Es ist noch nicht lange her, da redete man bestenfalls hinter
vorgehaltener Hand davon, wenn überhaupt. Und wer davon selbst betroffen
war, der bestritt nicht selten vehement, dass man das, was da in der
Kindheit oder Jugend geschehen war, so nennen könne.
Die Rede ist von
sexuellem Missbrauch von Jungen, überwiegend begangen von Männern, aber
auch von Frauen. "Jungen sind keine Opfer! Opfer sind weiblich!" (U.
Enders 1999) lautete bis in die achtziger Jahre hinein ein einfache
Gleichung, die das wachsende Bewusstsein gegenüber sexuellem Missbrauch
von Mädchen, aber auch die Ignorierung der Opferperspektive von Jungen
widerspiegelte.
Von den Frauen im Zuge der Frauenemanzipation der
siebziger und achtziger Jahre immer mehr ins Bewusstsein einer kritischen
Öffentlichkeit gerückt, stand der männliche - jugendliche wie erwachsene -
Täter am Pranger, duckten sich Männer, die selbst Opfer geworden waren,
weg und ermöglichten lange "eine »Koalition des Verschweigens« zwischen
Betroffenen, Tätern und Helfern." (Lenz
1999)
Und das herkömmliche Verständnis von Männlichkeit tat und
tut bis heute das Ihre dazu, damit dies auch weiter so bleibt. Denn
Mannsein und Opfersein, das hat Hans-Joachim Lenz (1999) hervorgehoben,
sind ein • "kulturelles Paradox. Entweder jemand ist Mann und dann ist er
kein Opfer, oder er ist Opfer und dann ist er kein Mann." (ebd.)
Dass Männer Täter sind und darüber hinaus im Vergleich zu Frauen eine
höhere Gewaltbereitschaft besitzen, gilt als Binsenwahrheit und irgendwie
sogar als "normal". Wo es zu leichten, gefährlichen oder schweren
Körperverletzungen kommt, sind über 5/6 aller Tatverdächtigungen
männlichen Geschlechts (2003: 85,5%).
In
der männlichen Sozialisation spielen nach
Böhnisch/Winter (1993,
S.128) acht verschiedene Bewältigungsprinzipien eine Rolle:
-
Externalisierung
-
Gewalt
-
Benutzung
-
Stummheit
-
Alleinsein
-
Körperferne
-
Rationalität
-
Kontrolle
Diese Prinzipien zeigen, wie sich die männliche Form der Weltaneignung
in einer patriarchalischen Gesellschaft vollzieht: als Herrschaft und
Kontrolle in Variationen von Unterwerfung, Sicherheben über Gegebenes oder
gewaltsame Veränderung von Gegebenem. (vgl.
Lenz 2004,
Meier-Seethaler 1988)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
23.05.2024