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Visuelle
Wahrnehmung
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Der Vorgang des Sehens
Auch wenn wir
gewisse visuelle Informationen über unsere Umwelt auch ohne
ausgesprochene Aufmerksamkeitsleistung bzw. -zuwendung aufnehmen
können (präattentive
Verarbeitung), gilt die Aussage doch, "dass die bewusste
Wahrnehmung von der Umwelt abhängig ist." (Goldstein
2002, S. 132f., Hervorh. d. Verf.) So kann man etwas
vereinfachend sagen: Ohne ▪
Aufmerksamkeit kein bewusstes Sehen.
Präattentive Verarbeitung
Es gibt ▪
distale Reize, die wir, quasi ohne Aufmerksamkeit und ohne
Bewusstsein, aus unserer Umgebung aufnehmen. Dies geschieht im
Prozess der
präattentiven Verarbeitung. Darunter versteht man
Verarbeitungsprozesse, bei denen die sensorischen Impulse das Gehirn
erreichen, ehe wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten.
So können bestimmte
Objekte aus der Umwelt, die durch ein einziges
augenfälliges (salientes)
Merkmal bestimmt sind, sehr schnell finden, während bei
anderen Objekte dies nicht so leicht fällt. So können z. B.die
meisten Menschen etwas Quadratisches leichter finden als etwas
Kreisförmiges, Magentafarbenes leichter als Rotes.
In diesem
Zusammenhang spricht man von einer unterschiedlichen
Salienz einzelner Merkmale. Die Vorliebe
für Quadrate hat man damit erklärt, dass es auffällige Winkel
besitzt, die Vorliebe für Magentafarbenes damit, dass diese Farbe
von einer Norm der Umgebung abweicht. (vgl.
Zimbardo/Gerrig 2003, S. 173)
Veränderung der
Informationsverarbeitung durch die Aufmerksamkeit
Im
Bereich der visuellen Wahrnehmung spielen Aufmerksamkeitsprozesse
eine besonders große Rolle. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich
70% aller Sinneszellen des Menschen im Auge befinden (vgl.
Campbell/Reece 2003, S. 1272), wodurch die herausragende Rolle
der visuellen Wahrnehmung im biologischen Design des Menschen
unterstrichen wird.
Dass wir unsere
visuelle Aufmerksamkeit auf ein Objekt unserer Umwelt richten können
(= ▪
gerichtete bzw. selektive Aufmerksamkeit) oder auch einfach "ins
Leere schauen" können, ist uns aus unserer alltäglichen Erfahrung
bekannt.
Zahlreiche
wissenschaftliche Untersuchungen haben aber mittlerweile belegt,
dass wir im Allgemeinen nur das sehen können, worauf sich unsere
visuelle Aufmerksamkeit
richtet.
Das Phänomen der
Veränderungsblindheit (change blindness)
Besonders
interessant in diesem Zusammenhang sind Untersuchungen, die die so
genannte Blindheit für
Veränderungen (change blindness)
analysiert haben.
Daniel Levin und
Daniel Simmons (1997) haben das am Beispiel einer Videosequenz sehr
gut herausgearbeitet. In dieser Sequenz unterhalten sich zwei
Frauen, die sich an einem Tisch gegenübersitzen. Zwischen den
Einstellungen wurden verschiedene Änderungen bei den
Gegenständen (Requisiten), Körperpositionen oder bei der Kleidung
vorgenommen, die auch dann nur von einem Viertel der Teilnehmer des
Experiments wahrgenommen werden konnten, als ihnen das Video mit
Hinweisen darauf erneut gezeigt wurde.
Dies beweist
offenbar, dass "wir im Erleben ein allgemeines Bild unserer Umgebung
und der Objekte in ihr (haben), wir haben aber weniger Details
daraus verfügbar als wir annehmen." (Goldstein
2002, S. 133)
Allgemein lässt
sich sagen: Die Aufmerksamkeit verändert die
Informationsverarbeitung auf den verschiedenen Stufen des visuellen
Systems. (vgl.
Goldstein 2002, S. 132ff.)
Das Bindungsproblem:
Wie wird aus "Rollen", "Rotsein", "Rundsein" und "Bewegung" ein rollender
roter Ball?
Auch wenn die Forschung mittlerweile bahnbrechende Erkenntnisse
im Bereich der Wahrnehmung gewonnen hat, bleiben ungelöste und
strittige Probleme, die vor allem das so genannte ▪
Bindungsproblem betreffen. Hinter diesem Begriff steht die
Frage, " wie die Informationen zusammengefasst werden, die in den
neuronalen Prozessen im Cortex verteilt
sind, um schließlich die Einheit der Wahrnehmung zu erreichen, zum
Beispiel das Sehen eines kohärenten Gegenstandes." (Goldstein
2002, S. 141) Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.12.2023
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