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Wissenschaftlich wir der Suizid wird heutzutage als ein komplexes, von
zahlreichen Faktoren abhängiges Geschehen betrachtet, "als Zusammenspiel
von individuellen und überindividuellen, von Innen- und Außenfaktoren",
die "immer das Ergebnis von Wechselwirklungen zwischen persönlichen und
sozialen Bedingungen" darstellen (Bründel
1993, S. 44). Selbst wenn sie jeweils unterschiedlich gewichtet
werden, müssen sie doch als interdependent, also in einem wechselseitigen
Abhängigkeitsverhältnis stehend, begriffen werden.
Die
soziologische Suizidtheorie
Die soziologische Suizidtheorie geht auf den französischen
Soziologen David Émile Durkheim (1858-1917) zurück, der mit seinem
bekanntesten Werk "Le suicide" (Der Selbstmord bzw. Die Selbsttötung, 1897) sich als erster mit
einer umfassenden Monographie an das Thema herangewagt hat. Dabei ging es
ihm darum, die gesellschaftliche Bedingtheit suizidaler Handlungen
nachzuweisen, was ihn aber letztlich zur Vernachlässigung aller
subjektiven Faktoren führte.
Der Suizid, der von ihm vor allem als eine Störung der
Beziehungen zwischen Individuum und Gesellschaft angesehen wurde, lässt
sich seiner Auffassung nach auf drei Grundtypen des Selbstmordes
zurückführen. Alle drei beruhen dabei auf unterschiedlichen sozialen
Ursachen. Dies entspricht seiner Auffassung, dass auch das Suizidrisiko im Allgemeinen
vom Grad der Integration eines Individuums in die Gesellschaft abhängt und
dem Ausmaß, in welchem die Regeln und Normen einer Gesellschaft akzeptiert
werden.
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Der
"egoistische Selbstmord" steht
für ein wenig ausgeprägtes Gemeinschaftsbewusstsein und geringer Bindung
an die Gemeinschaft mit Vereinsamung, Isolierung und Entfremdung als
deren Folgen.
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Im "altruistischen
Selbstmord" drückt sich eine zu große Abhängigkeit von der
Gesellschaft aus, die einhergeht mit einer zu wenig ausgebildeten
Individualität.
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Beim "anomischen
Selbstmord" steht der Betroffene unter dem Eindruck, dass seinem
Handeln weder Grenzen noch Regeln gesetzt sind und dass ihm von der
Gesellschaft keine regulative Kraft entgegenwirkt.
Was Durkheim entwickelte, gilt in seinen Grundzügen noch
heute bei der Beurteilung von suizidalem Verhalten in der Soziologie und
der Sozialisationsforschung. Die Bedeutung der von ihm herausgearbeiteten
Faktoren wie soziale Integration und Desintegration, Zwänge und
Einengungen oder das Fehlen allgemeinverbindlicher Ziele, Werte und Normen
ist dabei unbestritten.
Weitere Erkenntnisse der soziologischen Theorie sind u.
a.:
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Je größer die Anerkennung in der Gruppe ist, je
umfassender die Übereinstimmung mit ihren Vorstellungen und Werten
ausfällt und je stärker das Gefühl ausgeprägt ist, angenommen und
akzeptiert zu sein, desto geringer ist die Suizidgefährdung.
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Die Geborgenheit und Sicherheit in der Familie gibt
Kindern und Jugendlichen dabei das nötige Urvertrauen, derer sie zur
gesunden psychischen Entwicklung bedürfen.
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Gehören Jugendliche einer Clique oder einer anderen
Gruppe von Gleichaltrigen, so bekommen sie von das Selbstwertgefühl
vermittelt, das zur Krisen- und Konfliktbewältigung und für die
Überwindung von Enttäuschungen nötig ist. Allerdings kann eine zu starke
Gruppeneinbindung auch zu Problemen führen (z. B. delinquentes Verhalten
unter Gruppendruck)
(vgl.
Bründel 1993, S.43)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
29.09.2013 |
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