▪
Drudeln
Eine der wichtigsten Fragen, mit
denen sich die ▪ Wahrnehmungspsychologie
beschäftigt, ist die Frage, wie wir Objekte aus unserer Umwelt
erkennen (identifizieren) und wiedererkennen können. Was sagt uns,
ist z. B. die Frage, dass das Objekt, vor dem wir stehen, ein Baum
ist, und wo dieser und wir selbst eigentlich zu dem Zeitpunkt, an
dem wir ihn sehen, uns eigentlich befinden. Festzustehen scheint
jedenfalls, das zeigen z. B. die Wahrnehmungskonstanzen, dass die
Interpretation bzw. die Zuordnung des Wahrgenommenen zu Kategorien
keine rein Leistung höherer Verarbeitungsformen von Informationen in
unserem kognitiven System darstellt, Objektidentifikation und
Objektwiedererkennung keine rein postperzeptiven Leistungen sind.
(vgl. Müsseler
2017, S.33)
Im wesentlichen
stehen sich bei Ansätzen, die Fragen, "wie die Inhalte des
Wahrnehmungsprozesses mit der Wissensrepräsentation überhaupt in
Verbindung treten" (ebd.)
erklären wollen, zwei verschiedene Theorien gegenüber:
-
Die Theorie des
sogenannten Schablonenvergleichs
(template matching), die
mittlerweile aber kaum noch Anhängerinnen* findet, geht davon
aus, dass ein konkretes Objekt wie z. B. der schon genannte
Baum, mit einer in unserem Wissensgedächtnis gespeicherten
Schablone (Prototyp) für dieses Objekt dadurch verglichen wird,
dass man quasi die Schablone darüberlegt und dann feststellt, ob
sich das jeweilige Objekt mit der ausgewählten Schablone deckt.
Dass man dabei davon ausgehen muss, dass in unserem Gedächtnis
eine gewissermaßen unendliche Anzahl von Schablonen gespeichert
sind, hat u. a. dazu geführt, dass man von dieser Vorstellung
Abstand genommen hat. Ferner hat man kritisiert, dass solche
Schablonen der Vielzahl von Erscheinungen, man denke dabei nur
daran, wie ein Buchstabe in unterschiedlichen Schriftarten, aber
auch hinsichtlich seiner Ausrichtung aussehen kann, nicht ohne
weitere Verarbeitungsprozesse (Angleichungsprozesse) gerecht werden können.
-
Die
Merkmalsanalyse (feature
analysis) erweist sich, auch wenn sie auch nicht alle Fragen
hinreichend beantworten kann, im Vergleich zur Schablonentheorie
deutlich flexibler. Ihre Grundannahme besteht darin, "dass sich
Objekte bzw. Figuren durch kritische Merkmale (bzw. deren
Kombinationen) voneinander unterscheiden" (ebd.).
Dabei geht man im Anschluss an die Forschungsarbeiten von »David
H. Hubel (1926-2013) und »Thorsten
N. Wiesel (*1924) (z. B.
1959,
1968), die dafür 1981 den »Nobelpreis
erhielten, davon aus, dass im visuellen Cortex unseres ▪
Gehirns
"Neuronenkreise" (Bourne/Ekstrand
2005, S.96) aktiv sind, "die wie Detektoren arbeiten". (ebd.)
Was es damit auf sich hat, lässt sich mit dem sogenannten
▪ Pandämoniummodell (»pandemonium
architecture) zeigen, das »Oliver
Selfridge (1926-2008) (1959)
in metaphorischer Form für die Existenz und die Arbeit von neuralen
Kreisen und neuralen Merkmalsdetektoren entwickelt hat.
Distale Reize werden
mit unserem gespeicherten Wissen verglichen
Die bewusste
Wahrnehmung kann nur funktionieren, wenn wir die auf den ersten
Stufen neuronaler Verarbeitung ermittelten Informationen über die
physikalischen Eigenschaften des
distalen Reizes mit unseren Erfahrungen, unserem gespeicherten (generischen)
Wissen (deklaratives
Wissen,
konzeptuelles Wissen,
prozedurales
Wissen,
episodisches
Wissen,
Weltwissen etc.)
darüber vergleichen.
Schnell erkennen
wir dann in der Umwelt Vertrautes und können diesen Perzepten
(Wahrnehmungseindrücken) auf dem Weg der Identifikation mit unseren
gespeicherten Vorstellungen darüber eine bestimmte Bedeutung geben.
Prozesse der
neuronalen Verarbeitung der Wahrnehmungsprozesse
Der neuronale
Prozess der Identifikation und des Wiedererkennens kann auf zwei
verschiedenen Arten erfolgen, nämlich als ▪
Bottom-up und Top-down-Verarbeitungsprozesse.
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Die
Bottom-up-Verarbeitung oder
datengesteuerte Verarbeitung ist eine Form der
Wahrnehmungsanalyse, bei der sensorische Daten mit bestimmten
physikalischen Reizmerkmalen an das ▪
Gehirn
weitergeleitet werden. Dabei werden diese Daten so transformiert,
damit sie im Gehirn in abstrakter Form repräsentiert werden können.
Die Top-down-Verarbeitung oder
konzeptgesteuerte Verarbeitung ist dagegen eine Form der
Wahrnehmungsanalyse, die höhere mentale Prozesse zur Identifikation
und Wiedererkennung von Objekten oder Ereignissen heranzieht. Bei
dieser Art von Verarbeitung kommen also unsere Erfahrungen, unser
Wissen, unsere Motive und unsere kulturelleren Dispositionen ins
Spiel. Ausgangspunkt der kognitiven Verarbeitung der Perzepte sind
bei diesem Verarbeitungsprozess Konzepte oder Hypothesen (daher auch
hypothesengesteuerte
Verarbeitung genannt), mit denen wir den Perzepten Bedeutung
verleihen. (vgl.
Zimbardo/Gerrig 2003, S. 194).
Prozesse der
Wiederkennung bei der Verarbeitung distaler Reize
In der ▪
Gedächtnispsychologie werden grundsätzlich zwei verschiedene
Prozesse beim Wiedererkennen bzw. der Identifikation: (volle)
Erinnerung (recollection) und Vertrautheit (familarity)
Mit
dem Begriff Recollection (= Erinnerung) werden Wiedererkennungs- und
Identifkationsprozesse bezeichnet, die zu so genannten
Remember-Urteilen
führen. Solche Urteile beruhen darauf, dass wir uns "voll und ganz"
an ein Objekt, eine Person, einen Ort etc. erinnern, wenn wir den
distalen Reiz verarbeiten.
Das Remember-Urteil
könnte an dem simplen Beispiel der obigen Darstellung etwa so
ausfallen: "Ich kann mich genau/bewusst daran erinnern, dass ich
gesehen habe, wie die Kerze gebrannt hat." Und: "Ich weiß,
das deshalb noch so genau, weil, als ich in den Raum kam, der
Raum nur von diesem Kerzenlicht erleuchtet war." Mit der
Kontextinformation werden weitere Informationen eingebracht, die aus
unserem ▪
episodischen Gedächtnis stammen, in dem spezifische individuelle
Ereignisse gespeichert werden.
Neben
Recollection-Prozessen gibt es aber auch ein Wiedererkennen von
Objekten, Personen, Orten etc
Ein typisches
Know-Urteil stellt die Abbildung dar. Im Bus will
der Mann eine Frau, deren Gesicht ihm bekannt vorkommt, namentlich
begrüßen, kann sich aber nicht genau erinnern, wer sie ist und
folglich auch nicht, wie sie heißt. Erst später, als die peinliche
Situation schon hinter ihm liegt, fällt ihm wieder ein, dass es sich
um die Frau des Metzgers handelt, die ihn tags zuvor bei der Auswahl
von Grillfleisch beraten hat. Diese bekannte Anekdote (butcher-in-the-bus)
verdeutlicht auch, wie diese Art der Wiedererkennung funktioniert.
Um sich wieder zu erinnern, greift der Mann auf sein ▪
episodischen Gedächtnis zurück. Es kann aber auch vorkommen,
dass man z. B. einer prominenten Person begegnet, die man noch nie
persönlich getroffen hat, und zunächst auch nicht weiß, wer sie ist.
Erst kurze Zeit später kann man dann manchmal ihren Namen und andere
Informationen über sie aus dem ▪
semantischen Gedächtnis abrufen, wenn der Augenblick, um ein
Selfie zu bitten, schon verstrichen ist. (vgl.
Wentura/Frings 2013, S.117f., S.124)
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Drudeln
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.12.2023
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