Die nachfolgende Zusammenstellung gibt eine
umfassende
Inhaltsübersicht über den 3. Akt von
Lessings
Drama »Nathan der Weise«.
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III,1
Während
Nathan
auf dem Weg zu
Saladin
ist, fiebert
Recha
im Beisein von
Daja
dem unmittelbar bevorstehenden Treffen mit dem
Tempelherrn
entgegen. Recha kann nicht verstehen, weshalb Daja hofft, der
Tempelherr nehme sie und Daja selbst mit nach Europa. Sie überhöht
dabei in ihrem Eifer die Aufgabe des Tempelherrn quasi zur heiligen
Mission, die er kriegerisch, aber auch damit erfülle, dass er Recha
in das Land führen könne, für welches sie geboren sei. Recha,
dadurch zum Widerspruch gereizt, kann nicht glauben, dass Gott
für sich kriegerisch streiten lasse, indem er sich von einem
Menschen bzw. einer Menschengruppe für sich vereinnahmen lasse. Und
überhaupt nicht einleuchten will ihr, dass ihre Vorbestimmung sie
ins christliche Abendland führen solle. Denn ungelöst bliebe in
einem solchen Denkmodell schließlich auch, wie der einzelne Mensch
denn erkennen könne, für welchen "Erdkloß", welchen
religiös umgrenzten Kulturkreis er vorbestimmt sei. Im Übrigen, so
hält sie Daja entschieden entgegen, sei sie ihre andauernden
Christianisierungsversuche endgültig leid, denn wohin sie deren
unvernünftiges Denken und Fühlen geführt habe, habe ihr die
"Engelsgeschichte" schließlich gezeigt, die ihr im
Nachhinein wie eine Posse vorkomme. Daja, die sich so angegriffen
kaum noch die Wahrheit verkneifen kann, muss sich schließlich
anhören, dass ihre bisherigen Christianisierungsversuche mit
Legenden christlicher "Glaubenshelden" nur insoweit die
Erkenntnis Rechas gefördert hätten, "dass Ergebenheit in Gott
von unserem Wähnen über Gott so ganz und gar nicht abhängt."
Als der Tempelherr eintrifft, beenden die beiden Frauen dieses
Gespräch.
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III,2
Recha,
die dem eintretenden
Tempelherrn
zu Füßen fallen will, muss ihre Dankesgeste angesichts des
zurückweichenden Tempelherrn abbrechen. Da sie vermutet, dass die
Vorstellungen von Männlichkeit, denen der Tempelherr folgt, dafür
verantwortlich sind, betont sie zunächst, mit ihrer Geste lediglich
Gott erneut für ihre Rettung danken zu wollen. Gleichzeitig nimmt
sie die vom Tempelherrn ausgehende männliche Unnahbarkeit zum
Anlass, sein Verhalten bei ihrer Rettung als eine Verquickung
bloßer Zufälligkeiten mit dem Pflichtbewusstsein eines Tempelherrn
ironisch zu kommentieren. Mit einer gezielten Provokation, dass
Tempelherren in derartigen Situationen "wie etwas zugelernte
Hunde" gar keine andere Wahl hätten, versucht sie den
Tempelherrn aus der Reserve zu locken und gleichzeitig die Zügel in
der Hand zu halten. Ein kleiner Seitenhieb auf
Daja
wegen ihrer Geschwätzigkeit ist alles, was der Tempelherr zunächst
herausbringt. Sein erstaunter und aufgeregter Blick bleibt auf Recha
gerichtet, deren Anblick ihn in Bann zieht. Erst jetzt wird ihm die
Attraktivität Rechas so recht bewusst und dies stürzt ihn wegen
seines Keuschheitsgelübdes in einen inneren Zwiespalt. In
diesem Zwiespalt werden ihm Nathans Worte "Kennt sie nur
erst!" in ihrer Tragweite bewusst. Als er erfährt, dass
Nathan
noch immer bei
Saladin
ist, entzieht er sich unter Hinweis auf mögliche Gefahren der
Situation und verschafft sich damit zunächst einmal eine Atempause.
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III,3
Recha
zeigt sich nach dem etwas abrupten Weggang des
Tempelherrn
verunsichert, wird aber von
Daja
beruhigt. Diese ist sich klar, dass Recha sich in den Tempelherrn
verliebt hat und der Tempelherr diese Gefühle bis zu einem gewissen
Grad erwidert. Daher rät sie Recha, behutsam vorzugehen. Recha kann
aber mit diesen Andeutungen zunächst nichts anfangen, sondern muss
sich erst einmal über die Gefühle klar werden, die die Erwartung
und der tatsächliche Verlauf der Begegnung mit dem Tempelherrn bei
ihr ausgelöst haben. Jetzt, nachdem sie dem Tempelherrn begegnet
sei, spüre sie nicht mehr die starken Gefühle ("Sturm des
Herzen"), die sie zuvor gehabt habe. Als Daja aber weiter in
sie hineinhorcht, räumt Recha ein, dass nicht alle ihre Gefühle
für den Tempelherrn verschwunden seien. Und doch versucht sie ihre
Gefühle ein wenig zu rationalisieren, wenn sie erklärt, der
Tempelherr sei ihr "ewig wert [...], ewig werter, als mein
Leben". Mit ihrem Ausruf "Was schwatz' ich?" zeigt
sie aber dazu an, dass für sie noch nicht alles geklärt ist.
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III,4
In einem Audienzsaal des Palasts warten
Saladin
und Sittah auf
Nathan.
Saladin ist über den von Sittah ersonnenen Plan, Nathan eine Falle zu
stellen, offenkundig nicht glücklich. Weder behagt ihm die Methode, noch
will er sich selbst darum kümmern, bei einem Juden Geld zu bekommen.
Seine Skrupel bestehen auch deshalb, weil er nicht weiß, ob Nathan nicht
doch ein guter und vernünftiger Mann ist. Sittah sieht gerade darin kein
Problem, denn in einem solchen Falle könne man ohnehin mit Nathans
Unterstützung rechnen. Und für die von Saladin gezeigte, typisch männliche
Geringschätzung ihrer Ränkeschmiede hat sie ihrerseits nur wenig übrig.
Mit ihrem Vergleich, dass auch der Löwe bei der Jagd gerne auf die
Listigkeit des Fuches zurückgreift, kann sie ihren Bruder letztlich
beruhigen. Dieser weist sie an, ihn im Gespräch mit Nathan allein zu
lassen und auch das Horchen vom Nebenzimmer aus zu unterlassen.
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III,5
Im Sitzen empfängt
Saladin
den eintretenden
Nathan.
Saladin, der die Unterredung im Gestus des Fragenden und Antwort
Gebietenden zunächst dominieren will, provoziert Nathan mit der
Frage, ob er sich selbst den Beinamen der Weise gegeben habe. Im
anschließenden Gespräch über Weisheit und Klugheit kann Nathan
der gezielten Provokation ruhig, geschickt und sehr bescheiden den
Wind so aus den Segeln nehmen, dass Saladin, offensichtlich sehr
erregt, aufspringt und nun ohne weitere Umschweife zur Sache kommen
will. Nathan, der immer noch annimmt, der Sultan interessiere sich
für seine mitgebrachten Waren oder für seine Beobachtungen der
Kriegslage während seiner zurückliegenden Reise, erhält zu seiner
Überraschung die Frage gestellt, welche Religion ihm in seinem
Leben am meisten eingeleuchtet habe. Nathans Einwand, er sei Jude,
lässt Saladin nicht gelten, denn ihm gehe es um die bewusste
Erkenntnis und damit um die rationale Beantwortung seiner gestellten
Frage. Um Nathan eine kurze Bedenkzeit zu gewähren, begibt sich
Saladin für eine kurze Zeit ins Nebenzimmer.
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III,6
Nathan, für einen Moment von
Saladin
allein gelassen, zeigt sich vom Verhalten Saladins überrascht. Dass
dieser statt auf Geld, in so einer Frage einfach auf Wahrheit aus ist, hat
er nicht erwartet. Die Art allerdings, wie der Sultan diese Wahrheit
eingefordert hat, macht ihn aber doch mehr als misstrauisch. Er vermutet,
dass ihm von Saladin mittels der Frage, welche Religion ihm in seinem
Leben am meisten eingeleuchtet habe, eine Falle gestellt werden soll.
Dabei ist er sich bewusst, dass keine Antwort, die die eine oder die
andere Religion als die einleuchtendste auswiese, ihn vor den Angriffen
des Mächtigen schützen könnte. Erst als ihm einfällt, seine Antwort in
Form eines Märchens zu geben, gewinnt er wieder Zuversicht und befreit
sich damit aus dem vordergründig unauflöslichen Dilemma.
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III,7
Nathan erzählt
Saladin
die Geschichte von den drei Ringen. Vor langer Zeit habe im Osten ein Mann
gelebt, der einen außerordentlichen Ring besessen habe. Der Ring, der
stets vom Vater auf seinen liebsten Sohn vererbt worden sei, habe vor Gott
und den Menschen angenehm machen können. Der Mann habe sich aber nicht für
einen seiner drei Söhne entscheiden können. Aus diesem Grunde habe er
zwei originalgetreue Kopien anfertigen lassen und kurz vor seinem Tode
jedem seiner Söhne einen dieser Ringe mit der Aussicht auf die Führung
des Hauses übergeben. Im guten Glauben, den echten Ring zu tragen, habe
danach jeder von ihnen die ihm versprochene Stellung beansprucht. Aber
trotz aller Versuche habe man den echten Ring nicht herausgefunden.
Saladin besteht jedoch darauf, dass man die Religionen in ihren äußerlichen
Gepflogenheiten sehr wohl unterscheiden könne. Nathan wendet dagegen ein,
dass diese Unterscheidbarkeit nicht für die Wahrheitsfrage gelte. Denn
was man letzten Ende glaube, gründe auf geschichtlichem Herkommen und auf
den kulturellen und religiösen Traditionen der Umgebung, unter der man
aufwachse. Als er mit der Ringgeschichte fortfährt, hat er Saladin schon
überzeugt. In einem Prozess habe man den Streit um den Ring zu klären
gehofft. Der Richter habe aber keine Entscheidung gebracht, sondern
lediglich einen Rat gegeben. Die Praxis nämlich solle erweisen, wer den
Ring mit der Wunderkraft trage. Indem die "Tyrannei des einen
Rings" womöglich absichtlich von ihrem Vater beendet worden sei, sei
der Weg frei für jeden der drei Brüder, die Eigenschaften des Ringes zum
Vorschein zu bringen. Was aber wirklich wahr und richtig sei, entscheide
Gott eines Tages selbst. Saladin ist tief betroffen, ergreift die Hand
Nathans und bittet ihn um seine Freundschaft. Dieser bringt nun freiwillig
das Gespräch auf den von Saladin gewünschten Kredit und verbindet damit
geschickt die Frage nach der Zukunft des
Tempelherrn.
Saladin wünscht daraufhin, den Tempelherrn, dessen Ähnlichkeit mit
seinem Bruder er
Sittah noch vorführen
will, erneut zu sehen. Mit der Vergewisserung, dass Saladin das
Kreditangebot Nathans annimmt, verlässt Nathan den Palast.
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III,8
Unter den Palmen, in der Nähe des Klosters, wartet der
Tempelherr
auf Nathan. In einem Selbstgespräch will
er die Gefühle, die ihn seit der Begegnung mit Recha nicht mehr
loslassen, verarbeiten und sich über deren Bedeutung Klarheit
verschaffen. Klar sieht er nun, dass er diese Gefühle nicht mehr
verleugnen kann. Da er sich aber noch immer durch sein Ordensgelübde, das
ihm sexuelle Enthaltsamkeit abverlangt, gebunden sieht, erwägt er nüchtern,
welche Bindewirkung sein Gelübde nach den jüngsten Ereignissen noch
besitzt. Dabei kommt er zum Schluss, dass ihn Gefangennahme, Todesurteil
und anschließende Begnadigung durch
Saladin
von seinem Gelübde entbindet. Das Problem, dass seine Liebe einem jüdischen
Mädchen gilt, erinnert ihn an das, was man über seinen Vater erzählt
habe. Mit ihm jedenfalls fühlt er sich im Einklang, wenn er seinen
Neigungen für
Recha folgt, und Nathans
Zustimmung zu dieser Verbindung gilt ihm als sicher.
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III,9
Als
Nathan bei seiner Rückkehr vom
Palast unter den Palmen mit dem
Tempelherrn
zusammentrifft, hält der Tempelherr, der sich durch Nathans Verhalten
darin ermuntert sieht, um die Hand
Rechas
an. Nathan reagiert so zurückhaltend darauf, dass der Tempelherr darin
eine klare Zurückweisung sieht. Und daran kann auch der Hinweis auf die
von Recha erwiderte Liebe nichts ändern. Nathan, der von der Entwicklung
überrascht zu sein scheint, will aber zunächst einmal die Identität des
Tempelherrn geklärt wissen, da er offenbar vermutet, dass zwischen Recha
und dem Tempelherrn verwandtschaftliche Beziehungen herrschen könnten.
Der Tempelherr hat keinerlei Verständnis für das von ihm als reine
"Ahnenprobe" gedeutete Ansinnen Nathans. Dennoch erklärt er auf
Nathans Hinweis, er habe einmal einen Tempelherrn namens Conrad von
Stauffen genannt, dass sein Name Curd von seinem Vater Conrad abgeleitet
sei. Nathan zeigt sich zunächst beruhigt, denn ihm scheint es gänzlich
unwahrscheinlich, dass ein an das Keuschheitsgelübde gebundener
Tempelherr gleichen Namens, einen Sohn gezeugt haben könnte. Über diese
Art, die Legitimität seiner Herkunft zu überprüfen, entrüstet sich der
Tempelherr, indem er Nathan entgegenhält, dass er durchaus auch ein
uneheliches Kind, ein Bastard oder Bankert, dieses Tempelherrn sein könne.
Als das Gespräch zu einem Streit zu werden droht, beschwichtigt Nathan
den Tempelherrn zunächst einmal damit, dass er seinen Antrag ja noch
keineswegs abgelehnt habe, nur sofort sehe er sich außerstande, ihm eine
Antwort zu geben. Die Antwort Nathans will der Tempelherr, der die
Einladung in Nathans Haus ablehnt, draußen abwarten.
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III,10
Daja,
die weiterhin hofft, mit Hilfe des
Tempelherrn
nach Europa zurückzukommen, kann bei ihrem heimlichen Zusammentreffen mit
dem Tempelherrn hören, dass dieser
Recha
liebt. Dadurch sieht sie sich ermuntert, diesem die Wahrheit über Rechas
Herkunft mitzuteilen, zumal sie sich über die vermeintliche Zurückweisung
des Heiratsantrags durch
Nathan
empört. Auf ihre Enthüllung, Recha sei Christin, kann der Tempelherr,
sichtlich enttäuscht, zunächst nur spöttisch reagieren, da er offenbar
vermutet, Daja habe Recha heimlich zum Christentum bekehrt. Erst als Daja
erklärt, Recha sei ein Christenkind und getauft, und ihm bestätigt, dass
Nathan nicht der Vater Rechas ist, kann der Tempelherr die ganze Tragweite
der Enthüllungen erkennen. Die Vorstellung, der "weise, gute Nathan" habe
sich in dieser Weise gegen Gott und die Natur versündigt, stürzt ihn so sehr
in Verwirrung und erschüttert sein Bild von Nathan derart, dass er dem jeden
Augenblick möglichen Wiederzusammentreffen mit Nathan aus dem Weg geht. Er
bittet Recha, ihm auszurichten, dass sie sich bei Saladin wieder sehen
würden. Als Daja dem Tempelherrn am Ende das Versprechen abringen will, sie
selbst neben Recha nach Europa mitzunehmen, weicht dieser allerdings aus.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
18.03.2021