"Ohne
Gedächtnis sind wir nichts" hat der berühmte mexikanische
Filmregisseur »Luis
Buñuel (1900-1982) einmal über das ▪
Gedächtnis gesagt und damit die Sache auf den Punkt
getroffen. Die Welt, wie wir sie mit ihren Ereignissen und Objekten
wahrnehmen, ist in unserem Kopf, sagen wir
metaphorisch,
wenn wir im Alltag auf unser Gedächtnis schauen. Und dabei war das
keineswegs immer klar: Der griechische Philosoph
Aristoteles (384 v- Chr. – 322 v. Chr.), dem man ja bis heute
nicht abstreiten kann, dass er selbst ein außergewöhnlicher kluger
Kopf gewesen ist, glaubte ja noch, dass das ▪
Gehirn
eigentlich nur für die Aufwärmung unseres Blutes zuständig sei.
Wer kein Gedächtnis
hat, muss sich die Welt immer wieder neu erschaffen. Ohne unser
Gedächtnis, wüssten wir nicht wer, wir sind, ohne Gedächtnis könnten
wir nicht Radfahren, könnten kein Handy bedienen, fänden nicht mehr
nach Hause und würden nichts von dem wiedererkennen, was uns täglich
begegnet. Wer sein Gedächtnis verliert oder bestimmte
Gedächtnisfunktionen, also unter verschiedenen Formen von »Amnesie
leidet, ist also alles andere als zu beneiden. Ohne Gedächtnis
wissen wir nicht, wer wir sind.
Was passiert, wenn man seine Gedächtnisfähigkeit verliert
und keine neuen Erinnerungen mehr bilden kann, bringt der
Independent-Film
Memento (2000) des Regisseurs
Christopher Nolan (geb. 1970) zum Ausdruck, dessen Plot, auf der
der Kurzgeschichte »Memento
mori seines Bruders
Jonathan Nolan (geb. 1976) beruht. Die Hauptperson Leonard wird
darin in seinem Haus von einem Einbrecher überfallen und verliert
nach einem traumatischen Ereignis die Fähigkeit, neue Erinnerungen
zu bilden. Er leidet damit an der sogenannten »anterograden
Amnesie. Er kann sich zwar an alle Ereignisse erinnern, die vor
seinem traumatischen Erlebnis geschehen sind, Geschehnisse seiner
aktuellen Gegenwart kann er aber nicht mehr dauerhaft speichern.
Sobald er einen neuen Reiz wahrnimmt und sich seine Aufmerksamkeit
darauf richtet, zerfällt diese Erinnerung. Diese Form der Amnesie
hat weitreichende Folgen: "So trifft er beispielsweise ständig
Personen, denen er schon zuvor begegnet ist und die ihn oft
manipuliert haben, aber er erinnert sich weder an diese Personen,
noch kann er sich vor weiteren Manipulationen schützen." (Anderson
72013, S.117)
Solche und ähnliche
Erfahrungen sind heute auch bei Menschen dokumentiert, die aus
verschiedenen Gründen unter Amnesie leiden. Der Fall des britischen
Musikwissenschaftlers »Clive
Weaver, der mit einer »anterograden
Amnesie leben muss, kann sich nicht an Ereignisse erinnern, die
länger als ungefähr 20 Sekunden zurückliegen. Er begrüßt seine Frau
Deborah daher, weil er annimmt, er habe sie seit Jahren nicht
gesehen, bei jedem Zusammentreffen besonders intensiv und
überschwänglich, auch wenn sie nur für eine Minute aus dem Raum
gegangen ist. Weaver hat dabei das Gefühl, "ständig neu zu
Bewusstsein zu kommen und sich an nichts zu erinnern." (Gruber
22018, 2.2 Kurzzeitgedächtnis,
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