In einem Fünftel der Notfalleinsätze wird der Rettungsdienst
durch Schaulustige – speziell bei Verkehrsunfällen – behindert.
Jedes 6. Unfallopfer gerät dadurch in zusätzliche Gefahr.
Dies betrifft sowohl Behinderungen bei der Anfahrt (Fehlen einer
Rettungsgasse), als auch bei der Versorgung am Unfallort. Zuschauer
bedrängen die Retter körperlich wie verbal durch demotivierende
Kommentare, die konkrete Vorwürfe enthalten. Nach einer Studie der
Ruhruniversität Bochum zum Verhalten bei Unfällen wurde
festgestellt, dass 80% der Deutschen potentielle Gaffer sind. Eine
Untersuchung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST) zeigte, dass
bei 75% der Unfälle Schaulustige für die Behinderung verantwortlich
sind. Neu ist eine Steigerung, dass Zuschauer in aggressiver Weise
den Helfern gegenüber auftreten. Zunehmende Gewalt gegenüber
Einsatzkräften ist eine neue Dimension im Rettungsdienst.
Ausfluss der Sensationslust und der Voyeurismus sind
der Anspruch Not- und Unglücksfälle möglichst unmittelbar zu
erleben. Dabei wird auf die Arbeit des Rettungspersonals keine
Rücksicht genommen, stellt der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft
der in Bayern tätigen Notärzte Prof. Dr. med. Peter Sefrin
(Würzburg) fest. Gerade Jugendliche haben durch den Konsum von
bildhaften Darstellungen den Abstand zum persönlichen Leid der
Unfallopfer verloren. Deshalb geht der Vorschlag der Politik in
Person des Innenministers von Schleswig-Holstein Gaffer mit
drastischen Unfallbildern zu konfrontieren, an der Realität vorbei.
Diese Bilder findet jeder Fernsehzuschauer täglich zur besten
Sendezeit. Neugier ist zwar eine natürliche Eigenschaft des
Menschen, nur wenn sie zur aggressiven Voyeurismus mutiert, dann
wird es nicht nur für das Opfer, sondern auch für die Helfer
gefährlich. Neugier ist von Hause aus nicht negativ, vor allem, wenn
daraus bei Erkennen einer Hilfsbedürftigkeit eine konkrete Hilfe
resultieren könnte.
Von Patienten werden Zuschauer als unangenehm und belastend
empfunden. Aber auch Helfer empfinden Gaffer als Belastung und
teilweise als Bedrohung, wenn diese sie bei der Hilfeleistung
behindern. Obwohl es gesetzliche Möglichkeiten gibt Schaulustige,
die die Rettung behindern, vom Unfallort - durch Platzverweis oder
durch Bußgelder zu entfernen – ist dieses Verfahren für
Einsatzkräfte nicht umsetzbar. Für sie, aber auch die Polizei hat
die Hilfeleistung eine höhere Priorität, als das Verfolgen von
Gaffern.
Inzwischen ist es keine Seltenheit mehr, dass
Rettungskräfte die Polizei alarmieren müssen, um sich und den
Patienten vor aggressiven Gaffern zu schützen. Notarzt und Personal
werden heute nicht mehr nur als Helfer, sondern als Repräsentanten
einer Obrigkeit gesehen. Übergriffe bis zu körperlichen Angriffen
sind die Folge, wenn die Gaffer nicht in der unmittelbaren Nähe zum
Schadensereignis stehen können. Die Abstumpfung im Hinblick auf
schreckliche Schadensfälle zeigt sich auch darin, dass das Geschehen
mit Handys fotografiert oder als Video gespeichert wird, um es
hinterher im Internet zu veröffentlichen.
Die Notärzte Bayerns sehen sich nicht als Regulierer oder
Strafverfolger, sondern appellieren an Unfallzeugen ihre Inkompetenz
des Helfens durch aktive Auffrischung ihrer Erste-Hilfe-Kenntnisse
auszugleichen.
Presseerklärung der Arbeitsgemeinschaft der Notärzte in Bayern
(18.5.2010)
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Unfallgaffer
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