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Szenenschema
• Szenenüberblick 5. Akt
• Text: Fünfter Akt
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Gesamttext
/Recherche/Leseversion)
Fünfter
Akt
Erste
Szene
[5.1.1] Aussicht
von vielen Zimmern. Finstre Nacht.
Daniel
kommt mit einer Laterne und einem Reisebündel.
DANIEL. Lebe wohl, teures
Mutterhaus - Hab so manch Guts und Liebs in dir genossen, da der Herr
seliger noch lebete - Tränen auf deine Gebeine, du lange Verfaulter! Das
verlangt er von einem alten Knecht - es war das Obdach der Waisen und der
Port der Verlassenen, und dieser Sohn hats gemacht zur Mördergrube - Lebe
wohl, du guter Boden! wie oft hat der alte Daniel dich abgefegt - Lebe
wohl, du lieber Ofen, der alte Daniel nimmt schwer Abschied von dir - es
war dir alles so vertraut worden - wird dir weh tun, alter Elieser - aber
Gott bewahre mich in Gnaden vor dem Trug und List des Argen - Leer kam ich
hieher - leer zieh ich wieder hin - aber meine Seele ist gerettet. (Wie
er gehen will, kömmt Franz im Schlafrock hereingestürzt.)
[5.1.2] DANIEL. Gott steh mir bei!
Mein Herr! (Löscht die Laterne aus.)
FRANZ. Verraten! Verraten!
Geister ausgespieen aus Gräbern - Losgerüttelt das Totenreich aus dem
ewigen Schlaf brüllt wider mich: Mörder! Mörder! - Wer regt sich da?
DANIEL (ängstlich).
Hilf, heilige Mutter Gottes! Seid Ihrs, gestrenger Herre, der so grässlich
durch die Gewölbe schreit, dass alle Schläfer auffahren?
FRANZ. Schläfer? Wer heißt
euch schlafen? Fort, zünde Licht an!
[5.1.3]
(Daniel ab, es kommt ein andrer
Bedienter.) Es soll niemand schlafen in dieser Stunde. Hörst du? Alles
soll auf sein - in Waffen - alle Gewehre geladen - Sahst du sie dort den
Bogengang hinschweben?
BEDIENTER. Wen, gnädiger
Herr?
FRANZ. Wen, Dummkopf, wen?
So kalt, so leer fragst du, wen? hat michs doch angepackt wie der
Schwindel? Wen, Eselskopf, wen? Geister und Teufel! Wie weit ists in der
Nacht?
BEDIENTER. Eben jetzt ruft
der Nachtwächter Zwei an.
FRANZ. Was? will diese
Nacht währen bis an den Jüngsten Tag? Hörtest du keinen Tumult in der
Nähe? kein Siegsgeschrei? kein Geräusch galoppierender Pferde? Wo ist Kar
- der Graf, will ich sagen?
BEDIENTER. Ich weiß nicht,
mein Gebieter.
FRANZ. Du weißts nicht? Du
bist auch unter der Rotte? Ich will dir das Herz aus den Rippen stampfen!
Mit deinem verfluchten: Ich weiß nicht! Fort, hole den Pastor!
BEDIENTER. Gnädiger Herr!
FRANZ. Murrst du? zögerst
du? (Erster Bedienter eilend ab.)
[5.1.4]
Was? auch Bettler wider mich
verschworen? Himmel, Hölle! alles wider mich verschworen?
DANIEL
[5.1.5] (kommt mit dem
Licht). Mein Gebieter -
FRANZ. Nein! ich zittere
nicht! es war ledig ein Traum. Die Toten stehen noch nicht auf - Wer sagt,
dass ich zittere und bleich bin? Es ist mir ja so leicht, so wohl.
DANIEL. Ihr seid
totenbleich, Eure Stimme ist bang und lallet.
FRANZ. Ich habe das Fieber.
Sage du nur, wenn der Pastor kommt, ich habe das Fieber. Ich will morgen
zur Ader lassen, sage dem Pastor.
DANIEL. Befehlt Ihr, dass
ich Euch Lebensbalsam auf Zucker tröpfle?
FRANZ. Tröpfle mir auf
Zucker! der Pastor wird nicht sogleich da sein. Meine Stimme ist bang und
lallet, gib Lebensbalsam auf Zucker!
DANIEL. Gebt mir erst die
Schlüssel, ich will drunten holen im Schrank -
FRANZ. Nein, nein, nein!
Bleib! oder ich will mit dir gehn. Du siehst, ich kann nicht allein sein!
Wie leicht könnt ich, du siehst ja - ohnmächtig - wenn ich allein bin.
Lass nur, lass nur! Es wird vorübergehen, du bleibst.
DANIEL. Oh, Ihr seid
ernstlich krank.
FRANZ. Ja freilich,
freilich! Das ist alles. - Und Krankheit verstöret das Gehirn und brütet
tolle und wunderliche Träume aus - Träume bedeuten nichts - Nicht wahr,
Daniel? Träume kommen ja aus dem Bauch, und Träume bedeuten nichts - ich
hatte so eben einen lustigen Traum. (Er sinkt ohnmächtig nieder.)
DANIEL. Jesus Christus! was
ist das? Georg! Konrad! Bastian! Martin! so gebt doch nur eine Urkund von
Euch! (Rüttelt ihn.) Maria, Magdalena und Joseph! so nehmt doch nur
Vernunft an! So wirds heißen, ich hab ihn tot gemacht! Gott erbarme sich
meiner!
FRANZ (verwirrt).
Weg - weg! was rüttelst du mich so, scheußliches Totengeripp? - die Toten
stehen noch nicht auf -
DANIEL. O du ewige Güte! Er
hat den Verstand verloren.
FRANZ (richtet sich matt
auf). Wo bin ich? - du, Daniel? was hab ich gesagt? merke nicht drauf!
ich hab eine Lüge gesagt, es sei, was es wolle - komm! hilf mir auf! - es
ist nur ein Anstoß von Schwindel - weil ich - weil ich - nicht
ausgeschlafen habe.
DANIEL. Wär nur der Johann
da! Ich will Hilfe rufen, ich will nach Ärzten rufen.
FRANZ. Bleib! setz dich
neben mich auf diesen Sofa - so - du bist ein gescheiter Mann, ein guter
Mann. Lass dir erzählen!
DANIEL. Jetzt nicht, ein
andermal! Ich will Euch zu Bette bringen, Ruhe ist Euch besser.
FRANZ. Nein, ich bitte
dich, lass dir erzählen und lache mich derb aus! - Siehe, mir dauchte, ich
hätte ein königlich Mahl gehalten, und mein Herz wär guter Dinge, und ich
läge berauscht im Rasen des Schlossgartens, und plötzlich - es war zur
Stunde des Mittags - plötzlich, aber ich sage dir, lache mich derb aus! -
DANIEL. Plötzlich?
FRANZ. Plötzlich traf ein
ungeheurer Donner mein schlummerndes Ohr; ich taumelte bebend auf, und
siehe, da war mirs, als säh ich aufflammen den ganzen Horizont in feuriger
Lohe, und Berge und Städte und Wälder wie Wachs im Ofen zerschmolzen, und
eine heulende Windsbraut fegte von hinnen Meer, Himmel und Erde - da
erscholl wie aus ehernen Posaunen: Erde, gib deine Toten; gib deine Toten,
Meer! Und das nackte Gefild begonn zu kreißen und aufzuwerfen Schädel und
Rippen und Kinnbacken und Beine, die sich zusammenzogen in menschliche
Leiber und daherströmten unübersehlich, ein lebendiger Sturm: Damals sah
ich aufwärts, und siehe, ich stand am Fuß des donnernden Sina, und über
mir Gewimmel und unter mir, und oben auf der Höhe des Bergs auf drei
rauchenden Stühlen drei Männer, vor deren Blick flohe die Kreatur -
DANIEL. Das ist ja das
leibhafte Konterfei vom Jüngsten Tage.
FRANZ. Nicht wahr, das ist
ein tolles Gezeuge? Da trat hervor Einer, anzusehen wie die Sternennacht,
der hatte in seiner Hand einen eisernen Siegelring, den hielt er zwischen
Aufgang und Niedergang und sprach: Ewig, heilig, gerecht, unverfälschbar!
Es ist nur eine Wahrheit, es ist nur eine Tugend! Wehe,
wehe, wehe dem zweifelnden Wurme! - Da trat hervor ein Zweiter, der hatte
in seiner Hand einen blitzenden Spiegel, den hielt er zwischen Aufgang und
Niedergang und sprach: Dieser Spiegel ist Wahrheit; Heuchelei und Larven
bestehen nicht - da erschrak ich und alles Volk, denn wir sahen Schlangen-
und Tiger- und Leopardengesichter zurückgeworfen aus dem entsetzlichen
Spiegel. - Da trat hervor ein Dritter, der hatte in seiner Hand eine
eherne Waage, die hielt er zwischen Aufgang und Niedergang und sprach:
Tretet herzu, ihr Kinder von Adam - ich wäge die Gedanken in der Schale
meines Zornes und die Werke mit dem Gewicht meines Grimms! -
DANIEL. Gott erbarme sich
meiner!
FRANZ. Schneebleich stunden
Alle, ängstlich klopfte die Erwartung in jeglicher Brust. Da war mirs, als
hört ich meinen Namen zuerst genannt aus den Wettern des Berges, und mein
innerstes Mark gefror in mir, und meine Zähne klapperten laut. Schnell
begonn die Waage zu klingen, zu donnern der Fels, und die Stunden zogen
vorüber, eine nach der andern an der links hangenden Schale, und eine nach
der andern warf eine Todsünde hinein -
DANIEL. Oh, Gott vergeb
Euch!
FRANZ. Das tat er nicht! -
Die Schale wuchs zu einem Gebirge, aber die andere, voll vom Blut der
Versöhnung, hielt sie noch immer hoch in den Lüften - Zuletzt kam ein
alter Mann, schwer gebeuget von Gram, angebissen den Arm von wütendem
Hunger, aller Augen wandten sich scheu vor dem Mann, ich kannte den Mann,
er schnitt eine Locke von seinem silbernen Haupthaar, warf sie hinein in
die Schale der Sünden, und siehe, sie sank, sank plötzlich zum Abgrund,
und die Schale der Versöhnung flatterte hoch auf! - Da hört ich eine
Stimme schallen aus dem Rauche des Felsen: Gnade, Gnade jedem Sünder der
Erde und des Abgrunds! du allein bist verworfen! - (Tiefe Pause.)
Nun, warum lachst du nicht?
DANIEL. Kann ich lachen,
wenn mir die Haut schaudert? Träume kommen von Gott.
FRANZ. Pfui doch, pfui
doch, sage das nicht! Heiß mich einen Narren, einen aberwitzigen,
abgeschmackten Narren! Tu das, lieber Daniel, ich bitte dich drum, spotte
mich tüchtig aus!
DANIEL. Träume kommen von
Gott. Ich will für Euch beten.
FRANZ. Du lügst, sag ich -
geh den Augenblick, lauf, spring, sieh, wo der Pastor bleibt, heiß ihn
eilen, eilen; aber ich sage dir, du lügst.
DANIEL
(im Abgehn).
Gott sei Euch gnädig!
[5.1.6]
FRANZ.
Pöbelweisheit,
Pöbelfurcht! - Es ist ja noch nicht ausgemacht, ob das Vergangene nicht
vergangen ist, oder ein Auge findet über den Sternen - Hum, hum! wer
raunte mir das ein? Rächet denn droben über den Sternen einer? - Nein,
nein! - Ja, ja! Fürchterlich zischelts um mich: Richtet droben einer über
den Sternen! Entgegengehen dem Rächer über den Sternen diese Nacht noch!
Nein! sag ich - Elender Schlupfwinkel, hinter den sich deine Feigheit
verstecken will - öd, einsam, taub ists droben über den Sternen - Wenns
aber doch etwas mehr wäre? Nein, nein, es ist nicht! Ich befehle, es ist
nicht! Wenns aber doch wäre? Weh dir, wenns nachgezählt worden wäre! wenns
dir vorgezählt würde diese Nacht noch! - Warum schaudert mir so durch die
Knochen? - Sterben! warum packt mich das Wort so? Rechenschaft
geben dem Rächer droben über den Sternen - und wenn er gerecht ist, Waisen
und Witwen, Unterdrückte, Geplagte heulen zu ihm auf, und wenn er gerecht
ist? - warum haben sie gelitten, warum hast du über sie triumphieret? -
[5.1.7]
(Pastor Moser tritt auf.)
MOSER. Ihr ließt mich
holen, gnädiger Herr. Ich erstaune. Das erste Mal in meinem Leben! Habt
Ihr im Sinn, über die Religion zu spotten, oder fangt Ihr an, vor ihr zu
zittern?
FRANZ. Spotten oder
zittern, je nachdem du mir antwortest. - Höre, Moser, ich will dir zeigen,
dass du ein Narr bist, oder die Welt fürn Narren halten willst, und du
sollst mir antworten. Hörst du? Auf dein Leben sollst du mir antworten.
MOSER. Ihr fordert einen
Höheren vor Euren Richterstuhl. Der Höhere wird Euch dermaleins antworten.
FRANZ. Jetzt will ichs
wissen, jetzt diesen Augenblick, damit ich nicht die schändliche Torheit
begehe und im Drange der Not den Götzen des Pöbels anrufe. Ich habs dir
oft mit Hohnlachen beim Burgunder zugesoffen: Es ist kein Gott! - Jetzt
red ich im Ernste mir dir, ich sage dir: Es ist keiner! Du sollst mich mit
allen Waffen widerlegen, die du in deiner Gewalt hast, aber ich blase sie
weg mit dem Hauch meines Mundes.
MOSER. Wenn du auch eben so
leicht den Donner wegblasen könntest, der mit zehntausendfachem
Zentnergewicht auf deine stolze Seele fallen wird! Dieser allwissende
Gott, den du Tor und Bösewicht mitten aus seiner Schöpfung zernichtest,
braucht sich nicht durch den Mund des Staubes zu rechtfertigen. Er ist
eben so groß in deinen Tyranneien, als irgend in einem Lächeln der
siegenden Tugend.
FRANZ. Ungemein gut,
Pfaffe! So gefällst du mir.
MOSER. Ich stehe hier in
den Angelegenheiten eines größeren Herrn und rede mit einem, der ein Wurm
ist, wie ich, dem ich nicht gefallen will. Freilich müsst ich Wunder tun
können, wenn ich deiner halsstarrigen Bosheit das Geständnis abzwingen
könnte, - aber wenn deine Überzeugung so fest ist, warum ließest du mich
rufen? Sage mir doch, warum ließest du mich in der Mitternacht rufen?
FRANZ. Weil ich Langeweile
hab und eben am Schachbrett keinen Geschmack finde. Ich will mir einen
Spaß machen, mich mit Pfaffen herumzubeißen. Mit dem leeren Schrecken
wirst du meinen Mut nicht entmannen. Ich weiß wohl, dass derjenige auf
Ewigkeit hofft, der hier zu kurz gekommen ist; aber er wird garstig
betrogen. Ich habs immer gelesen, dass unser Wesen nichts ist, als Sprung
des Geblüts, und mit dem letzten Blutstropfen zerrinnt auch Geist und
Gedanke. Er macht alle Schwachheiten des Körpers mit, wird er nicht auch
aufhören bei seiner Zerstörung? nicht bei seiner Fäulung verdampfen? Lass
einen Wassertropfen in deinem Gehirne verirren, und dein Leben macht eine
plötzliche Pause, die zunächst an das Nichtsein grenzt, und ihre Fortdauer
ist der Tod. Empfindung ist Schwingung einiger Saiten, und das
zerschlagene Klavier tönet nicht mehr. Wenn ich meine sieben Schlösser
schleifen lasse, wenn ich diese Venus zerschlage, so ists Symmetrie und
Schönheit gewesen. Siehe da! Das ist eure unsterbliche Seele!
MOSER. Das ist die
Philosophie Eurer Verzweiflung. Aber Euer eigenes Herz, das bei diesen
Beweisen ängstlich bebend wider Eure Rippen schlägt, straft Euch Lügen.
Diese Spinnweben von Systemen zerreißt das einzige Wort: Du musst sterben!
- Ich fordere Euch auf, das soll die Probe sein, wenn Ihr im Tode annoch
feste steht, wenn Euch Eure Grundsätze auch da nicht im Stiche lassen, so
sollt Ihr gewonnen haben; wenn Euch im Tode nur der mindeste Schauer
anwandelt, weh Euch dann! Ihr habt Euch betrogen.
FRANZ (verwirrt).
Wenn mich im Tode ein Schauer anwandelt?
MOSER. Ich habe wohl mehr
solche Elende gesehn, die bis hieher der Wahrheit Riesentrotz boten; aber
im Tode selbst flattert die Täuschung dahin. Ich will an Eurem Bette
stehn, wenn Ihr sterbet - ich möchte so gar gern einen Tyrannen sehen
dahinfahren - ich will dabei stehn und Euch starr ins Auge fassen, wenn
der Arzt Eure kalte nasse Hand ergreift und den verloren schleichenden
Puls kaum mehr finden kann und aufschaut und mit jenem schrecklichen
Achselzucken zu Euch spricht: Menschliche Hilfe ist umsonst! Hütet Euch
dann, o hütet Euch ja, dass Ihr da nicht ausseht wie Richard und Nero!
FRANZ. Nein, nein!
MOSER. Auch dieses Nein
wird dann zu einem heulenden Ja. - Ein inneres Tribunal, das Ihr
nimmermehr durch skeptische Grübeleien bestechen könnt, wird jetzt
erwachen und Gericht über Euch halten. Aber es wird ein Erwachen sein, wie
des lebendig Begrabenen im Bauche des Kirchhofs; es wird ein Unwille sein,
wie des Selbstmörders, wenn er den tödlichen Streich schon getan hat und
bereut; es wird ein Blitz sein, der die Mitternacht Eures Lebens zumal
überflammt; es wird ein Blick sein, und wenn Ihr da noch feste steht, so
sollt Ihr gewonnen haben!
FRANZ (unruhig im Zimmer
auf und ab gehend). Pfaffengewäsche, Pfaffengewäsche!
MOSER. Jetzt zum ersten Mal
werden die Schwerter einer Ewigkeit durch Eure Seele schneiden, und jetzt
zum ersten Mal zu spät. - Der Gedanke Gott weckt einen
fürchterlichen Nachbar auf, sein Name heißt Richter. Sehet, Moor,
Ihr habt das Leben von Tausenden an der Spitze Eures Fingers, und von
diesen Tausenden habt Ihr Neunhundertneunundneunzig elend gemacht. Euch
fehlt zu einem Nero nur das römische Reich, und nur Peru zu einem Pizarro.
Nun glaubt Ihr wohl, Gott werde es zugeben, dass ein einziger Mensch in
seiner Welt wie ein Wüterich hause und das Oberste zu unters kehre? Glaubt
Ihr wohl, diese Neunhundertundneunundneunzig seien nur zum Verderben, nur
zu Puppen Eures satanischen Spieles da? Oh, glaubt das nicht! Er wird jede
Minute, die Ihr ihnen getötet, jede Freude, die Ihr ihnen vergiftet, jede
Vollkommenheit, die Ihr ihnen versperrt habt, von Euch fordern dereinst,
und wenn Ihr darauf antwortet, Moor, so sollt Ihr gewonnen haben.
FRANZ. Nichts mehr, kein
Wort mehr! Willst du, dass ich deinen schwarzlebrigen Grillen zu Gebote
steh'?
MOSER. Sehet zu, das
Schicksal der Menschen steht unter sich in fürchterlich schönem
Gleichgewicht. Die Wagschale dieses Lebens sinkend, wird hochsteigen in
jenem, steigend in diesem, wird in jenem zu Boden fallen. Aber was hier
zeitliches Leiden war, wird dort ewiger Triumph; was hier endlicher
Triumph war, wird dort ewige unendliche Verzweiflung.
FRANZ (wild auf ihn
losgehend). Dass dich der Donner stumm mache, Lügengeist du! Ich will
dir die verfluchte Zunge aus dem Munde reißen!
MOSER. Fühlt Ihr die Last
der Wahrheit so früh? Ich habe ja noch nichts von Beweisen gesagt. Lasst
mich nur erst zu den Beweisen -
FRANZ. Schweig, geh in die
Hölle mit deinen Beweisen! Zernichtet wird die Seele, sag ich dir, und
sollst mir nicht darauf antworten!
MOSER. Darum winseln auch
die Geister des Abgrunds, aber der im Himmel schüttelt das Haupt. Meint
Ihr dem Arm des Vergelters im öden Reich des Nichts zu entlaufen? Und
führet Ihr gen Himmel, so ist er da! und bettetet Ihr Euch in die Hölle,
so ist er wieder da! und sprächet Ihr zu der Nacht: Verhülle mich, und zu
der Finsternis: Birg mich! so muss die Finsternis leuchten um Euch und um
den Verdammten die Mitternacht tagen - aber Euer unsterblicher Geist
sträubt sich unter dem Wort und siegt über den blinden Gedanken.
FRANZ. Ich will aber nicht
unsterblich sein - sei es, wer da will, ich wills nicht hindern. Ich will
ihn zwingen, dass er mich zernichte, ich will ihn zur Wut reizen, dass er
mich in der Wut zernichte. Sag mir, was ist die größte Sünde, und die ihn
am grimmigsten aufbringt?
MOSER. Ich kenne nur zwei.
Aber sie werden nicht von Menschen begangen, auch ahnden sie Menschen
nicht.
FRANZ. Diese zwei? -
MOSER (sehr bedeutend).
Vatermord heißt die eine, Brudermord die andere - Was macht
Euch auf einmal so bleich?
FRANZ. Was, Alter? Stehst
du mit dem Himmel oder mit der Hölle im Bündnis? Wer hat dir das gesagt?
MOSER. Wehe dem, der sie
beide auf dem Herzen hat! Ihm wäre besser, dass er nie geboren wäre! Aber
seid ruhig! Ihr habt weder Vater noch Bruder mehr!
FRANZ. Ha! - was, du
kennst keine drüber? Besinne dich nochmals - Tod, Himmel, Ewigkeit,
Verdammnis schwebt auf dem Laut deines Mundes - keine einzige drüber?
MOSER. Keine einzige
drüber.
FRANZ (fällt in einen
Stuhl). Zernichtung! Zernichtung!
MOSER. Freut Euch, freut
Euch doch! preist Euch doch glücklich! - Bei allen Euren Gräueln seid Ihr
noch ein Heiliger gegen den Vatermörder. Der Fluch, der Euch trifft, ist
gegen den, der auf diesen lauert, ein Gesang der Liebe - die Vergeltung -
FRANZ (aufgesprungen).
Geh in tausend Grüfte, du Eule! wer hieß dich hieher kommen? Geh, sag ich,
oder ich stoß dich durch und durch!
MOSER. Kann das
Pfaffengewäsch so einen Philosophen in Harnisch jagen? Blast es doch weg
mit dem Hauch Eures Mundes! (Geht ab.)
[5.1.8]
FRANZ (wirft sich in
seinem Sessel herum in schrecklichen Bewegungen. Tiefe Pause).
[5.1.9]
(Ein Bedienter eilig.)
BEDIENTER. Amalia ist
entsprungen, der Graf ist plötzlich verschwunden.
[5.1.10]
(Daniel kommt ängstlich.)
DANIEL. Gnädiger Herr, jagt
ein Trupp feuriger Reiter die Staig herab, schreien Mordjo, Mordjo - das
ganze Dorf in Alarm.
FRANZ. Geh, lass alle
Glocken zusammenläuten, alles soll in die Kirche - auf die Knie fallen
alles - beten für mich - alle Gefangne sollen los sein und ledig, ich will
den Armen alles doppelt und dreifach wiedergeben, ich will - so geh doch -
so ruf doch den Beichtvater, dass er mir meine Sünden hinwegsegne - Bist
du noch nicht fort? (Das Getümmel wird hörbarer.)
DANIEL. Gott verzeih mir
meine schwere Sünde! Wie soll ich das wieder reimen? Ihr habt ja immer das
liebe Gebet über alle Häuser hinausgeworfen, habt mir so manche Postill
und Bibelbuch an den Kopf gejagt, wenn Ihr mich ob dem Beten ertapptet -
FRANZ. Nichts mehr davon -
Sterben! siehst du? Sterben! - Es wird zu spät. (Man hört
Schweizern toben.) Bete doch! bete!
DANIEL. Ich sags Euch immer
- Ihr verachtet das liebe Gebet so - aber gebt acht, gebt acht! wenn die
Not an Mann geht, wenn Euch das Wasser an die Seele geht, Ihr werdet alle
Schätze der Welt um ein christliches Seufzerlein geben - Seht Ihrs? Ihr
verschimpftet mich! Da habt Ihrs nun! Seht Ihrs?
FRANZ (umarmt ihn
ungestüm). Verzeih, lieber, goldner Perlendaniel, verzeih - ich will
dich kleiden von Fuß auf - so bet doch - ich will dich zum Hochzeiter
machen - ich will - so bet doch - ich beschwöre dich - auf den Knien
beschwör ich dich - Ins T---ls Namen! so bet doch! (Tumult
auf den Straßen. Geschrei - Gepolter.)
SCHWEIZER
(auf der Gasse).
Stürmt! Schlagt tot! Brecht ein! Ich sehe Licht, dort muss er sein.
FRANZ (auf den Knien).
Höre mich beten, Gott im Himmel! - Es ist das erste Mal - soll auch gewiss
nimmer geschehen - Erhöre mich, Gott im Himmel!
DANIEL. Mein doch! Was
treibt Ihr? Das ist ja gottlos gebetet.
(Volksauflauf.)
VOLK. Diebe! Mörder! Wer
lärmt so grässlich in dieser Mitternachtsstunde?
SCHWEIZER (immer auf der
Gasse). Schlag sie zurück, Kamerad - der Teufel ists und will euren
Herrn holen - Wo ist der Schwarz mit seinem Haufen? - Postier dich ums
Schloss, Grimm - Lauf Sturm wider die Ringmauer!
GRIMM. Holt ihr Feuerbrände
- wir hinauf oder er herunter - ich will Feuer in seine Säle schmeißen.
FRANZ (betet). Ich
bin kein gemeiner Mörder gewesen, mein Herrgott! - hab mich nie mit
Kleinigkeiten abgegeben, mein Herrgott -
DANIEL. Gott sei uns
gnädig! Auch seine Gebete werden zu Sünden. (Es fliegen Steine und
Feuerbrände. Die Scheiben fallen. Das Schloss brennt.)
FRANZ. Ich kann nicht beten
- hier, hier! (Auf Brust und Stirn schlagend.) Alles so öd - so
verdorret. (Steht auf.) Nein, ich will auch nicht beten - diesen
Sieg soll der Himmel nicht haben, diesen Spott mir nicht antun die Hölle -
DANIEL. Jesus Maria! helft
- rettet - das ganze Schloss steht in Flammen!
FRANZ. Hier, nimm diesen
Degen. Hurtig! Jag mir ihn hinterrücks in den Bauch, dass nicht diese
Buben kommen und treiben ihren Spott aus mir. (Das Feuer nimmt
überhand.)
DANIEL. Bewahre! Bewahre!
Ich mag Niemand zu früh in den Himmel fördern, viel weniger zu früh
[5.1.11] - (Er
entrinnt.)
FRANZ (ihm grass
nachstierend, nach einer Pause). In die Hölle, wolltest du sagen -
Wirklich? ich wittere so etwas - (Wahnsinnig.) Sind das ihre hellen
Triller? Hör ich euch zischen, ihr Nattern des Abgrunds? - Sie dringen
herauf - belagern die Tür - warum zag ich so vor dieser bohrenden Spitze?
- die Tür kracht - stürzt - unentrinnbar - Ha! so erbarm du dich meiner! (Er
reißt seine goldene Hutschnur ab und erdrosselt sich.)
[5.1.12] (Schweizer mit seinen
Leuten.)
SCHWEIZER. Mordkanaille, wo
bist du? - Saht ihr, wie sie flohen? - hat er so wenig Freunde? - Wohin
hat sich die Bestie verkrochen?
GRIMM (stößt an die
Leiche). Halt, was liegt hier im Weg? Zündet hieher -
SCHWARZ. Er hat das
Prävenire gespielt. Steckt eure Schwerter ein, hier liegt er wie eine
Katze verreckt.
SCHWEIZER. Tot! was? tot?
ohne mich tot? - Erlogen, sag ich - Gebt acht, wie hurtig er auf die Beine
springt! - (Rüttelt ihn.) Heh du! Es gibt einen Vater zu ermorden.
GRIMM. Gib dir keine Müh.
Er ist maustot.
SCHWEIZER (tritt von ihm
weg). Ja! Er freut sich nicht - Er ist maustot - Gehet zurück und
saget meinem Hauptmann: Er ist maustot - mich sieht er nicht wieder. (Schießt
sich vor die Stirn.)
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Szenenschema
• Szenenüberblick 5. Akt
• Text: Fünfter Akt
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Gesamttext
/Recherche/Leseversion)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
14.11.2023