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Gesamttext (Recherche-/Leseversion
FÜNFTER AUFZUG
DRITTER AUFTRITT
Szene: die Palmen vor Nathans Hause, wo der Tempelherr auf- und
niedergeht.
Ins Haus nun will ich einmal nicht. - Er wird Sich endlich doch wohl sehen lassen! - Man Bemerkte mich ja sonst so bald, so gern! - Will's noch erleben, dass er sich's verbittet,
3230 Vor seinem Hause mich so fleißig finden Zu lassen. - Hm! -
ich bin doch aber auch Sehr ärgerlich. - Was hat mich denn nun so Erbittert gegen ihn? -
Er sagte ja: Noch schlüg' er mir nichts ab.1 Und Saladin Hat's über sich genommen,
ihn zu stimmen2. - Wie?
sollte wirklich wohl in mir der Christ Noch tiefer nisten, als in ihm der Jude?
- Wer kennt sich recht? Wie könnt' ich ihm denn sonst Den kleinen Raub nicht gönnen wollen, den
3240 Er sich's zu solcher Angelegenheit Gemacht, den Christen abzujagen? - Freilich; Kein kleiner Raub, ein solch Geschöpf! - Geschöpf? Und wessen? - Doch des Sklaven nicht, der auf Des Lebens öden Strand
den Block geflößt3, Und sich davongemacht? Des Künstlers doch Wohl mehr, der in dem hingeworfnen Blocke Die göttliche Gestalt sich dachte, die Er dargestellt? - Ach!
Rechas wahrer Vater Bleibt, trotz dem Christen, der sie zeugte, -
bleibt
3250 In Ewigkeit der Jude. - Wenn ich mir Sie lediglich als
Christendirne4 denke, Sie
sonder5 alles das mir denke, was Allein ihr so ein Jude geben konnte: -
Sprich, Herz, - was wär' an ihr, das dir gefiel? Nichts! Wenig! Selbst ihr
Lächeln, wär' es nichts Als sanfte schöne Zuckung ihrer Muskeln; Wär', was sie lächeln macht, des Reizes unwert, In den es sich auf ihrem Munde kleidet: - Nein; selbst ihr Lächeln nicht! Ich hab es ja
3260 Wohl schöner noch an Aberwitz6, an
Tand7, An Höhnerei, an Schmeichler und an
Buhler8 Verschwenden sehn! - Hat's da mich auch bezaubert? Hat's da mir auch den Wunsch entlockt,
mein Leben In seinem Sonnenscheine zu verflattern? - Ich wüsste nicht. Und bin auf den doch launisch9,
Der diesen höhern Wert allein ihr gab? Wie das? warum? -
Wenn ich den Spott verdiente, Mit dem mich Saladin entließ!10 Schon schlimm Genug, dass Saladin es glauben konnte!
3270 Wie klein ich ihm da scheinen musste! wie Verächtlich! - Und das alles um ein Mädchen? -
Curd! Curd! das geht so nicht. Lenk ein!
Wenn vollends Mir Daja nur was vorgeplaudert hätte11, Was schwerlich zu erweisen stünde? - Sieh,
Da tritt er endlich, im Gespräch vertieft, Aus seinem Hause!12 - Ha! mit wem! - Mit ihm? Mit meinem Klosterbruder? - Ha! so weiß Er sicherlich schon alles! ist wohl gar Dem Patriarchen schon verraten! - Ha! 3280 Was hab ich
Querkopf13 nun
gestiftet14! -
Dass Ein einz'ger Funken dieser Leidenschaft15 Doch unsers Hirns
so viel verbrennen kann!16 - Geschwind entschließ dich, was nunmehr zu tun!
Ich will hier seitwärts ihrer warten; - ob Vielleicht der Klosterbruder ihn verlässt.17
Dieses Werk (Nathan der Weise, von
Gotthold Ephraim Lessing), das durch
Gert Egle gekennzeichnet wurde, unterliegt keinen bekannten urheberrechtlichen Beschränkungen.
Worterläuterungen/Hinweise/Kommentar
1
vgl.
III,9 V 2219f.
2
einzustimmen 3
Block = roher Stein- oder Marmorblock; geflößt = Transportieren von
Bausteinen oder Holz auf Flüssen
4
Christenmädchen, junge Christenfrau; im 18. Jh. wird der Begriff Dirne
noch nicht abwertend verwendet
5
ohne 6
Wahnwitz, Unsinn, Schwachsinn, Quatsch
7
wertloses Zeug, geringwertige Ware
8
Buhler = Buhle, Geliebter 9
h: verärgert
10
vgl.
IV,4 V 2813f.
11
vgl.
III,10 V 2328f.
12
Implizite Bühnenanweisung (→
Haupt- und Nebentext)
13
Person, die anderen andauernd in die Quere kommt; Unruhestifter
14
h: angerichtet, ausgelöst, bewirkt 15 →Motiv der Liebe
16
→Das→Motiv des
(Ver-)Brennens taucht an anderen Stellen des Dramas immer wieder
auf,
vgl. I,2 V 177,
I,6 V 773, - vgl. Anmerkung (1)
zu I,1 V 13 ,
I,2 V 177, (→Vorgeschichte)
17
ad
spectatores:
monologisches Beiseite (a
parte)
Textauswahl
-
V,1 -
Saladin wird von seinen mameluckischen Reiter
über das Eintreffen der Tribute informiert
-
V,2
-
Nathan trägt dem Emir Manson auf, den
Großteil der Gelder in den Libanon zu seinem
Vater zu bringen
-
-
V,4
-
Nathan erhält das Brevier vom Klosterbruder
-
V,5
- Der Tempelherr entschuldigt sich bei Nathan
-
V,6
-
Recha, die die Wahrheit erfahren hat, bittet
Sittah um Hilfe
-
V,7
-
Saladin verspricht Recha, ihr den Vater nicht
zu nehmen
-
V,8
- Die Enthüllung der Familienverhältnisse
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Gesamttext (Recherche-/Leseversion
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
05.05.2021
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