Einfach versus kompliziert
Das Gegensatzpaar Einfachheit und Kompliziertheit
beschreibt nach
Friedemann
Schulz von Thun (1981) zwei Pole von Textmerkmalen unter dem
Aspekt ihrer Verständlichkeit. Zugleich stellt es nach Ansicht des
Hamburger
Verständlichkeitsansatzes die wichtigste Dimension der
Verständlichkeit dar.
(vgl.
Langer
u. a. 1993, S.16)
Einfachheit als Eindrucksurteil
Grundsätzlich geht es bei den Polen Einfachheit und
Kompliziertheit nicht um die Frage, ob ein dargestellter Sachverhalt
selbst schwierig oder
einfach ist, sondern darum, ob eine "schwierige Materie" eben einfach oder
kompliziert in Worte gefasst wird.
Das von
Langer, von Thun und Tausch (1981)
entwickelte Kriterium der Einfachheit, das auch im kommunikationspsychologischen
Vier-Seiten-Modell
der Nachricht integriert ist, stellt allerdings kein linguistisches
Kriterium dar. Die Methoden zu seiner Messung basieren auf einem
"Eindrucksurteil" "geschulter Beurteiler" (von
Thun 1981, S.150).
Besonders leicht lassen sich komplizierte Texte in Formulierungen
finden, die an eine bestimmte Fachsprache angelehnt sind. Das hat
natürlich verschiedene Gründe.
-
Einer davon ist gewiss, dass sich Autoren
oft scheuen, komplexe, in einer Fachsprache vergleichsweise eindeutig
bezeichnete Sachverhalte in einer einfachen und verständlichen Sprache
wiederzugeben.
-
Sie bleiben dem Sprachgestus ihrer referierten Vorlagen
nicht zuletzt deshalb so verpflichtet, weil sie sich selbst nicht dem
Vorwurf mangelnden Verständnisses und einer fahrlässigen Vereinfachung
aussetzen wollen.
Beispiele
Wer einem anderen Gewalt
antut oder ihm mit einem Übel droht, um ihn damit zu zwingen, etwas
Bestimmtes zu tun zu unterlassen oder zu tun, kann sich strafbar
machen. Ein solches Vorgehen gegenüber einem anderen wird dann als
Nötigung bezeichnet. Ob eine Nötigung vorliegt, entscheidet ein
Gericht. Dieses muss nämlich beurteilen, ob der Einsatz von Gewalt
oder die Androhung eines Übels verwerflich ist. Das ist dann der
Fall, wenn das Gericht zu dem folgenden Schluss kommt: So kann man
nicht vorgehen, wenn man etwas Bestimmtes erreichen will. Das Ziel
rechtfertigt den Einsatz dieser Mittel nicht. Wer einen anderen
nötigt, kann dafür bis zu drei Jahre in Haft kommen oder muss eine
Geldstrafe bezahlen. |
Nötigung ist nach »§ 240
Abs. 2 StGB ein Straftatbestand, der zum Schutz der Freiheit der
Willensentscheidung und Willensbestätigung des einzelnen im
Strafgesetzbuch mit Freiheitsentzug von bis zu drei Jahren oder mit
Geldstrafe sanktioniert wird, wenn ein Gericht feststellt, dass
Gewalt oder die Drohung mit einem bestimmten Übel, um jemanden zu
einer Handlung. Duldung oder Unterlassung zu bewegen, verwerflich
und damit nicht sozialadäquat, d. h. in einer sozial angemessenen
Relation von Nötigungsmittel und Nötigungsziel, eingesetzt wird. |
Einfachheit |
Kompliziertheit |
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Alles ist gut zu verstehen.
-
kurze Sätze
-
bekannter Wortschatz
-
Erklärung von Fachwörtern
-
Anschaulichkeit
-
Sprechen wie ein
"normaler" Mensch, nicht wie ein Gelehrter
|
-
Im Allgemeinen schwer zu
verstehen.
-
komplizierte und z. T.
verschachtelte Satzkonstruktionen
-
Zahlreiche Verwendung von nicht
genauer erklärten Fach- und Fremdwörtern
-
Sprechen auf einem hohen,
gelehrt wirkenden Sprachniveau
|
(vgl.
von
Thun 1981, S.143)
Die Kategorie der sprachlichen Einfachheit als
Verständlichkeitsstrategie
Ein etwas anders zusammengesetzten Katalog von
Christmann/Groeben
(1999, S.183) nennt im Konzept der ▪
Verständlichkeitsstrategie "Sprachliche
Einfachheit" die folgenden Aspekte:
-
Kurze, geläufige und konkrete Wörter erleichtern die Verständlichkeit ;
aber: zu große Anhäufung macht Texte langweilig
-
Konkret/anschauliche Wörter werden besser behalten als abstrakte
Wörter; Ursache: zweifache Kodierung (bildhaft und verbal)
-
Konkrete Texte werden besser behalten, erleichtern die
satzübergreifende Verständnis und führen zu präziseren
Schlussfolgerungen; (bei kurzen Texten nachgewiesen)
-
Konkrete/anschauliche Texte können besser reproduziert werden,
unabhängig davon, ob ein Text eher oberflächlich oder gründlicher
verarbeitet werden soll.
-
Bei allen Textlängen zwischen 25 und 265 Wörtern ist die Konkretheit
wichtiger für das Textverständnis als die Interessantheit oder
Vertrautheit eines Textes.
-
Konkrete Informationen werden auch nach längerer Zeit noch besser
erinnert als abstrakte.
-
Verschachtelte Sätze, eingebettete
Relativsätze,
Nominalisierungen
und überlange Sätze erschweren das Verständnis.
Unter
textlinguistischer
Perspektive ist die Verständlichkeit von Texten von
Kohäsion
und
Kohärenz
auf der
Textoberflächen-
bzw.
Texttiefenstruktur
abhängig. Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.12.2023
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