Die
Ursachen für den Suizid
von Kindern und Jugendlichen sind, wie
bei jedem anderen •
Suizid auch, vielfältig.
Dabei sind aber vor allem der oder die aktuellen
Auslöser bzw. der
unmittelbare Anlass einer Selbsttötung von den tiefer liegenden
Ursachen zu unterscheiden, die meistens schon in der frühen Kindheit
der Betroffenen liegen.
Suizidale Handlungen von Jugendlichen sind sehr oft die Endpunkte eines
längeren Prozesses. Sehr häufig stehen die Auslöser der Suizidhandlungen
von Kindern und Jugendlichen in einem unmittelbaren zeitlichen
Zusammenhang mit Konflikten mit den Eltern, Auseinandersetzungen mit engen
Freunden oder Freundinnen oder mit Schulproblemen. Bei fast allen
suizidalen Handlungen spielt spielt "der Verlust einer Zielperspektive und
das Gefühl des Abgelehntseins" eine außerordentlich große Rolle. (Colla-Müller
1984, S.19) Nicht selten fühlen sich die Jugendlichen auch in
ihrer Würde verletzt. (vgl.
ebd.) Je jünger die Kinder sind, desto eher spielen auf den
ersten Blick eher nichtige, für das Kind aber sehr bedeutsame Anlässe als
Auslöser suizidaler Handlungen eine Rolle wie z. B. eine schlechte
Schulnote, Zurücksetzungen durch einen Elternteil, eine Freundschafts-
oder Liebesenttäuschung oder eine Beleidigung durch Alterskameraden. (vgl.
Eggers 1984, S. 10)
Schulschwierigkeiten gelten aber im Allgemeinen nur als vordergründig und
vorgeschoben für das Vorhandensein einer Suizidgefährdung. Mehr als eine
"zu strenge Schule" scheinen überehrgeizige Eltern dafür verantwortlich zu
sein. (vgl.
Thomas 1986, S.78)
Es gibt vielfältige Gründe dafür, dass Kinder und Jugendliche
lebensmüde werden.
Jüngere Kinder unter 10
Jahren führen ihre statistisch ohnehin seltenen Suizidhandlungen
(vgl.
Pohlmeier 1986, S.14)
selten geplant durch. Sie können in diesem Alter "plötzlichen Impulsen des
Weglaufens oder Fortgehens entspringen". Darüber hinaus sind sich die
Kinder bis ins frühe Schulalter nicht bewusst, dass der Tod etwas
Endgültiges darstellt, zumal sich Todesangst im Allgemeinen erst ab dem
achten Lebensjahr einstellt. Dies ist auch der Grund dafür, dass Kinder
den Tod, z. B. der eigenen Mutter, als Fortgehen oder Verlassenwerden
verstehen. (vgl.
Nöhring 1982, S. 148,
Hendin 1964) Ihre Reaktion
darauf ist geprägt von Vorwürfen gegen die Mutter, die sie vermeintlich im
Stich gelassen hat, und dem anhaltenden Fragen danach, wann sie wieder
zurückkommen werde.
Im Jugendalter sind es zunächst
einmal Ursachen, die mit dieser Entwicklungsphase des Menschen im
Zusammenhang stehen. Hier geht es die für dieses Alter typische Suche nach
Identität, um das Bestreben nach Autonomie, um die Auseinandersetzung mit
soziokulturellen Normen, um das Entstehen und Durchstehen von
Ablösungsprozessen und um die Integration sexueller Triebimpulse. Jedes
für sich aber auch alle miteinander können zu schweren Selbstwertkrisen
führen und sich dann in suizidale Ideen und Handlungen entwickeln. Kommt
dann u. U. noch ein Drogenproblem dazu, kann es zu einer mehr oder minder
starken akuten Suizidgefährdung kommen. Dabei scheinen sich bestimmte
Persönlichkeiten als besonders
gefährdet zu erweisen:
"Sowohl bei drogenabhängigen - die Sucht hat ja ebenfalls einen
autoaggressiven bzw. autodestruktiven Charakter -, als auch bei
selbstmordgefährdeten Kindern und Jugendlichen handelt es sich häufig um
labile, ich-schwache [sic!] Persönlichkeiten mit unreifen, häufig
überhöhten Vorstellungen über ihre Lebensziele und mit einem hohen
Selbstanspruch. Ihr Selbstwertgefühl ist aber gering; die Diskrepanz
zwischen übersteigerten Ansprüchen an sich selbst und dem herabgeminderten
Selbstvertrauen wird so bedrückend erlebt, dass für sie nur der Ausweg in
die Scheinwelt der Drogen oder in den »narzistisch-masochistischen
Triumph« (K. Horney) übrig bleibt, um das seelische Gleichgewicht
vermeintlich wiederherzustellen. Die Selbstunsicherheit ist Ausdruck der
verzerrten Beziehung, die die Kinder und Jugendlichen zu sich selbst, aber
auch zu ihrer Umwelt unterhalten. Ein belastbares Ich und stabile
Bindungen zu anderen können sich nicht ausbilden: die Betroffenen sind
einsam. [...] Selbstmordhandlungen basieren häufig auf archaischen
Vorstellungen von einer magischen Rückkehr in die vertraute Geborgenheit
der primären, Wohlbehagen und Beschützung garantierenden Mutter-Kind-
Beziehung." (Eggers
1984, S. 10f.)
Neben den entwicklungsbedingten Ursachen suizidaler Handlungen von
Kindern und Jugendlichen lassen sich, und dies verglichen mit jenen sogar
weitaus häufiger, im Vorfeld (Anamnese) "tiefgreifende Störungen der
Familiendynamik" beobachten, "die die eigentlichen Bedingungsfaktoren der
Suizidhandlungen darstellen." (ebd.
1984, S. 10)
Der
sozialpsychologische Ansatz von Jacobs (1974), gegen den zwar aus
verschiedenen Gründen Einwände erhoben worden sind (vgl.
Colla-Müller 1984, S.19) ,
beschreibt den Prozess suizidalen Verhaltens bei Jugendlichen in fünf
Stufen:
-
Vorhandensein einer lang andauernden Problemgeschichte, die in
der frühen Kindheit beginnt und bis in die Phase der
Adoleszenz reicht.
-
Eine weit über das Übliche hinausreichende Eskalation von Problemen
seit dem Eintritt ins Jugendalter.
-
Fortschreitendes Versagen von verfügbaren Anpassungstechniken, mit
denen der Jugendliche seine alten und neuen Probleme bewältigen könnte.
Dadurch kommt es zu einer immer größeren sozialen Isolierung des
Jugendlichen.
-
In den Tagen und Wochen vor dem Suizidversuch kommt es einer
kettenartigen Auflösung aller wesentlichen und bedeutungsvollen sozialen
Beziehungen.
-
Es kommt ein innerer Prozess in Gang, durch den der betroffene
Jugendliche den Suizid vor sich selbst rechtfertigt und die Kluft
zwischen Denken und Tat überbrückt.
Nach
Löchel (2002)
kann man 36 verschiedene präsuizidale Symptome bei Kindern und
Jugendlichen unterscheiden. Dabei sind die direkten und indirekten
Suizidankündigungen allerdings die wichtigsten Anzeichen. (vgl.
Wolfersdorf 2002, S. 137).
Im Umgang mit suizidgefährdeten Personen scheuen sich aber viele, "direkt
nach Suizidgedanken zu fragen. Dabei ist das direkte, offene und
ernsthafte Nachfragen die einzige Möglichkeit, Klarheit über die aktuelle
Situation zu bekommen." (ebd.)
-
indirekte Suizidankündigungen
-
direkte Suizidankündigungen
-
bestimmte
Tagebuchaufzeichnungen
-
Suizidvorbilder z. B. Idole
-
Suizidgedanken in der
Vorgeschichte (Anamnese)
-
Konkrete Vorstellungen über
Durchführung eines Suizidversuchs
-
Phantasien um das "Danach“
-
"Suizid bzw.
Katastrophen-Träume“
-
Suizidale
Zwangsvorstellungen
oder Impulse
-
Grübelzwänge
-
Sehnsucht, "weg zu sein“,
"auszuschlafen“
-
Gefühle der Ausweg- bzw.
Sinnlosigkeit
-
Gefühle der Einsamkeit,
Isolation oder Verzweiflung
-
Gefühle der Minderwertigkeit
-
Schuldgefühle, Selbstvorwürfe
-
Dysphorische Verstimmungen,
z. B. Bedrücktsein, Niedergeschlagenheit, Freudlosigkeit
-
Ängste
-
nicht suizidale
Zwangsvorstellungen
-
Subjektiver Eindruck, nicht
ausreichend geliebt zu sein
-
Lustlosigkeit,
Teilnahmslosigkeit
-
innere Unruhe, Getriebenheit
-
Gefühl des
"Nicht-traurig-sein- Könnens“, "innere Leere“
-
Stimmungsschwankungen
-
Psychosomatische Äquivalente
(physische Krankheitsbilder, die auf die Erkrankung der Seele
zurückzuführen sind)
-
Isolationstendenzen, "innerer
Rückzug“
-
Gereiztheit, Aggressivität
-
Zerstörungswut
-
Lügen
-
Stehlen
-
Polizeikontakte
-
Weglauftendenzen/Ausreißversuche
-
Leistungsabfall in der Schule
-
erhöhter Zeitaufwand für
Hausaufgaben
-
Schwierigkeiten mit
Mitschülern
-
Schwierigkeiten mit Lehrer
(in)
-
Einnahme von Drogen
Eine akute Suizidgefährdung von Kindern und Jugendlichen tritt
nach
Löchel (2002)
ein, "wenn zu den Symptomen des
präsuizidalen Syndroms und/oder den 'Warnsignalen'
zusätzliche Belastungsgrade
hinzutreten".
Bevor Suizidgedanken in die Tat umgesetzt werden, durchläuft die
Entwicklung nach
Pöldinger (1998) drei
Stadien:
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
06.04.2024
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