Über Sexualität angemessen, d. h. unter Berücksichtigung der
Kommunikationssituation und der jeweiligen -partner, zu sprechen, stellt für
viele ein größeres Problem dar. Oft fehlt einem einfach die "richtige"
Sprache und man spürt schnell heraus, dass die Worte, die einem dafür in den
Sinn kommen, in einer bestimmten Situation nicht angebracht sind.
- "Es ist ‘irgendwie unangenehm’;
- es fehlen die Worte oder es sind nur die ‘falschen’ Worte im
Angebot;
- es soll nicht zerredet werden, was ‘man doch fühlen muss ’;
- oder irgendwann ist ein Versuch gemacht worden, ‘darüber’ zu
reden, bei dem man lächerlich gemacht worden ist;"
(U. Sielert, u. Siegfried Keil 1993, S. 35)
"Let's talk about sex" ist ein Titel, der in den Medien immer wieder
herhalten muss, wenn das Thema publikums- und verkaufswirksam zur
Sprache gebracht werden soll. Der gleichnamige Song der
US-amerikanischen »R&B-
und »Hip-Hop-Band
(»Rap)
»Salt-n-Pepa
aus dem Jahr 1991 (»Google
Image SearchTM) wurde ein weltweiter Nummer-1--Hit und
führte auch die deutschen Charts zehn Wochen lang an. Der ebenso
lautende »Titel,
eines Filmes aus dem Jahr 1998, für den »Troy
Beyer das Drehbuch schrieb, Regie führte und eine der Hauptrollen
übernahm, fiel indessen beim Publikum und den Kritikern weitgehend
durch.
Doch selbst wenn der Refrain des Salt-n-Pepa-Songs eingängig ins Ohr
geht und zum Mitsingen einlädt, geschah und geschieht dies in
Deutschland zumindest in der Fremdsprache und löst natürlich die
Probleme nicht, auch wenn es im Song heißt: Let's tell it how it is,
and how it could be - How it was, and of course, how it should be (»Salt
'n- Pepa-Lyrics, 25.5.2012)
Es gibt kein Rezept dafür, wie man über Sexualität reden soll. Wie die
Menschen darüber sprechen geschieht eben sehr unterschiedlich: "Es wird leise, heimlich, lieblos, laut, oft schüchtern, nur unter
Freunden und Freundinnen, medizinisch, falsch, spitz, belehrend, geil,
weinend, witzig, gemein, kindisch und kindlich, klug und neunmalklug,
protzig und neugierig über und von Sexualität gesprochen." (U. Sielert, u. Siegfried Keil 1993, S. 35)
Und so unterschiedlich die Art und Weise ist, wie über Sexuelles gesprochen
wird, so verschieden ist auch die Sprache, die es jeweils zum Ausdruck
bringt. So gibt es
- "die ‘neutrale’ Sprache, die von ‘Geschlechtsverkehr’ redet;
- die Sprache der Verliebten;
- die romantische Sprache in Gedichten und Romanen;
- die Modesprache, die Motorräder und knackige Jungenhintern ‘echt geil’
findet;
- die medizinische, Schulbuch- und Aufklärungssprache, die von ‘Vagina’,
‘Penis’, möglicherweise im Zuge der Sexualaufklärung sogar von
‘Oralverkehr’ spricht;
- die Werbesprache, die empfiehlt, sich einen zu ‘noggern’;
- die Sprache beim Schimpfen, die jemanden als ‘Arschficker’ oder
‘Fotze’ bezeichnet;
- die ‘Macker-Sprache’, bei der Frauen zu ‘Schnallen’ und ‘Perlen’
werden." (ebd.)
Und über diese Aspekte hinaus gibt es natürlich auch Vielzahl anderer
Varianten des Redens über Sexualität. In jedem Fall jedoch hilft das
Sprechen über Sexualität, sich zu verstehen, wobei "das Reden von Sexualität
(...) zudem keinesfalls das Einzige (ist), was gut gelingen
sollte: Sich verstehen in Liebe und Lust passiert wesentlich im
Zusammenspiel der Gefühle und der Körper, hin und wieder auch ohne Worte."
(ebd.)
Für den Sexualforscher Norbert Kluge, der in den neunziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts eine Befragung von 1500 Personen in Deutschland
durchgeführt hat, räumte in einem Interview mit der Woche vom 9.5.97
ein, dass er selbst, wie die meisten anderen auch, häufig keine gescheiten
Ausdrücke finde, wenn er über Sexualität spreche. Allerdings sei doch viel
wichtiger, dass überhaupt über Sexualität gesprochen werden. Aber wenn eine
jugendliche Ausdrucksweise für Sexualverkehr wie z. B. "vögeln",
"bumsen" oder "ficken" in einer Aufklärungsbroschüre für Jugendliche
auftauchen würden, schlügen noch immer die Wellen hoch.
Heute (2012) dürfte dies, angesichts der Tatsache, dass in den Medien
derartige Ausdrücke längst hoffähig gemacht worden sind, wohl kaum noch so
für Aufregung sorgen. Wer heutzutage "noch mit Worten schockieren will, muss sich schon ziemlich Mühe
geben. Worte, die erröten lassen, sind selten geworden. Das »ficken« holt
schon lange keine und keinen mehr vom Hocker. Wer sich von diesem Wörtlein
pikiert zeigt, muss damit rechnen, als ein rechter »Klemmi«
hingestellt zu werden." (Preisendörfer
1993, S.87f.)
Das bedeutet indessen nicht, dass das Sprechen über Sexualität unbedingt
leichter geworden ist.
Das hat sogar damit zu tun, dass "der aktive Wortschatz zur Bezeichnung des so genannten sexuellen «Aktes«
auf die drei kläglichen Begriffe zusammengeschrumpelt (ist): »vögeln«,
»bumsen«, »ficken«. »Ficken« hält dabei den unbestrittenen Rekord.
Merkwürdigerweise wird dieses Wort auch im Sinne von besiegen, von
übertrumpfen, von »fertig machen« gebraucht. Wie oft erschallt nach einem
dieser Platzhirschkämpfe um die Überholspur der Autobahn in den fahrbaren
Ritterrüstungen das Triumphgeheul des Siegers: »Den hab' ich aber gefickt.«
Zu dieser Umwertung der Worte gehört konsequenterweise, dass »fertig machen«
wiederum von den Maulhelden der Potenz gern benutzt wird um auszudrücken,
was für Stiere sie sind. Mann fickt, wenn Mann fertig macht, und macht
fertig, wenn Mann fickt. Männer, die das Bett mit dem Bau verwechseln,
müssen übrigens damit rechnen, von ihren Frauen beim Wort genommen zu
werden. Derlei Sexualarbeit des Mannes an der Frau heißt dann beim
Damenkränzchen: »schuften lassen«. (ebd.),
In der Untersuchung Kluges aus dem Jahr 1997 kamen auch ein paar
interessante regionale Unterschiede beim Sprechen über Sexualität heraus. So
erwähnt Kluge zu dem (damals) unterschiedlichen Sprachgebrauch in Ost und
West: "In Ostdeutschland gab's Ausdrücke, die kannte ich gar nicht. Zum
Penis sagen sie 'Bobik', zur Vagina 'Mizinka'. Also: 'Bobik will in seine
Garage' und 'Mizinka braucht Bobik'. Oder 'näseln' und 'knieseln' für
'miteinander schlafen'." Aber auch andere regionale Unterschiede seien zu
beobachten gewesen. So benutzten die Bewohner in Rheinland-Pfalz von denen
Berlins, viermal weniger die Vulgärsprache als die Berliner.
Besonders auffällig hätten sich die Unterschiede zwischen Männern und Frauen
erwiesen: "Doppelt so viele Männer wie Frauen ", teilte Kluge mit, "
verwenden die Vulgärsprache, sagen also 'vögeln' oder 'bumsen'. Frauen
ziehen aber mit, wenn im Freundeskreis über Sex geredet wird. Dann verwenden
auch sie diese Wörter - vielleicht um nicht als verklemmt dazustehen. In der
Öffentlichkeit hingegen verwenden Frauen häufiger die Fachsprache. Sie sagen
z.B. häufig 'Sexualakt'."
Aber auch mit der Bezeichnung der Geschlechtsorgane beim Sprechen über
Sexualität tun sich viele schwer.
Auf jeden Fall werde "Penis" häufiger verwendet als "Glied".
"In
Haushalten mit kleinen Kindern wird der Ausdruck 'Penis' zu 47 Prozent
gebraucht. Bei den weiblichen Organen ist es grade andersherum: 70 Prozent
sagen 'Scheide', nur ganz wenige 'Vagina'." Vielleicht liege daran, meint
Kluge, dass
der Begriff "Glied" noch so viele andere Bedeutungen habe.
Die Erklärung für die Schwierigkeiten beim Sprechen über Sexuelles hat nach
Ansicht des Sexualwissenschaftlers "mit dem Tabugebot zu tun, da kommen wir
so schnell nicht raus. Aber es tut sich was. Wörter, die früher als
schmutzig galten, werden langsam salonfähig. "Eier" statt "Hoden" zum
Beispiel, das gehört für junge Leute schon zur Standardsprache. Ein Beweis
für die Dynamik von Sexualsprache." Allerdings, so kritisiert er die Praxis
an zahlreichen Schulen in Deutschland, trage die Sexualerziehung an den
Schulen wenig zur Verbesserung bei, solange noch "offenbar jeder Lehrer
denkt: Der Kollege macht's schon."
Anlässe um in der Schule über Sexualität zu reden oder das Sprechen über
Sexualität selbst zum Thema zu machen, gibt es indessen in einer weithin
sexualisierten Gesellschaft genügend. Sie aufzugreifen und jungen Menschen
bei der Entwicklung einer auch diesen Lebensbereich umfassenden
Sprachkompetenz zu verhelfen, ist und muss Aufgabe der Schule sein. Wer will
kann dies sogar im Grammatik-Unterricht tun, wie sich am Beispiel des
genderspezifischen
Gebrauch
transitiver Verben zur Bezeichnung des Geschlechtsverkehrs in der
Umgangssprache aufzeigen lässt. Und wer will kann bei der Behandlung von
Heinrich Bölls Erzählung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (München: dtv 1976)
die Stelle heranziehen (S.18:), in der Kommissar Beizmenne auf der Suche
nach einem vermeintlichen Terroristen bei der Erstürmung der Wohnung
Katharina Blums darüber enttäuscht ist, dass der Gesuchte geflohen ist: "Beizmenne
soll die aufreizend gelassen an ihrer Anrichte lehnende Katharina nämlich
gefragt haben: »Hat er dich denn gefickt«, woraufhin Katharina sowohl rot
geworden sein wie in stolzem Triumph gesagt haben soll: »Nein, ich würde es
nicht so nennen.«"
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
23.05.2024
→Achteck an Wolke
- Über Sexualität reden
(Interaktionsspiel)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
23.05.2024