Das Konzentrationslager »Majdanek wurde 1941 in einem Vorort der
polnischen Stadt »Lublin nahe der
polnischen Ostgrenze auf Befehl des »Reichsführers der SS,
»Heinrich
Himmler, errichtet. Obwohl anfangs offiziell als ein "Kriegsgefangenlager
der Waffen-SS Lublin" ausgegeben, spielte das Lager schnell seine
schreckliche Rolle bei der Ermordung von Juden und anderen Häftlingen. Den
Stacheldrahtzaun mit seiner Hochspannungsleitung, der das 2,7
Quadratkilometer große Gelände umgab, sahen während der Existenz
des Lagers über 500 000 inhaftierte Menschen aus 28 Ländern von Innen. Häftlinge in Majdanek waren vor allem
Juden aus Polen, der Tschechoslowakei, Deutschland, Ungarn, Frankreich,
Belgien, Griechenland und den Niederlanden, außerdem sowjetische
Kriegsgefangene, Zigeuner, polnische Bauern und Partisanen. Über 250.000
Menschen sind in Majdanek umgekommen, davon 60 Prozent als Opfer von Krankheiten, Hunger
und Folterungen. Die restlichen 40 Prozent, mehr als 100.000 Menschen,
wurden in den sieben Gaskammern des Lagers mit Kohlenmonoxid und Zyklon B
oder auf andere Weise umgebracht. Massenerschießungen im großen Stil,
denen u. a. kranke sowjetische Kriegsgefangene zum Opfer fielen.
Berüchtigt auch das so genannte "Erntefest", vom 3. November 1943, bei dem
40.000 Juden im Distrikt Lublin einer Massenerschießung zum Opfer fielen,
davon allein 17.000 in Majdanek.
Vor dem Eintreffen sowjetischer Truppen wurde Majdanek im Juli 1944
geräumt. Man brachte etwa 1000 Gefangene weg, die Hälfte davon ins KZ
Auschwitz. Am 22. Juli 1944 wurde das Lager schließlich von der
sowjetischen Armee erreicht.
Unter den Lagerkommandanten
»Karl
Otto Koch, »Max
Koegel, »Hermann
Florstedt,
»Martin
Gottfried Weiß und »Arthur
Liebehenschel verrichten 1.300 Personen des
Lagerpersonals ihren "Dienst", darunter auch die sechs SS-Männer, die in
einem ersten Prozess in Lublin 1944 zum Tode verurteilt wurden, und die 15
SS-Leute, die im »Majdanek-Prozess
1976 in Düsseldorf angeklagt wurden. Unter den Angeklagten diese
Prozesses war auch •
Hermine
Braunsteiner-Ryan,
die sich nach dem Krieg in die USA abgesetzt hatte und dort erst im Jahre
1964 von Simon Wiesenthal, dem bekanntesten Nazi-Jäger der Nachkriegszeit,
aufgespürt werden konnte. Erst nahezu neun Jahre später kommt Hermine
Braunsteiner, mittlerweile 54-jährig in Auslieferungshaft und wird im
August 1973 nach in die Bundsrepublik Deutschland verbracht. Die in den
USA unter normalen bürgerlichen Verhältnissen lebende, dort verheiratete
Frau Ryan, war freiwillig Aufseherin in Majdanek geworden und hatte sich
dort wegen ihrer Brutalität ihren Namen bei den Häftlingen gemacht. "Die
Stute" nannte man sie, weil sie stets mit eisenbeschlagenen Stiefeln nach
Gefangenen trat. Außer Hermine Braunsteiner wurde eine weitere Frau im
Majdanek-Prozess vor Gericht gestellt, der damit auch das das erste und
einzige NS-Verfahren in der Bundesrepublik Deutschland war, in dem
weiblichen Lagerbediensteten der Prozess gemacht wurden. Der Eindruck, den
die beiden vor Gericht machten, war bei Beginn zunächst seltsam, "von
Grauen keine Spur. Angeklagt waren inzwischen betuliche ältere Damen mit
Strickkostüm, Wollmütze und Kuchengesicht, Hausfrauen, die man von Heim,
Herd und Kaffeekränzchen weggerissen hatte. Nette Omis, die ihr Gesicht
vor dem Blitzlichtgewitter der Photographen mit Tüten und Zeitungen
schützen. "Bestien", die in Majdanek "panische Angst verbreiteten", die
"wie besessen" schlugen und "Exzesstaten" begingen.
In der ersten Reihe vor dem Schwurgericht, das Haar unter der Wollmütze
frisch geweißt, in weißer Strickjacke über einem auffallend lila Kleid,
ein verbittert-kantiges Gesicht: Hermine Ryan, zu Prozessbeginn 56 Jahre
alt. Sie zeigt keine Regung, auch nicht beim Anblick ihrer KZ-Kolleginnen,
mit denen sie nach einigen Stunden erste Worte wechselt. [...] Hermine
Ryan ist die Schweigsamste. Wenn sie mal spricht, bestreitet sie die
Vorwürfe und beugt sich wieder über ein Rätselheftchen." (aus: Thorsten
Schmitz, Die Stute von Majdanek, in: Süddeutsche Magazin v. 13.12.1996)
Von Unrechtsbewusstsein keine Spur bei einer Täterin, die sich durch ihre
Grausamkeit gegenüber den Gefangenen deutlich hervorgetan hatte:
"Irgendwann im Oktober 1943 versuchte ein Vater seinen Sohn in einem
Rucksack mit ins Lager zu schmuggeln. Hermine Ryan sah, dass sich der
Rucksack bewegte und schlug mit der Peitsche darauf. Bis nur noch ein
Wimmern aus dem Rucksack kam. Hermine Ryan, damals 24 Jahre alt, zog den
blutenden Buben an den Haaren raus. Sie warf ihn auf einen offenen
Lastwagen zu den anderen Kindern: Abfahrt in die Gaskammer. [...] Hermine
Ryan schlug Kinder mit einer Suppenkelle blutig, weil die sich auf einen
Essenskübel stürzten. Sie peitschte Mädchen, die ihre Häftlingsnummer
nicht korrekt angenäht, Strümpfe getragen, Kissen unter die dünne Kleidung
gebunden oder über Hunger geklagt hatten. Kinder und Säuglinge galten in
Majdanek als "unnütze Esser".
Weil im Frühjahr 1943 mehr Juden aus dem Warschauer Ghetto nach Majdanek
deportiert wurden, als das Lager fasste, konnten die Kinder nicht sofort
vergast werden. Etwa hundert wurden deshalb in eine Baracke verlegt, bis
in den Gaskammern wieder Platz war. Beim Abtransport packte Hermine Ryan
kräftig mit an. Die Kinder, die von allein nicht auf die Todeslastwagen
klettern konnten, fasste sie an "Ärmchen und Beinchen und warf sie wie
Schlachtvieh auf die offene Ladefläche". Frauen, soll Ryan gesagt haben,
"sind wie Scheiße". Womöglich sprach sie aus bloßem Neid: Hermine Ryan ist
unfruchtbar, sie kann keine Kinder bekommen." (ebd.)
Als Hermine Braunsteiner-Ryan im Juni 1981 zu einer lebenslänglichen
Freiheitsstrafe verurteilt wird, hält ihr das Gericht ihren "persönlichen
Ehrgeiz, Befehle in besonders brutaler bestialischer Art und Weise
auszuführen" vor. Im April 1996 wird Hermine Ryan, 77-jährig und
mittlerweile schwer gicht- und zuckerkrank von Ministerpräsident Rau
begnadigt und zum Sterben, wie die Behörden sagen, entlassen.
Mit dem die Öffentlichkeit erregenden Prozess sollten ursprünglich fünfzehn ehemaligen
SS-Leute zur Rechenschaft gezogen werden für ihre Straftaten im
Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek. 31 Jahre nach der
Befreiung des Lagers durch sowjetische Truppen wurden damit nur 15 von
mindestens 1300 SS-Leuten, die als "Wachmannschaften" in Majdanek tätig
gewesen waren, vor Gericht gestellt. Zu viele ehemalige SS-Leute waren zu
diesem Zeitpunkt schon gestorben und andere waren einfach
minderverdächtig, an Mordaktionen mitgewirkt zu haben. Während der
Hauptverhandlung wurden weit über 300 Zeugen aus dem In- und Ausland
gehört, darunter auch 215 Häftlinge, die sich nach dieser langen Zeit
noch einmal, und zwar in aller Öffentlichkeit, mit ihren nicht selten
verdrängten schrecklichen Erlebnissen ihrer KZ-Haft auseinandersetzen
mussten.
Als das Urteil am 30. Juni 1981 verkündet wurde, erhielten lediglich 8
Angeklagte ihre Strafe, darunter zwei Frauen. Verhängt wurden einmal
lebenslange Haft und sieben Freiheitsstrafen zwischen 3 und 12 Jahren.
Fünf Angeklagte wurden mangels Beweisen freigesprochen. Einer der
Angeklagten war während des Prozesses verhandlungsunfähig geworden und ein
weiterer starb während der Verhandlung.
Das Strafmaß des Gerichts sorgte in der Öffentlichkeit für hitzige
Debatten, da es vielen Beobachtern als viel zu gering erschienen ist.
Allerdings konnten eben nach dem deutschen Individualstrafrecht nur genaue
Nachweise der Einzeltäterschaft oder unmittelbaren Mittäterschaft bei der
Ermordung von Menschen zur Verurteilung führen, da alle anderen
Verbrechen, außer Mord und Beihilfe, dazu längst verjährt waren. So
empfanden viele das Ergebnis des Prozesses äußerst unbefriedigend, weil er
weder dem Sühnegedanken für den Mord an unzähligen unschuldigen Menschen
nicht hinreichend Rechnung getragen hat.