten die Bürger,
Handwerker und Bauern. Er war sozial gesehen sehr unterschiedlich
und ihre Mitglieder waren einander eigentlich nur über ihre
ständisch legitimierte, letzten Endes als gottgewollt betrachtete,
gesellschaftliche und politische Unterordnung unter die politisch
und sozial privilegierten beiden anderen Stände verbunden. So
wundert es auch nicht, dass sie in dieser Zeit "weder zu einem
standesmäßigen noch literarischen Selbstbewusstsein" (Lutz
31989, S.18) gefunden hatten. Auch auf dem Gebiet
literarischer Kultur behauptete die adelige Oberschicht noch längere
Zeit ihren eindeutigen Führungsanspruch. (vgl.
ebd.)
Diese wiederum entwickelte im Umfeld
adeliger Höfe eine ritterlich-höfische Standesliteratur, welche die Dominanz der lateinischen Sprache durchbrechen
konnte welche
die ganze davor liegende christlich geistliche Dichtung geprägt
hatte. (vgl. Lutz
31989, S.17)
Statt "sinnbildlichem Gotteslob" (ebd.,
S.12) waren in der "staufischen Literaturepoche" (ebd.,
S.16), die mit dem Höherpunkt der Regierungszeit von »Kaiser
Friedrich I., genannt Barbarossa (1122-1190, 1155 bis 1190 »Kaiser
des »römisch-deutschen
Reiches) aus dem Adelsgeschlecht der »Staufer
um etwa 1180 beginnt und mit dem
dem Todesjahr
Friedrichs II. (1194-1250, von 1220 bis zu seinem Tod Kaiser)
endet, weltliche Themen gefragt. Ihre primäre Aufgabe war es, die höfische Kultur
zu
repräsentieren. Aus diesem Grunde war es nur eine Frage der
Zeit, bis das ritterliche Epos und die Minnelyrik der geistlichen
Dichtung den Rang abgelaufen hatte.
Das ritterliche Versepos bot den den Adeligen eine Folie, auf die sie
ihre Ideale in unterschiedlicher Art und Weise projizierten und die
umgekehrt auch dazu diente, den Idealen einer ritterlich-höfischen
Lebensform der sozial privilegierten adeligen Oberschicht soziale Geltung zu verleihen.
-
In der
Artus-Epik, den "Abenteuergeschichten" etlicher Episoden- und
Kettenromane, die sich um die Ritter der Tafelrunde in der
geschlossenen, "idealen, Raum und Zeit entrückten Artuswelt" (Lutz
31989, S.19) spinnen, ließ sich "eine höchst
kunstvolle Verschränkung märchenhaften, weltentrückten Geschehens
und idealisierter Standesdichtung" (ebd.,
S.20) offenbar besonders gut verarbeiten.
-
Aber auch die "Stammes-
und Gefolgschaftsdichtung" (ebd.,
S.28) des deutschen Heldenepos, das nicht in eine ungeschichtliche
Idealwelt versetzte wie die Artus-Epik, hatte ihre Anhänger. Wer sich für den Kampf des
Guten gegen das Böse, um Leben oder Tod oder das Schicksal
interessierte, der fand z. B. in der hochmittelalterlichen Fassung
des »Nibelungenlieds
den geeigneten Stoff. Was den Helden, z. B. »Siegfried,
»Kriemhild,
»Hagen von
Tronje oder »Dietrich
von Bern, darin widerfährt, geht dabei auf die »Nibelungensage
zurück, dessen Ursprünge bis in die Zeit der »Völkerwanderung
(375 bis 568) zurückreichen. Insbesondere Dietrich von Bern galt der
höfischen Gesellschaft wohl "als Sinnbild ritterlicher
Humanität" (ebd.,
S.29).
Die Art und Weise,
wie die hochmittelalterliche Literatur an den Höfen rezipiert wurde,
hatte dabei den Charakter einer "schriftgestützten Mündlichkeit" (Schön
1999/2001, S.10), zumal nicht nur die höfische Gesellschaft
dieser Zeit Trennlinien "zwischen »lesend hören« und »hoeren lesen«,
zwischen dem – lauten – eigenen »Lesen« und dem Zuhören beim Lesen
eines anderen" (ebd,
S.11) wohl längst nicht so so klar gezogen wurden, wie wir dies
heute zu tun pflegen.
Lesesituationen und
Buchformate
Die gängigen
Lesesituationen, die für das
Mittelalter und auch darüber hinaus typisch waren, waren stets auch
eine Frage des Formats und des Gewichts der Bücher. Bücher waren im
Mittelalter nämlich im Allgemeinen sehr schwere Objekte.
Leichte und
schlanke Bücher im Hoch- und Schmalformat waren eher die Ausnahme.
Sie kamen erst im Spätmittelalter auf, als sich religiöse
Gebrauchsliteratur (»Stunden- und Gebetsbücher) allmählich
verbreitete, die vor allem Frauen, welche die kleinformatigen Bücher
auf den Schoß legen konnten, zur Erbauung in einem privaten
Leseprozess genutzt haben. So ist es auch angesichts der heutigen
allseitigen Verfügbarkeit digitalisierter Texte auf allerlei
Endgeräten auch nur vordergründig ein Kuriosum, wenn man solche
kleinformatigen Bücher sogar so gestaltete, dass man sie sich an der
Kleidung oder am Gürtel befestigen konnte und diese so genannten
Beutelbücher, ohne sie abnehmen zu müssen, überall, wo es die
Lichtverhältnisse und die sonstige Situation es zuließ, lesen
konnte.
Das große Gewicht
und Format der meisten Bücher ließ hingegen eine so einfaches
Handling ohne weitere Hilfsmittel, wie dies noch mit der
Papyrusrolle bei allen ihren sonstigen Nachteilen auf den Knien
möglich war, natürlich nicht mehr zu und sie allein von A nach B zu
bewegen, war oft gewiss eine schweißtreibende Angelegenheit. Aus
diesem Grunde konstruierte man z. B. Stehpulte (im 18. Jahrhundert
wurden sie erneut "modern"!), spezielle Kastenpulte, an denen
geschrieben und abgeschrieben wurde oder später auch mobile,
teilweise zusammenklappbare Pulte für die Buchablage auf dem
Arbeitstisch. Im 16. Jahrhundert kamen schräg gestellte Pulte auf,
die sogenannten Leseräder, auf denen eine gewisse Anzahl
aufgeschlagener Bücher untergebracht werden konnten, die man durch
Drehen des Rades quasi nebeneinander lesen konnte. Eine Erfindung im
Übrigen, die sogar bis ins 18. Jahrhundert hinein Verwendung fand.
(vgl.
Rautenberg 2015,
S.292)
▪
arbeitstechnik lesen
▪
Lesekompetenz
▪
Konzepte der Schreibkompetenz
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.12.2023
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