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Rechtsextremismus im Internet

Neonazis im Web: Tarnen und Täuschen

Gert Egle (2014)


Soziale Netzwerke sind heutzutage ein besonders beliebtes Aktionsfeld der Rechtsextremisten. Sie bieten ihnen einen idealen Kommunikationsraum, um sich an junge Leute heranzumachen. Dabei nutzen sie alle Plattformen und Möglichkeiten des Web 2.0. Sie twittern, posten, sharen und liken so wie Millionen anderer Nutzer und Nutzerinnen auch. Mit einer bis dahin nicht möglichen Reichweite tragen sie so ihre menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Positionen in den letzten Winkel des Internets.
Dazu präsentieren sie sich immer noch einer großen Zahl von eigenen Websites, die allerdings mehr der Vernetzung der schon bestehenden rechtsextremen Szene dienen, als dazu, erfolgreich Propaganda zu machen oder gar neue Anhänger zu gewinnen. Meistens stellen sich mit Homepages "alten" Stils rechte Parteien, Parteigliederungen, kleinere und größere rechtsextremistische Gruppierungen, aber auch rechtsradikale Einzelpersonen dar.
"Das Mitmachweb ist für die rechtsextremistische Pest ein Segen", sagen nicht allein Kenner der Szene, die wissen, auf welche Art und Weise sich Rechtsextreme die neuen Möglichkeiten der Kommunikation für ihre Propaganda, Mitgliederwerbung und ihre Flashmob-Inszenierungen auf der Straße immer ausgeklügelter zunutze machen. Die Feindbilder der Rechtsextremen, ihr Denken und Tun zwischen Hass und Gewalt, sind, nicht zuletzt wegen der neuen Möglichkeiten miteinander zu kommunizieren und zu interagieren, nämlich mittlerweile auch dort angekommen, wo sie nach Ansicht ihrer Schöpfer und Verbreiter auch hingehören: Bei den Jugendlichen. Längst haben nämlich viele Jugendliche schon in irgendeiner Weise damit Bekanntschaft gemacht. Während die »JIM-Studie 2010 belegte, dass jeder vierte Jugendliche beim Surfen im Web schon einmal rechtsextreme Seiten gesehen hat (ebd., S.53), sind nach eigenen Angaben gerade einmal zwei Prozent von der rechten Szene, Neonazis oder der NPD in sozialen Netzwerken kontaktiert worden. Seitdem sind in der JIM-Studie keine Daten dazu mehr erhoben worden. Das liegt indessen wohl nicht daran, dass das Problem von Jugendschützern nicht im Auge behalten wird. Aber, so gut gemeint, derartige Erhebungen auch sein mögen, sie geben nur ein sehr verzerrtes Bild ab über die Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene im Internet. Denn wer solche Zahlen liest, könnte die ausgeklügelte und komplexe Strategie des Rechtsextremismus im Social Web leicht verkennen und in ihrer Wirkung unterschätzen.
Der „Kampf gegen Kinderschänder“, den die rechtsextremen Agitatoren sich allerorten auf die Fahnen schreiben, zeigt, wie breit, ja auch wie modern, die rechte Szene mittlerweile aufgestellt ist. Wer das Thema „googelt“, gelangt auf eine Vielzahl von Seiten, auf denen zum Thema des sexuellen Missbrauchs von Kindern alle Register von Vorurteilen, Verdrehungen und Unwahrheiten gezogen werden, um Ängste zu befördern und Menschen, die sich davon und ihren Vorurteilen leiten lassen, ganz „unbemerkt“ an das andere nationalistische und rassistische Gedankengut heranzuführen. Da werden dann auf Seiten, die zunächst einmal gar nicht zur rechten Szene gehören, Fragen diskutiert, die dem Kenner eindeutig die rechtsradikale Handschrift verraten. Wer sich ein Bild davon machen will, braucht nur einmal die Ratgeber-Community gutefrage.net mit dem Schlagwort „Kinderschänder“ zu füttern, um zu sehen, wie der Meinungskampf tobt. Mitunter ist die argumentative Gegenwehr der Gegner beachtlich, das ändert aber kaum etwas daran, dass menschenverachtende Sprüche, die zumindest den Auffassungen Rechtsextremer nahestehen, hier geradezu exzessiv verbreitet werden. Und zu der völlig falsch gestellten und als Tatsachenbehauptung hingestellten Frage: „Warum bekommen Kinderschänder nur 2 Jahre und Raubkopierer 5?“wagen sich Hunderte aus der Deckung. Gegen kaum etwas anderes „engagieren“ sich die Rechtsextremisten mehr als gegen Sexualstraftäter, die sich an Kindern vergehen. Wie Simone Rafael auf der Webseite www.netz-gegen-nazis.de (2009) darlegt, sind die wahren Hintergründe, die Rechtsradikale zur lautstark erhobenen Forderung „Todesstrafe für Kinderschänder“ verleitet, ihr rassistisches und völkisches Gedankengut, Stimmungsmache gegen das „System“ („Die da oben“), Hetze gegen die moderne Gesellschaft („Es zählt nur noch Geld und der niedere Trieb.“), Law-and-Order-Logik und ihre Begeisterung für jedes Pathos (Songs und Videos auf YouTube: „“Wir hassen Kinderschänder.“) und ihre allseits beobachtbare Gewaltverherrlichung. Geradezu rechtsradikale Sammlungsbewegungen werden mit so genannten Online-Petitionen zum Thema initiiert, um dem rechten Sumpf neue Anhänger zuzuführen. Dabei verlaufen offline- und online-Agitation der rechten Szene erstaunlich ähnlich. Hochgradig emotional besetzte Themen wie z. B. der sexuelle Missbrauch von Kindern, werden aufgegriffen, extrem zugespitzt und mit allen Regeln der Suggestivkunst präsentiert, dadurch weiter emotionalisiert, um Ängste zu erzeugen. Diese sollen die Adressaten dieser Agitation letztlich politisch radikalisieren und für die demokratiefeindlichen und rassistischen Positionen der rechten Szene auf allen anderen Gebieten „weichkochen“. Die rechtsextremen on- und offline-Kampagnen gegen Kinderschänder dienen dieser Gehirnwäsche und nichts anderem.
Und die Strategie und Taktik der Rechtsextremen zielt darauf, insbesondere junge Leute auf eine Art und Weise unter Dauerfeuer zu nehmen, dass die rechten Agitatoren gar nicht so ohne weiteres auszumachen sind. So hat, worauf Stefan Glaser und Christiane Schneider (2012, S. 42) hingewiesen haben, z. B. die NPD schon 2010 in ihrer parteieigenen Monatszeitung zum "Kampf mit modernen Kommunikationsmitteln" aufgerufen und schlägt ihren Anhängern vor, mit "sympathischen Profilen" in sozialen Netzwerken auf Freundefang zu gehen.
Wer verhindern will, dass sich der im Vergleich mit der Restbevölkerung ohnehin schon überdurchschnittlich große Anteil rechtsextremer Einstellungen bei Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren (vgl. Jascke 2012, S.34 unter Bezugnahme auf Stöss 2010, S.61ff.) noch erhöht, muss auch diesen Freundefang durchkreuzen. Das ist aber nur ein Teil dessen, was die Gesellschaft und der Staat insgesamt gegen den Rechtsextremismus tun müssen.
Es wird allerdings ein frommer Wunsch bleiben, wenn man vom Staat oder den Betreibern der sozialen Netzwerke an dieser Stelle erwarten wollte, sie könnten den Rechtsextremen den beschriebenen Weg zu den Jugendlichen per Gesetz oder Verordnung einfach abschneiden. Prävention kann in diesem, wie in vielen anderen Fällen, daher nur heißen, die Jugendlichen für diese Probleme zu sensibilisieren. Das ist, eine echte Netzwerkaufgabe, an der, wenn das ganze Erfolg haben soll, viele mitarbeiten müssen und das auf vielen unterschiedlichen Ebenen. Und wie immer ist auch die Schule hier besonders in der Pflicht.
Wer dem rechtsextremistischen Freundefang etwas entgegensetzen will, muss nicht nur dessen Absichten, sondern auch die Kommunikationswege kennen, über die er organisiert wird. Und wer darüber hinaus noch weiß, dass sich Jugendliche "in der Regel im Alter zwischen 12 und 15 Jahren im Rahmen von Cliquen und peergroups außerhalb der Schule" (Jascke 2012, S.39 unter Verweis auf Schuhmacher 2011, S. 265-280), dafür entscheiden, bei den Rechtsextremisten mitzumachen, wird der Unterscheidung von Freunden und nur angeblichen Freunden in sozialen Netzwerken bei der Unterstützung jugendlichen Aufwachsens noch mehr Gewicht geben müssen.
Mit den Jugendlichen selbst aber müssen rechtsextremistische "Anmacher" identifiziert und ihre Strategien zur Ansprache Jugendlicher in sozialen Netzwerken aufgedeckt werden. Auf diese Weise müssen die jungen Leute befähigt werden, den bürgerlich und integer wirkenden NPD-Anhänger ebenso wie den coolen (rechtsradikalen) Rock-Fan nicht nur an Profilmerkmalen, sondern vor allem daran zu erkennen, wie er sich mit welchen Themen und Inhalten, mit welcher Musik, welchen Geschichten, kurzum, mit welchen Manipulationstechniken etc. an ihre jeweils spezifischen Lebenswelten andocken will.

Gert Egle, www.teachsam.de, 24.09.2012, zuletzt bearbeitet am: 15.10.2014

 

  
 
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  1. Geben Sie dazu den Text in Form einer strukturierten Textwiedergabe wieder.
  2. Erörtern Sie unter Einbeziehung eigener Erfahrungen im Umgang mit sozialen Netzwerken die Problematik des rechtsextremen Tarnen und Täuschens im Internet und zeigen Sie möglichst konkrete Ansätze auf, wie die vom Verfasser angesprochenen Lösungsansätze in der Schule umgesetzt werden könnten.
     
 
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