Lebensmüdigkeit, auch
•
suizidales Verhalten
oder
Suizidalität
genannt,
entsteht meist aus dem Zusammenwirken von
Suizidtendenzen (Suizidgedanken, -äußerungen, -absichten;
Angst,
einen Suizid zu begehen ein) und
suizidalen Handlungen
(vgl.
Schier 1986, S. 65)
Auf der
Suche nach den Gründen für das Eintreten einer solchen Lebensmüdigkeit hat
die Forschung verschiedene Antworten gegeben, die auf unterschiedlichen
Ansätzen beruhen:
Statistisch wird im Rahmen der
•
epidemiologischen Forschung
u. a. untersucht,
-
welche Personen besonders
anfällig für suizidales Verhalten sind (Risikogruppen)
-
welche persönlichen und
gesellschaftlichen Ursachen hinter dem suizidalen Verhalten stehen
-
mit welchen Methoden
suizidale Handlungen vorgenommen werden.
Die verschiedenen
•
Suizidtheorien
stellen Versuche dar, das Phänomen des Suizids mit konsistenten Konzepten
religiöser, philosophischer, soziologischer oder psychologischer Natur zu
beschreiben.
Man hat den Vorgang, wenn jemand seinem eigenen Leben bewusst ein Ende
setzt sprachlich mit verschiedenen Begriffen bezeichnet.
-
Es gab Zeiten, da hat man von "willkürlicher
Entleibung" gesprochen.
-
Der Begriff Selbstmord, für dessen
Verwendung sich schon der deutsche Philosoph
Immanuel Kant (1724-1804)
eingesetzt hat, zieht den
juristischen Straftatbestand des Mordes (§
211 StGB) heran und wertet den Suizid
dazu noch moralisch und ethisch ab. Die Verbindung der beiden Wortteile
"Selbst" und "Mord" bringt dabei zum Ausdruck, "dass Täter und Opfer
identisch sind, diskriminiert zugleich die Handlung als
Quasi-Verbrechen." (Colla-Müller
1984, S.14)
-
Freitod betont als Gegenbegriff dazu
zwar die Autonomie des einzelnen, über sein Leben oder Nicht-Leben frei
zu entscheiden, doch scheint der Begriff angesichts der von den
Betroffenen erlebten psychischen und physischen Leiden beschönigend.
Zudem bleibt bei diesem Begriff sich noch etwas "klassisch-heroenhafter
Beigeschmack" erhalten. (vgl.ebd.)
-
Der Begriff Selbsttötung trägt
heute wohl kaum noch keinen Wertungsakzent. Auch wenn darin noch ein
etwas die kirchlichen und gesellschaftlichen Vorurteile mitschwingen, bezeichnet
der Begriff lediglich den Vorgang, dem eigenen
Leben durch die eigene Hand ein Ende zu bereiten. Aus diesem Grund wird
dieser Begriff bevorzugt oder durch den ebenso neutralen Begriff des
Suizids ersetzt.
-
Der Begriff Suizid leitet sich aus dem Lateinischen ab. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO, 1992)
definiert den
Begriff des Suizids "als eine
Handlung mit tödlichem Ausgang, die der Verstorbene mit Wissen und in
Erwartung des tödlichen Ausgangs selbst geplant und ausgeführt hat mit
der Absicht, die vom Verstorbenen gewünschten Veränderungen
herbeizuführen."
Dabei ist aber auch der psychogene Suizid
eingeschlossen, bei dem der Tod "durch die Aufgabe des Willens zum
Leben, ohne gewaltsame Eigeneinwirkung auf den Körper" herbeigeführt
wird. (vgl.
Colla-Müller 1984, S.15)
-
Vom Suizid ist der so genannte Parasuizid
zu unterscheiden. Bei diesem nimmt die betroffene Person zwar
Suizidhandlungen vor, verbindet sie aber nicht mit der festen
Selbsttötungsabsicht. Dahinter steht vielmehr die Suche nach Hilfe, der
Wunsch nach zeitweiliger Ruhe und Pause im Leben und das Bestreben jene
Probleme loszuwerden, die einem die Suizidgedanken immer wieder
aufdrängen. Natürlich können auch Parasuizide, ohne dass es letzten Endes
genau so gewollt gewesen ist, einen tödlichen Ausgang haben. Man schätzt,
dass 90% aller suizidalen Handlungen als Parasuizide anzusehen sind. (vgl.
Krüger 2003, S. 2)
-
Ein•
erweiterter Suizid oder
Mitnahmesuizid liegt
dann vor, wenn andere Personen ohne deren Bereitschaft und Einverständnis in den Verlauf der suizidalen Handlungen
miteinbezogen werden. So kommt es vor, dass schwer depressive Menschen in
ihrer krankheitsbedingten Hoffnungslosigkeit ihre oft noch
minderjährigen Kinder "erlösen" wollen. Und dabei passiert es nicht
gerade selten, dass die ahnungs- und wehrlosen Opfer getötet werden, den
Täter aber dann die Kraft und der Mut verlässt, sich selbst den Tod zu
geben. (vgl.
Faust 2005) Der
erweiterte Suizid wird häufig von Männern begangen. Man hat
festgestellt, dass der Mitnahmesuizid nicht selten in Familien vorkommt,
bei denen der Mann vor seinem Selbstmord sowohl die Kinder als auch die
Ehefrau tötet. Diese Form des erweiterten Suizids wird etwas
beschönigend auch einfach
Familientragödie genannt. Kriminalistisch und damit
strafrechtlich ist sie vom vom Mord an einer Familie zu unterscheiden,
zumal häufig noch eine Schuldunfähigkeit "wegen einer krankhaften
seelischen Störung" bei dem Täter dahinter steht, die es ihm unmöglich
machen, "das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu
handeln." (§ 20 StGB) Es ist natürlich nicht immer einfach zwischen Mord
(§
211 StGB) oder Totschlag (§
212 StGB)
und erweitertem Suizid zu unterscheiden, aber es spricht dann viel
für einen erweiterten Suizid, wenn die Tatwaffe in der Nähe der zuletzt
getöteten Person gefunden wird. Auslöser für den erweiterten Suizid sind
meistens wirtschaftliche Schwierigkeiten, von denen der Betroffene
glaubt, dass sie nach seinem freiwillig vollzogenen Tod auf seine Frau,
Kinder oder sonstigen Erben übergehen und schließlich auch diese
überwältigen würden. Der versuchte erweiterte Suizid, bei dem die
abschließende Selbsttötungshandlung fehlschlägt, ist im Gegensatz zum
reinen Suizid nicht straffrei hinsichtlich der Tötung der übrigen
Personen. Meist handelt es sich es sich damit nach
§ 212 StGB um Totschlag, welcher mit einer
Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren, in schweren Fällen mit
lebenslänglicher Freiheitsstrafe geahndet wird.
Sonderformen des
Suizids sind Doppelsuizide oder kollektive Massensuizide wie
z.B. der von religiösen Fanatikern.
Von einem
Bilanzselbstmord
wird gesprochen, wenn der Betroffene alle positiven und negativen
Gegebenheiten des eigenen Lebens sorgfältig abgewogen hat und dabei zur
ernsthaften Überzeugung gelangt ist, dass die negativen Momente
überwiegen und nur der Tod einen Ausweg darstellt oder die Selbsttötung
als moralische Pflicht angesehen wird. Ob es sich bei einem Suizid um
einen Bilanzselbstmord handelt, ist besonders im Hinblick auf die
Strafbarkeit einer anderen Person bedeutsam, wenn sie dem Suizidenten
"Beihilfe" geleistet hat. Wer einen Lebensmüden bei seinem
Suizidvorhaben unterstützt, macht sich dann nicht strafbar, wenn
jener wirklich frei von Irrtümern und Zwängen handelt und selbst
bestimmt, wie sich die suizidale Handlung vollziehen soll. Das hängt
damit zusammen, dass das deutsche Strafrecht eine rechtswidrige Haupttat
als Voraussetzung für Beihilfe vorsieht. Die Tötung eines Menschen ist
allerdings nur strafbar, wenn es sich um einen anderen handelt. Wer sich
selbst das Leben nehmen will, ist, wenn er die Tat überlebt, daher auch
nicht zu bestrafen. Bei
Kindern und Jugendlichen
gibt es so gut wie keinen Bilanzselbstmord. Was bei Erwachsenen nach
genauem Abwägen des Für und Wider möglich ist, "verkennt den
Lebenswillen und die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit sowie den
inneren Kampf, den Jugendliche mit sich ausfechten, wenn
lebenserhaltende und lebenszerstörende Kräfte einander gegenüberstehen.
In dieser inneren Verstrickung ist keine freie Entscheidung mehr
möglich." (Bründel
1993, S.25)
Jeder Suizid oder Suizidversuch beruht auf
•
suizidalen Handlungen, die
allerdings nicht immer mit dem klaren Ziel ausgeführt werden zu sterben,
sondern oft auch nur den Wunsch nach einer Pause im Leben oder nach
zeitweiligem Abstand von Alltagsproblemen zum Ausdruck bringen.
Im Allgemeinen kann man sagen, dass auf einen vollzogenen Selbstmord
ca. 10 Suizidversuche kommen. Dabei fällt unter
epidemiologischem Aspekt weiter auf, dass sich im Allgemeinen
drei- bis viermal so viele Männer wie Frauen töten, Frauen aber eine
weitaus höhere Anzahl von Suizidversuchen durchführen. (vgl.
Fricke/Schmidtke/Weinacher 1997) Um beurteilen zu können, wie ernsthaft
bestimmte suizidale Handlungen vorgenommen werden, muss man die
Suizidintentionen, das
Suizidarrangement und die
Suizidmethoden betrachtet werden. Zu
fragen ist dann danach,
-
Wie ausgeprägt ist der Todeswunsch gewesen? (Suizidintention
bzw.
Schweregrad nach intrapsychischen Kriterien wie hohe, mittlere
(=ambivalente), niedrige oder fehlender Todeserwartung)
-
In welchem Umfang hat die betroffene Person dafür gesorgt, dass er
möglichst rasch nach dem Suizidversuch von einem Dritten gefunden wird?
(Suizidarrangement)
-
Wie wahrscheinlich war das tödliche Ende der suizidalen Handlungen?
(Suizidmethode)
(vgl.
Definition Suizid - Kurzüberblick,
28.12.05, vgl.
Dt. Ges. f. Kinder- und Jugendpsychiatrie u. a. (Hg.) 2003)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
06.04.2024
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