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Jungen können grundsätzlich ebenso wie Mädchen Opfer
sexueller Gewalt werden. Und die unmittelbaren
psychischen Folgen solcher
Übergriffe unterscheiden sich auch bei Jungen und Mädchen nicht besonders.
Insofern kann man wohl nicht ohne weiteres von einem geschlechtsspezifischen
Missbrauchssyndrom sprechen. (vgl.
Bange 1997). Richtet man
sein Augenmerk allerdings darauf, wie sich das Ganze weiterentwickelt,
dann treten solche geschlechtsspezifischen Unterschiede doch deutlicher hervor.
Viele Jungen reagieren auf sexuelle Gewalt mit Aggressivität und wollen
damit die Ohnmacht kompensieren, die sie erlebt haben. Sie reagieren im
Grunde so wie es das geschlechtsspezifischen Rollenangebots für Männer
vorsieht und wie es die Gesellschaft von männlichem Verhalten erwartet.
Die Opferperspektive ist dabei für einen Mann nicht vorgesehen: Denn
Mannsein und Opfersein, das hat
Hans-Joachim Lenz (1999)
hervorgehoben, sind ein "kulturelles Paradox. Entweder jemand ist Mann und
dann ist er kein Opfer, oder er ist Opfer und dann ist er kein Mann."
(ebd.) Daher hängt die Bewertung des Erlebten durch Jungen auch davon ab,
"ob sie ihr Empfinden mit dem, was sie für männlich halten, in
Übereinstimmung bringen können. Nichtzuletzt, weil Opfer zu sein als
unmännlich gilt, neigen hetero- und homosexuelle Männer dazu, "den
Missbrauch zu einvernehmlichen ersten sexuellen Erfahrungen“
umzudeuten,
die ihnen eigentlich nichts ausgemacht hätten. (Schlingmann
2003). Auch wenn ein Großteil der missbrauchten Jungen im
Erwachsenenalter immer noch steif und fest behauptet, keinerlei psychische
bzw. psychosomatische Folgen der sexuellen Übergriffe bei sich
festzustellen, sehen Wissenschaftler das eher als Folge der schwach
ausgebildeten Selbstwahrnehmung von Männern in diesem Bereich, zu der
sonst
auch die Missachtung eigener körperlicher Schwächen und Gebrechen zählt.
(vgl.
ebd.)
Werden Jungen dabei noch Opfer gleichgeschlechtlicher Übergriffe, kann sie
die Angst davor, selbst homosexuell zu sein oder so angesehen zu werden, u.
U. zu einer "Überidentifizierung mit dem männlichen Rollenstereotyp“
veranlassen. Sie
versuchen, sich fortan mit aggressivem oder gar delinquentem Verhalten
besonders "cool“ darzustellen. (Süsske
2001)
Daneben gibt es aber durchaus auch Jungen, die anders reagieren. Sie
empfinden eine starke Verunsicherung im Umgang mit anderen Menschen und
ziehen sich sozial sehr oder völlig zurück. (vgl.
Schlingmann 2003) Auch im
späteren Leben zeigen sich Männer, die als Jungen missbraucht worden sind,
häufig in ihren sozialen Beziehungen "massiv gestört, geprägt von den
Erfahrungen und Empfindungen des Verrats, Misstrauens, Unsicherheit und
Entfremdung.“ (Süsske
2001) Hinzu kommt, dass solche Männer häufig von ihren
Partnerinnen getrennt leben oder geschieden sind. Sie leben dann meist mit
der Angst vor längeren, emotional intensiven Beziehungen, inszenieren ihre
häufigen Beziehungsabbrüche selbst, nur um auf diese Weise "die Kontrolle
über die Situation zu behalten, nicht wieder in eine 'Opferrolle’ beim
möglichen Verlassen-werden zu geraten.“ (ebd.)
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