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Gesamttext
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5. Aufzug
Platz in Brüssel
Jetter und ein Zimmermeister
treten zusammen.
ZIMMERMEISTER. Sagt' ich's
nicht voraus? Noch vor acht Tagen auf der Zunft sagt' ich, es würde
schwere Händel geben.
JETTER. Ist's denn wahr,
dass sie die Kirchen in Flandern geplündert haben?
ZIMMERMEISTER. Ganz und gar
zugrunde gerichtet haben sie Kirchen und Kapellen. Nichts als die vier
nackten Wände haben sie stehen lassen. Lauter Lumpengesindel! Und das
macht unsre gute Sache schlimm.
Wir hätten eher, in der Ordnung und
standhaft, unsere Gerechtsame der Regentin vortragen und drauf halten
sollen.
Reden wir jetzt, versammeln wir uns jetzt, so heißt es, wir
gesellen uns zu den Aufwieglern.
JETTER. Ja, so denkt jeder
zuerst: was sollst du mit deiner Nase voran? hängt doch der Hals gar nah
damit zusammen.
ZIMMERMEISTER. Mir ist's
bange,
wenn's einmal unter dem Pack zu lärmen anfängt, unter dem Volk, das
nichts zu verlieren hat. Die brauchen das zum Vorwande, worauf wir uns
auch berufen müssen, und bringen das Land in Unglück.
(Soest tritt dazu.)
SOEST. Guten Tag, ihr
Herrn! Was gibt's Neues? Ist's wahr, dass die Bilderstürmer gerade hierher
ihren Lauf nehmen?
ZIMMERMEISTER. Hier sollen
sie nichts anrühren.
SOEST. Es trat ein Soldat
bei mir ein, Tobak zu kaufen - den fragt' ich aus. Die Regentin, so eine
wackre kluge Frau sie bleibt, diesmal ist sie außer Fassung. Es muss sehr
arg sein, dass sie sich so geradezu hinter ihre Wache versteckt. Die Burg
ist scharf besetzt. Man meint sogar,
sie wolle aus der Stadt flüchten.
ZIMMERMEISTER. Hinaus soll
sie nicht! Ihre Gegenwart beschützt uns, und wir wollen ihr mehr
verschaffen als ihre Stutzbärte. Und
wenn sie uns unsere Rechte und
Freiheiten aufrechterhält, so wollen wir sie auf den Händen tragen.
(Seifensieder tritt dazu.)
SEIFENSIEDER.
Garstige
Händel! Üble Händel! Es wird unruhig und geht schief aus! -
Hütet euch, dass ihr stille bleibt, dass man euch nicht auch
für Aufwiegler hält.
SOEST. Da kommen die sieben
Weisen aus Griechenland.
SEIFENSIEDER. Ich weiß, da
sind viele, die es heimlich mit den Calvinisten halten, die auf die
Bischöfe lästern, die den König nicht scheuen.
Aber ein treuer Untertan,
ein aufrichtiger Katholike! -
(Es gesellt sich nach und nach allerlei Volk zu ihnen und horcht. -
Vansen tritt dazu.)
VANSEN. Gott grüß' euch
Herren! Was Neues?
ZIMMERMEISTER. Gebt euch
mit dem nicht ab, das ist ein schlechter Kerl.
JETTER. Ist es nicht der
Schreiber beim Doktor Wiets?
ZIMMERMEISTER. Er hat schon
viele Herren gehabt. Erst war er Schreiber, und wie ihn ein Patron nach
dem andern fortjagte, Schelmstreiche halber, pfuscht er jetzt Notaren und
Advokaten ins Handwerk und ist ein Branntweinzapf.
(Es kommt mehr Volk zusammen und steht truppweise.)
VANSEN. Ihr seid auch
versammelt, steckt die Köpfe zusammen. Es ist immer redenswert.
SOEST. Ich denk auch.
VANSEN. Wenn jetzt einer
oder der andere Herz hätte, und einer oder der andere den Kopf dazu:
wir
könnten die spanischen Ketten auf einmal sprengen.
SOEST. Herre! So müsst Ihr
nicht reden. Wir haben dem König geschworen.
VANSEN.
Und der König uns.
Merkt das.
JETTER. Das lässt sich
hören! Sagt Eure Meinung.
EINGE ANDERE. Horch,
der versteht's. Der hat Pfiffe.
VANSEN.
Ich hatte einen
alten Patron, der besaß Pergamente und Briefe von uralten Stiftungen,
Kontrakten und Gerechtigkeiten; er hielt auf die rarsten Bücher. In einem
stand unsere ganze Verfassung: wie uns Niederländer
zuerst einzelne
Fürsten regierten, alles nach hergebrachten Rechten, Privilegien und
Gewohnheiten; wie unsre Vorfahren alle Ehrfurcht für ihren Fürsten gehabt,
wenn er sie regiert, wie er sollte; und wie sie sich gleich vorsahen, wenn
er über die Schnur hauen wollte. Die Staaten waren gleich hinterdrein:
denn jede Provinz, so klein sie war, hatte ihre Staaten, ihre Landstände.
ZIMMERMEISTER.
Haltet Euer
Maul! das weiß man lange! Ein jeder rechtschaffene Bürger
ist, so viel er
braucht, von der Verfassung unterrichtet.
JETTER.
Lasst ihn reden; man
erfährt immer etwas mehr.
SOEST. Er hat ganz recht.
MEHRERE. Erzählt! erzählt!
So was hört man nicht alle Tage.
VANSEN.
So seid ihr
Bürgersleute! Ihr lebt nur so in den Tag hin; und wie ihr euer Gewerb' von
euern Eltern überkommen habt,
so lasst ihr auch das Regiment über euch
schalten und walten, wie es kann und mag. Ihr fragt nicht nach dem
Herkommen, nach der Historie, nach dem Recht eines Regenten; und über das
Versäumnis haben euch die Spanier das Netz über die Ohren gezogen.
SOEST. Wer denkt da dran?
wenn einer nur das tägliche Brot hat.
JETTER. Verflucht! Warum
tritt auch keiner in Zeiten auf und sagt einem so etwas?
VANSEN. Ich sag es euch
jetzt. Der König in Spanien, der die Provinzen durch gut Glück zusammen
besitzt, darf doch nicht drin schalten und walten anders als die kleinen
Fürsten, die sie ehemals einzeln besaßen. Begreift ihr das?
JETTER. Erklärt's uns.
VANSEN. Es ist so klar als
die Sonne.
Müsst ihr nicht nach euern Landrechten gerichtet werden?
Woher
käme das?
EIN BÜRGER. Wahrlich!
VANSEN. Hat der
Brüsseler
nicht ein ander Recht als der Antwerper? der Antwerper als der Genter?
Woher käme denn das?
ANDERER BÜRGER. Bei Gott!
VANSEN. Aber, wenn ihr's so
fortlaufen lasst, wird man's euch bald anders weisen. Pfui! Was Karl der
Kühne, Friedrich der Krieger, Karl der Fünfte nicht konnten,
das tut nun
Philipp durch ein Weib.
SOEST. Ja, ja! Die alten
Fürsten haben's auch schon probiert.
VANSEN. Freilich! -
Unsere
Vorfahren passten auf. Wie sie einem Herrn gram wurden, fingen sie ihm etwa
seinen Sohn und Erben weg, hielten ihn bei sich und gaben ihn nur auf die
besten Bedingungen heraus. Unsere Väter waren Leute! Die wußten, was ihnen
nütz war! Die wussten etwas zu fassen und festzusetzen! Rechte Männer!
Dafür sind aber auch unsere Privilegien so deutlich, unsere Freiheiten so
versichert.
SEIFENSIEDER. Was sprecht
Ihr von Freiheiten?
DAS VOLK. Von unsern
Freiheiten, von unsern Privilegien!
Erzählt noch was von unsern
Privilegien.
VANSEN. Wir Brabanter
besonders, obgleich alle Provinzen ihre Vorteile haben, wir sind am
herrlichsten versehen. Ich habe alles gelesen.
SOEST. Sagt an.
JETTER. Lasst hören.
EIN BÜRGER. Ich bitt Euch.
VANSEN.
Erstlich steht
geschrieben: Der Herzog von Brabant soll uns ein guter und getreuer Herr
sein.
SOEST. Gut! Steht das so?
JETTER. Getreu? Ist das
wahr?
VANSEN. Wie ich euch sage.
Er ist uns verpflichtet, wie wir ihm. Zweitens:
Er soll keine Macht oder
eignen Willen an uns beweisen,
merken lassen, oder gedenken zu gestatten,
auf keinerlei Weise.
JETTER.
Schön! Schön! nicht
beweisen.
SOEST.
Nicht merken
lassen.
EIN ANDERER. Und nicht
gedenken zu gestatten! Das ist der Hauptpunkt. Niemanden gestatten, auf
keinerlei Weise.
VANSEN. Mit ausdrücklichen
Worten.
JETTER. Schafft uns das
Buch.
EIN BÜRGER. Ja, wir
müssen's haben.
ANDERE.
Das Buch! das Buch!
EIN ANDERER.
Wir wollen zu
der Regentin gehen mit dem Buche.
EIN ANDERER. Ihr sollt das
Wort führen, Herr Doktor.
SEIFENSIEDER.
O die Tröpfe!
ANDERE. Noch etwas aus dem
Buche!
SEIFENSIEDER. Ich
schlage
ihm die Zähne in den Hals, wenn er noch ein Wort sagt.
DAS VOLK. Wir wollen sehen,
wer ihm etwas tut. Sagt uns was von den Privilegien! Haben wir noch mehr
Privilegien?
VANSEN. Mancherlei, und
sehr gute, sehr heilsame. Da steht auch:
Der Landsherr soll den
geistlichen Stand nicht verbessern oder mehren, ohne Verwilligung des
Adels und der Stände! Merkt das! Auch den Staat des Landes nicht
verändern.
SOEST. Ist das so?
VANSEN. Ich will's euch
geschrieben zeigen, von zwei-, dreihundert Jahren her.
BÜRGER. Und wir leiden
die
neuen Bischöfe? Der Adel muss uns schützen, wir fangen Händel an!
ANDERE. Und wir lassen uns
von der Inquisition ins Bockshorn jagen?
VANSEN. Das ist eure
Schuld.
DAS VOLK.
Wir haben noch
Egmont! noch Oranien! Die sorgen für unser Bestes!
VANSEN.
Eure Brüder in
Flandern haben das gute Werk angefangen.
SEIFENSIEDER.
Du Hund!
(Er schlägt ihn.)
ANDERE (widersetzen sich
und rufen). Bist du auch ein Spanier?
EIN ANDERER. Was? den
Ehrenmann?
EIN ANDERER. Den Gelahrten?
(Sie fallen den Seifensieder an.)
ZIMMERMEISTER. Um's Himmels
willen, ruht!
(Andere mischen sich in den Streit.)
ZIMMERMEISTER. Bürger, was
soll das?
(Buben pfeifen, werfen mit Steinen, hetzen Hunde an, Bürger stehn und
gaffen, Volk läuft zu, andere gehn gelassen auf und ab, andere treiben
allerlei Schalkspossen, schreien und jubilieren.)
ANDERE.
Freiheit und
Privilegien! Privilegien und Freiheit!
(Egmont tritt auf mit Begleitung.)
EGMONT.
Ruhig! Ruhig,
Leute! Was gibt's? Ruhe! Bringt sie aus einander!
ZIMMERMEISTER. Gnädiger
Herr, Ihr kommt wie ein Engel des Himmels. Stille! seht ihr nichts? Graf
Egmont! Dem Grafen Egmont Reverenz!
EGMONT. Auch hier? Was
fangt ihr an? Bürger gegen Bürger! Hält sogar die Nähe unsrer königlichen
Regentin diesen Unsinn nicht zurück?
Geht auseinander, geht an euer
Gewerbe. Es ist ein übles Zeichen, wenn ihr an Werktagen feiert. Was
war's?
(Der Tumult stillt sich nach und nach, und alle stehen um ihn herum.)
ZIMMERMEISTER. Sie schlagen
sich um ihre Privilegien.
EGMONT. Die sie noch
mutwillig zertrümmern werden - Und wer seid Ihr? Ihr scheint mir
rechtliche Leute.
ZIMMERMEISTER. Das ist
unser Bestreben.
EGMONT. Eures Zeichens?
ZIMMERMEISTER. Zimmermann
und Zunftmeister.
EGMONT. Und Ihr?
SOEST. Krämer.
EGMONT. Ihr?
JETTER. Schneider.
EGMONT. Ich erinnere mich,
Ihr habt mit an den Livreen für meine Leute gearbeitet. Euer Name ist
Jetter.
JETTER. Gnade, dass Ihr Euch
dessen erinnert.
EGMONT.
Ich vergesse
niemanden leicht, den ich einmal gesehen und gesprochen habe. - Was an
euch ist, Ruhe zu erhalten, Leute, das tut; ihr seid übel genug
angeschrieben.
Reizt den König nicht mehr, er hat zuletzt doch die Gewalt
in Händen. Ein ordentlicher Bürger, der sich ehrlich und fleißig nährt,
hat überall so viel Freiheit, als er braucht.
ZIMMERMEISTER. Ach wohl!
das ist eben unsre Not! Die Tagdiebe, die Söffer, die Faulenzer, mit Euer
Gnaden Verlaub, die stänkern aus Langerweile und scharren aus Hunger nach
Privilegien und lügen den Neugierigen und Leichtgläubigen was vor, und um
eine Kanne Bier bezahlt zu kriegen, fangen sie Händel an, die viel tausend
Menschen unglücklich machen. Das ist ihnen eben recht.
Wir halten unsre
Häuser und Kasten zu gut verwahrt; da möchten sie gern uns mit
Feuerbränden davontreiben.
EGMONT. Allen Beistand
sollt ihr finden; es
sind Maßregeln genommen, dem Übel kräftig zu
begegnen. Steht fest gegen die fremde Lehre und
glaubt nicht, durch
Aufruhr befestige man Privilegien. Bleibt zu Hause;
leidet nicht, daß sie
sich auf den Straßen rotten. Vernünftige Leute können viel tun.
(Indessen hat sich der größte Haufe verlaufen.)
ZIMMERMEISTER. Danken Euer
Exzellenz, danken für die gute Meinung! Alles, was an uns liegt.
(Egmont ab.) Ein gnädiger Herr! der echte Niederländer! Gar so nichts
Spanisches.
JETTER. Hätten wir ihn nur
zum Regenten! Man folgt' ihm gerne.
SOEST. Das lässt der König
wohl sein. Den Platz besetzt er immer mit den Seinigen.
JETTER.
Hast du das Kleid
gesehen? Das war nach der neuesten Art, nach spanischem Schnitt.
ZIMMERMEISTER.
Ein schöner
Herr!
JETTER.
Sein Hals wär' ein
rechtes Fressen für einen Scharfrichter.
SOEST. Bist du toll? was
kommt dir ein!
JETTER. Dumm genug, dass
einem so etwas einfällt. - Es ist mir nun so. Wenn ich einen schönen
langen Hals sehe, muss ich gleich wider Willen denken:
der ist gut köpfen.
- Die verfluchten Exekutionen! man kriegt sie nicht aus dem Sinne. Wenn
die Bursche schwimmen, und ich seh einen nackten Buckel, gleich fallen sie
mir zu Dutzenden ein, die ich habe mit Ruten streichen sehen. Begegnet mir
ein rechter Wanst, mein ich, den säh' ich schon am Pfahl braten.
Des
Nachts im Traume zwickt mich's an allen Gliedern; man wird eben keine
Stunde froh.
Jede Lustbarkeit, jeden Spaß hab ich bald vergessen; die
fürchterlichen Gestalten sind mir wie vor die Stirne gebrannt.
Egmonts Wohnung
Sekretär an einem Tisch mit Papieren, er steht
unruhig auf.
SEKRETÄR. Er kommt immer
nicht! und ich warte schon zwei Stunden, die Feder in der Hand,. die
Papiere vor mir; und eben heute möcht' ich gern so zeitig fort. Es brennt
mir unter den Sohlen. Ich kann vor Ungeduld kaum bleiben. »Sei
auf die Stunde da«, befahl er mir noch, ehe er wegging; nun kommt er
nicht. Es ist so viel zu tun, ich werde vor Mitternacht nicht fertig.
Freilich sieht er einem auch einmal durch die Finger. Doch hielt' ich's
besser, wenn er strenge wäre und ließe einen auch wieder zur bestimmten
Zeit. Man könnte sich einrichten. Von der Regentin ist er nun schon zwei
Stunden weg; wer weiß, wen er unterwegs angefaßt hat.
(Egmont
tritt auf.)
EGMONT. Wie sieht's aus?
SEKRETÄR. Ich bin bereit,
und drei Boten warten.
EGMONT. Ich bin dir wohl zu
lang geblieben; du machst ein verdrießlich Gesicht.
SEKRETÄR. Euerm Befehl zu
gehorchen, wart ich schon lange. Hier sind die Papiere!
EGMONT.
Donna Elvira wird böse auf mich werden, wenn
sie hört, dass ich dich abgehalten habe.
SEKRETÄR. Ihr scherzt.
EGMONT. Nein, nein. Schäme
dich nicht. Du zeigst einen guten Geschmack. Sie
ist hübsch; und es ist mir ganz recht, dass du auf dem Schlosse eine
Freundin hast. Was sagen die Briefe?
SEKRETÄR. Mancherlei und
wenig Erfreuliches.
EGMONT. Da ist gut, dass wir
die Freude zu Hause haben und sie nicht von auswärts zu erwarten brauchen.
Ist viel gekommen?
SEKRETÄR. Genug, und drei
Boten warten.
EGMONT. Sag an!
das Nötigste!
SEKRETÄR. Es ist alles
nötig.
EGMONT. Eins nach dem
andern, nur geschwind!
SEKRETÄR.
Hauptmann Breda schickt die
Relation, was weiter in Gent und der umliegenden Gegend vorgefallen.
Der Tumult hat sich meistens
gelegt. -
EGMONT. Er schreibt wohl
noch von einzelnen Ungezogenheiten und Tollkühnheiten?
SEKRETÄR. Ja! Es kommt noch
manches vor.
EGMONT. Verschone mich
damit.
SEKRETÄR.
Noch sechs sind eingezogen
worden, die bei Wervicq das Marienbild umgerissen haben. Er fragt an,
ob er sie auch wie die andern soll hängen lassen?
EGMONT.
Ich bin des Hängens müde. Man soll
sie durchpeitschen, und sie mögen gehen.
SEKRETÄR. Es sind zwei
Weiber dabei; soll er die auch durchpeitschen?
EGMONT. Die mag er
verwarnen und laufenlassen.
SEKRETÄR.
Brink von Bredas
Kompanie will heiraten. Der Hauptmann hofft, Ihr werdet's ihm
abschlagen. Es sind so viele Weiber bei dem Haufen, schreibt er, dass, wenn
wir ausziehen, es keinem Soldatenmarsch, sondern einem Zigeunergeschleppe
ähnlich sehen wird.
EGMONT. Dem mag's noch
hingehen! Es ist ein schöner junger Kerl; er bat mich noch gar dringend,
eh' ich wegging. Aber nun soll's keinem mehr gestattet sein, so leid mir's
tut, den armen Teufeln, die ohnedies geplagt genug sind, ihren besten Spaß
zu versagen.
SEKRETÄR. Zwei von Euern
Leuten, Seter und Hart, haben einem Mädel, einer
Wirtstochter, übel mitgespielt. Sie kriegten sie allein, und die Dirne
konnte sich ihrer nicht erwehren.
EGMONT. Wenn es ein ehrlich
Mädchen ist, und sie haben Gewalt gebraucht, so soll er sie drei Tage
hintereinander mit Ruten streichen lassen, und wenn sie etwas besitzen,
soll er so viel davon einziehen, dass dem Mädchen eine Ausstattung gereicht
werden kann.
SEKRETÄR.
Einer von den fremden Lehrern
ist heimlich durch Comines gegangen und entdeckt
worden. Er schwört, er sei im Begriff, nach Frankreich zu gehen. Nach dem
Befehl soll er enthauptet werden.
EGMONT. Sie sollen ihn in
der Stille an die Grenze bringen und ihm versichern, dass er das zweite Mal
nicht so wegkommt.
SEKRETÄR. Ein
Brief von Euerm Einnehmer. Er
schreibt: es komme wenig Geld ein, er könne auf die Woche die verlangte
Summe schwerlich schicken; der Tumult habe in alles die größte Konfusion
gebracht.
EGMONT.
Das Geld muss herbei! er mag sehen, wie
er es zusammenbringt.
SEKRETÄR. Er sagt, er werde
sein möglichstes tun und wolle endlich den Raymond, der Euch so lange
schuldig ist, verklagen und in Verhaft nehmen lassen.
EGMONT. Der hat ja
versprochen zu bezahlen.
SEKRETÄR. Das letzte Mal
setzte er sich selbst vierzehn Tage.
EGMONT.
So gebe man ihm noch vierzehn
Tage; und dann mag er gegen ihn verfahren.
SEKRETÄR. Ihr tut wohl. Es
ist nicht Unvermögen; es ist böser Wille. Er macht gewiss Ernst, wenn er
sieht, Ihr spaßt nicht. - Ferner sagt der Einnehmer: er wolle den alten
Soldaten, den Witwen und einigen andern, denen Ihr
Gnadengehalte gebt, die Gebühr einen halben Monat zurückhalten; man
könne indessen Rat schaffen; sie möchten sich einrichten.
EGMONT. Was ist da
einzurichten? Die Leute brauchen das Geld nötiger als ich. Das soll er
bleibenlassen.
SEKRETÄR. Woher befehlt Ihr
denn, dass er das Geld nehmen soll?
EGMONT. Darauf mag er
denken; es ist ihm im vorigen Briefe schon gesagt.
SEKRETÄR. Deswegen tut er
die Vorschläge.
EGMONT. Die taugen nicht,
er soll auf was anders sinnen.
Er soll Vorschläge tun,
die annehmlich sind, und vor allem soll er das Geld schaffen.
SEKRETÄR. Ich habe den
Brief des Grafen Oliva wieder
hieher gelegt. Verzeiht, dass ich Euch daran erinnere. Der alte Herr
verdient vor allen andern eine ausführliche Antwort. Ihr wolltet ihm
selbst schreiben. Gewiss, er liebt Euch wie ein Vater.
EGMONT. Ich komme nicht
dazu. Und unter vielem Verhassten ist mir
das Schreiben das Verhassteste.
Du machst meine Hand ja so gut nach, schreib in meinem Namen.
Ich erwarte Oranien. Ich komme nicht
dazu; und wünschte selbst, dass ihm auf seine Bedenklichkeiten was recht
Beruhigendes geschrieben würde.
SEKRETÄR. Sagt mir nur
ungefähr Eure Meinung; ich will die Antwort schon aufsetzen und sie Euch
vorlegen. Geschrieben soll sie werden, dass sie vor Gericht für Eure Hand
gelten kann.
EGMONT. Gib mir den Brief.
(Nachdem er hineingesehen.) Guter
ehrlicher Alter! Warst du in deiner Jugend auch wohl so bedächtig?
Erstiegst du nie einen Wall? Bliebst du in der Schlacht, wo es die
Klugheit anrät, hinten? - Der treue, sorgliche! Er will mein Leben und
mein Glück und fühlt nicht, dass der schon tot ist, der um seiner
Sicherheit willen lebt. - Schreib ihm, er möge unbesorgt sein; ich handle,
wie ich soll, ich werde mich schon wahren: sein Ansehn bei Hofe soll er zu
meinen Gunsten brauchen und meines vollkommnen Dankes gewisss sein.
SEKRETÄR. Nichts weiter? O
er erwartet mehr.
EGMONT. Was soll ich mehr
sagen? Willst du mehr Worte machen, so steht's bei dir.
Es dreht sich
immer um den einen Punkt: ich soll leben, wie ich nicht leben mag.
Daß
ich fröhlich bin, die Sachen leicht nehme, rasch lebe, das ist mein
Glück; und ich vertausch es nicht gegen die
Sicherheit eines Totengewölbes.
Ich habe nun
zu der spanischen Lebensart nicht einen Blutstropfen in meinen Adern;
nicht Lust,
meine Schritte nach der neuen bedächtigen Hofkadenz zu
mustern. Leb ich nur, um aufs Leben zu denken? Soll ich den gegenwärtigen
Augenblick nicht genießen, damit ich des folgenden gewiss sei? Und diesen
wieder mit Sorgen und Grillen verzehren?
SEKRETÄR.
Ich bitt Euch, Herr;
seid nicht so harsch und rau gegen den guten Mann. Ihr seid ja sonst
gegen alle freundlich. Sagt mir ein gefällig Wort, das den edeln Freund
beruhige. Seht, wie sorgfältig er ist, wie leis er Euch berührt.
EGMONT. Und doch berührt er
immer diese Saite.
Er
weiß von alters her, wie verhasst mir diese Ermahnungen sind; sie
machen nur irre, sie helfen nichts. Und wenn ich ein Nachtwandler wäre und
auf dem gefährlichen Gipfel eines Hauses spazierte, ist es
freundschaftlich, mich beim Namen zu rufen und mich zu warnen, zu wecken
und zu töten? Lasst jeden seines Pfades gehn; er mag sich wahren.
SEKRETÄR. Es ziemt Euch,
nicht zu sorgen, aber wer Euch kennt und liebt -
EGMONT (in den Brief
sehend). Da bringt er wieder die alten
Märchen auf, was wir an einem Abend
in leichtem
Übermut der Geselligkeit und des Weins getrieben und gesprochen; und
was man daraus für Folgen und Beweise durchs ganze Königreich gezogen und
geschleppt habe. - Nun gut! wir haben
Schellenkappen, Narrenkutten auf unsrer Diener Ärmel sticken lassen,
und haben diese tolle Zierde nachher in ein Bündel Pfeile verwandelt; ein
noch gefährlicher Symbol für alle, die deuten wollen, wo nichts zu deuten
ist. Wir haben die und jene Torheit in einem lustigen Augenblick empfangen
gleich und geboren; sind schuld, dass eine ganze edle Schar mit
Bettelsäcken und
mit einem selbstgewählten Unnamen dem Könige seine Pflicht mit spottender
Demut ins Gedächtnis rief; sind schuld - was ist's nun weiter?
Ist ein
Fastnachtsspiel gleich Hochverrat? Sind uns die kurzen, bunten Lumpen
zu missgönnen, die ein jugendlicher Mut, eine angefrischte Phantasie um
unsers Lebens arme Blöße hängen mag? Wenn ihr das Leben gar zu ernsthaft
nehmt, was ist denn dran? Wenn uns der Morgen nicht zu neuen Freuden
weckt, am Abend uns keine Lust zu hoffen übrig bleibt: ist's wohl des An-
und Ausziehens wert?
Scheint mir die Sonne heut, um das zu überlegen, was
gestern war? und um zu raten, zu verbinden, was nicht zu erraten, nicht zu
verbinden ist, das Schicksal eines kommenden Tages? Schenke mir diese
Betrachtungen; wir wollen sie Schülern und Höflingen überlassen. Die mögen
sinnen und aussinnen, wandeln und schleichen, gelangen, wohin sie können,
erschleichen, was sie können. - Kannst du von allem diesem etwas brauchen, dass deine Epistel kein Buch wird, so ist mir's recht. Dem guten Alten
scheint alles viel zu wichtig. So drückt ein
Freund, der lang unsre Hand gehalten, sie stärker noch einmal, wenn er sie
lassen will.
SEKRETÄR. Verzeiht mir, es
wird dem Fußgänger schwindlig, der einen Mann, mit rasselnder Eile
daherfahren sieht.
EGMONT.
Kind! Kind! nicht weiter! Wie von
unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die
Sonnenpferde der Zeit mit unsers
Schicksals leichtem Wagen durch; und uns bleibt nichts, als, mutig gefasst,
die Zügel festzuhalten und bald rechts bald links, vom Steine hier vom
Sturze da, die Räder wegzulenken.
Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich doch kaum, woher er kam.
SEKRETÄR. Herr! Herr!
EGMONT.
Ich stehe hoch und kann und muss noch höher steigen; ich fühle mir
Hoffnung, Mut und Kraft.
Noch hab ich meines Wachstums Gipfel nicht
erreicht; und steh ich droben einst, so will ich fest, nicht ängstlich stehn. Soll ich fallen, so mag ein Donnerschlag, ein Sturmwind, ja ein
selbst verfehlter Schritt mich abwärts in die Tiefe stürzen; da lieg ich
mit viel Tausenden. Ich habe nie verschmäht,
mit meinen guten Kriegsgesellen
um kleinen Gewinst das blutige Los zu werfen; und sollt' ich knickern,
wenn's um den ganzen freien Wert des Lebens geht?
SEKRETÄR. O Herr!
Ihr wisst nicht, was
für Worte Ihr sprecht! Gott erhalt' Euch!
EGMONT. Nimm deine Papiere
zusammen. Oranien kommt. Fertige aus, was am
nötigsten ist, dass die Boten fortkommen, eh die Tore geschlossen werden.
Das andere hat Zeit. Den Brief an den Grafen lass bis morgen; versäume
nicht, Elviren zu besuchen, und grüße sie von mir. - Horche, wie sich die
Regentin befindet; sie soll nicht wohl sein, ob sie's gleich verbirgt.
(Sekretär ab.)
(Oranien kommt.)
EGMONT. Willkommen,
Oranien. Ihr scheint mir nicht ganz frei.
ORANIEN.
Was sagt
Ihr zu unsrer Unterhaltung mit der Regentin?
EGMONT. Ich fand in ihrer
Art, uns aufzunehmen, nichts Außerordentliches. Ich habe sie schon mehr so
gesehen. Sie schien mir nicht
ganz wohl.
ORANIEN. Merktet Ihr nicht,
daß sie zurückhaltender war? Erst wollte sie unser Betragen bei dem neuen
Aufruhr des Pöbels gelassen billigen; nachher merkte sie an, was sich doch
auch für ein falsches Licht darauf werfen lasse; wich dann mit dem
Gespräche zu ihrem alten gewöhnlichen Diskurs: daß man ihre liebevolle
gute Art, ihre Freundschaft zu uns Niederländern, nie genug erkannt, zu
leicht behandelt habe, daß nichts einen erwünschten Ausgang nehmen wolle,
daß sie am Ende wohl müde werden, der König sich zu andern Maßregeln
entschließen müsse. Habt Ihr das gehört?
EGMONT. Nicht alles;
ich dachte unterdessen an
was anders. Sie ist ein Weib, guter
Oranien, und die möchten immer gern, daß sich alles unter ihr sanftes Joch
gelassen schmiegte, daß jeder Herkules die Löwenhaut ablegte und ihren
Kunkelhof vermehrte; daß, weil sie friedlich gesinnt sind, die Gärung, die
ein Volk ergreift, der Sturm, den mächtige Nebenbuhler gegeneinander
erregen, sich durch ein freundlich Wort beilegen ließe und die widrigsten
Elemente sich zu ihren Füßen in sanfter Eintracht vereinigten. Das ist ihr
Fall; und da sie es dahin nicht bringen kann, so hat sie keinen Weg, als
launisch zu werden, sich über Undankbarkeit, Unweisheit zu beklagen, mit
schrecklichen Aussichten in die Zukunft zu drohen, und zu drohen - daß sie
fortgehn will.
ORANIEN. Glaubt Ihr dasmal
nicht, daß sie ihre Drohung erfüllt?
EGMONT. Nimmermehr! Wie oft
habe ich sie schon reisefertig gesehn! Wo will sie denn hin? Hier
Statthalterin, Königin; glaubst du, daß sie es unterhalten wird, am Hofe
ihres Bruders unbedeutende Tage abzuhaspeln? oder nach Italien zu gehen
und sich in alten Familienverhältnissen herumzuschleppen?
ORANIEN. Man hält sie
dieser Entschließung nicht fähig, weil Ihr sie habt zaudern, weil Ihr sie
habt zurücktreten sehn; dennoch liegt's wohl in ihr;
neue
Umstände treiben sie zu dem lang verzögerten Entschluß. Wenn sie
ginge? und der König schickte
einen andern?
EGMONT. Nun, der würde
kommen, und würde eben auch zu tun finden. Mit großen Planen, Projekten
und Gedanken würde er kommen, wie er alles zurechtrücken, unterwerfen und
zusammenhalten wolle; und würde heut mit dieser Kleinigkeit, morgen mit
einer andern zu tun haben, übermorgen jene Hindernis finden, einen Monat
mit Entwürfen, einen andern mit Verdruß über fehlgeschlagne Unternehmen,
ein halb Jahr in Sorgen über eine einzige Provinz zubringen. Auch ihm wird
die Zeit vergehn, der Kopf schwindeln und die Dinge wie zuvor ihren Gang
halten, daß er, statt weite Meere nach einer vorgezognen Linie zu
durchsegeln,
Gott danken mag, wenn er sein Schiff in diesem Sturme vom Felsen hält.
ORANIEN. Wenn man nun aber
dem König zu einem Versuch riete?
EGMONT. Der wäre?
ORANIEN.
Zu sehen, was der
Rumpf ohne Haupt anfinge.
EGMONT. Wie?
ORANIEN. Egmont, ich trage
viele Jahre her alle unsere Verhältnisse am Herzen,
ich stehe immer wie
über einem Schachspiele und halte keinen Zug des Gegners für
unbedeutend; und wie müßige Menschen mit der größten Sorgfalt sich um die
Geheimnisse der Natur bekümmern, so halt ich es für Pflicht, für Beruf
eines Fürsten, die Gesinnungen, die Ratschläge aller Parteien zu kennen.
Ich habe Ursach', einen Ausbruch zu befürchten. Der König hat lange nach
gewissen Grundsätzen gehandelt; er sieht, daß er damit nicht auskommt; was
ist wahrscheinlicher, als daß er es auf einem andern Wege versucht?
EGMONT. Ich glaub's nicht.
Wenn man alt wird und hat so viel versucht, und es will in der Welt nie
zur Ordnung kommen, muß man es endlich wohl genug haben.
ORANIEN. Eins hat er noch
nicht versucht.
EGMONT. Nun?
ORANIEN.
Das Volk zu
schonen und die Fürsten zu verderben.
EGMONT. Wie viele haben das
schon lange gefürchtet! Es ist keine Sorge.
ORANIEN. Sonst war's Sorge;
nach und nach ist mir's Vermutung, zuletzt Gewißheit geworden.
EGMONT.
Und hat der König
treuere Diener als uns?
ORANIEN. Wir dienen ihm auf
unsere Art; und unter einander können wir gestehen, daß wir des Königs
Rechte und die unsrigen wohl abzuwägen wissen.
EGMONT. Wer tut's nicht?
Wir sind ihm untertan und gewärtig in dem, was ihm zukommt.
ORANIEN. Wenn er sich nun
aber mehr zuschriebe und Treulosigkeit nennte, was wir heißen: auf unsre
Rechte halten?
EGMONT. Wir werden uns
verteidigen können. Er
rufe die Ritter des Vlieses zusammen, wir wollen uns richten lassen.
ORANIEN. Und was wäre ein
Urteil vor der Untersuchung? eine Strafe
vor dem Urteil?
EGMONT. Eine
Ungerechtigkeit, der sich Philipp nie schuldig machen wird; und eine
Torheit, die ich ihm und seinen Räten nicht zutraue.
ORANIEN. Und wenn sie nun
ungerecht und töricht wären?
EGMONT. Nein, Oranien, es
ist nicht möglich. Wer sollte wagen, Hand an uns zu legen? - Uns
gefangenzunehmen, wär' ein verlornes und fruchtloses Unternehmen. Nein,
sie wagen nicht, das Panier der Tyrannei so hoch aufzustecken. Der
Windhauch, der diese Nachricht übers Land brächte, würde ein ungeheures
Feuer zusammentreiben. Und wohinaus wollten sie?
Richten und
verdammen kann nicht der König allein; und wollten sie
meuchelmörderisch an unser Leben? - Sie können nicht wollen. Ein
schrecklicher Bund würde in einem Augenblick das Volk vereinigen.
Haß und ewige
Trennung vom spanischen Namen würde sich gewaltsam erklären.
ORANIEN. Die Flamme wütete
dann über unserm Grabe, und das Blut unsrer Feinde flösse zum leeren
Sühnopfer. Laß uns denken, Egmont.
EGMONT. Wie sollten sie
aber?
ORANIEN.
Alba ist unterwegs.
EGMONT. Ich glaub's nicht.
ORANIEN. Ich weiß es.
EGMONT. Die Regentin wollte
nichts wissen.
ORANIEN. Um desto mehr bin
ich überzeugt. Die Regentin wird ihm Platz machen. Seinen Mordsinn kenn
ich, und ein Heer bringt er mit.
EGMONT. Aufs neue die
Provinzen zu belästigen? Das Volk wird höchst schwierig werden.
ORANIEN. Man wird sich der
Häupter versichern.
EGMONT. Nein! Nein!
ORANIEN.
Laß uns gehen, jeder in
seine Provinz. Dort wollen wir uns verstärken; mit offner Gewalt fängt
er nicht an.
EGMONT. Müssen wir ihn
nicht begrüßen, wenn er kommt?
ORANIEN. Wir zögern.
EGMONT. Und wenn er uns im
Namen des Königs bei seiner Ankunft fordert?
ORANIEN. Suchen wir
Ausflüchte.
EGMONT. Und wenn er dringt?
ORANIEN. Entschuldigen wir
uns.
EGMONT. Und wenn er drauf
besteht?
ORANIEN. Kommen wir um so
weniger.
EGMONT. Und der
Krieg ist erklärt,
und wir sind die Rebellen. Oranien, laß dich nicht durch Klugheit
verführen; ich weiß, daß Furcht dich nicht weichen macht. Bedenke den
Schritt.
ORANIEN. Ich hab ihn
bedacht.
EGMONT. Bedenke, wenn du
dich irrst, woran du
schuld bist; an dem verderblichsten Kriege, der je ein Land verwüstet
hat. Dein Weigern ist das Signal, das die Provinzen mit einmal zu den
Waffen ruft, das jede Grausamkeit rechtfertigt, wozu Spanien von jeher nur
gern den Vorwand gehascht hat. Was wir lange mühselig gestillt haben,
wirst du mit einem Winke zur schrecklichsten Verwirrung aufhetzen. Denk an
die Städte, die Edeln, das Volk, an die Handlung, den Feldbau, die
Gewerbe! und denke die Verwüstung, den Mord! - Ruhig sieht der Soldat wohl
im Felde seinen Kameraden neben sich hinfallen; aber den Fluß herunter
werden dir die Leichen der Bürger, der Kinder, der Jungfrauen
entgegenschwimmen, daß du mit Entsetzen dastehst und nicht mehr weißt,
wessen Sache du verteidigst, da die zugrunde gehen, für deren Freiheit du
die Waffen ergriffst. Und wie wird dir's sein, wenn du dir still sagen
mußt: »Für meine Sicherheit
ergriff ich sie.«
ORANIEN.
Wir sind nicht einzelne
Menschen, Egmont. Ziemt es sich, uns für Tausende hinzugeben, so ziemt
es sich auch, uns für Tausende zu schonen.
EGMONT. Wer sich schont,
muß sich selbst verdächtig werden.
ORANIEN. Wer sich kennt,
kann sicher vor- und rückwärts gehen.
EGMONT. Das Übel, das du
fürchtest, wird gewiß durch deine Tat.
ORANIEN. Es ist klug und
kühn, dem unvermeidlichen Übel entgegenzugehn.
EGMONT. Bei so großer
Gefahr kommt die leichteste Hoffnung in Anschlag.
ORANIEN. Wir haben nicht
für den leisesten Fußtritt Platz mehr; der Abgrund liegt hart vor uns.
EGMONT. Ist des Königs
Gunst ein so schmaler Grund?
ORANIEN. So schmal nicht,
aber schlüpfrig.
EGMONT. Bei Gott! man tut
ihm Unrecht. Ich mag nicht leiden, daß man unwürdig von ihm denkt! Er ist
Karls Sohn und keiner Niedrigkeit fähig.
ORANIEN.
Die Könige tun nichts
Niedriges.
EGMONT. Man sollte ihn
kennenlernen.
ORANIEN. Eben diese
Kenntnis rät uns, eine gefährliche Probe nicht abzuwarten.
EGMONT. Keine Probe ist
gefährlich, zu der man Mut hat.
ORANIEN.
Du wirst aufgebracht, Egmont.
EGMONT.
Ich muß mit meinen Augen sehen.
ORANIEN. O sähst du diesmal
nur mit den meinigen! Freund, weil du sie offen hast, glaubst du, du
siehst. Ich gehe! Warte du Albas Ankunft ab, und Gott sei bei dir!
Vielleicht rettet dich mein Weigern. Vielleicht daß der Drache nichts zu
fangen glaubt, wenn er uns nicht beide auf einmal verschlingt. Vielleicht
zögert er, um seinen Anschlag sicherer auszuführen; und vielleicht siehest
du indes die Sache in ihrer wahren Gestalt. Aber dann schnell! schnell!
Rette! rette dich! - Leb wohl! - Laß deiner Aufmerksamkeit nichts
entgehen: wieviel Mannschaft er mitbringt, wie er die Stadt besetzt, was
für Macht die Regentin behält, wie deine Freunde gefaßt sind. Gib mir
Nachricht - - - Egmont -
EGMONT. Was willst du?
Oranien (ihn bei der
Hand fassend). Laß dich überreden! Geh mit!
EGMONT. Wie?
Tränen, Oranien?
ORANIEN. Einen Verlornen zu
beweinen, ist auch männlich.
EGMONT. Du wähnst mich
verloren?
ORANIEN. Du bist's.
Bedenke! Dir bleibt nur eine kurze Frist. Leb wohl!
(Ab.)
Egmont
(allein). Daß
andrer Menschen Gedanken solchen Einfluß auf uns haben! Mir wär' es nie
eingekommen; und dieser Mann trägt seine Sorglichkeit in mich herüber. -
Weg! - Das ist ein
fremder Tropfen in meinem Blute. Gute Natur,
wirf ihn wieder heraus! Und von meiner Stirne die sinnenden Runzeln
wegzubaden, gibt es ja wohl noch ein freundlich Mittel.
1. Aufzug -
2. Aufzug -
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5. Aufzug
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Gesamttext
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
25.01.2024