Zu den Zeitgenoss*innen, die für
Friedrich Schillers Ballade "Das
Lied von der Glocke" kein gutes Wort fanden, gehörte der
frühromantische Schlegelkreis, dessen Kunstverständnis sich von der
klassischen Kunsttheorie grundlegend unterscheidet.
Zu dem für die Romantiker typischen
regionalen Gruppenbildung gehört die sogenannte
Jenaer Romantik, zu dessen Kreis ab 1798 »Novalis
(1772-1801) (= Georg Philipp Friedrich von Hardenberg), »Ludwig
Tieck (1773-1835), »Wilhelm
Heinrich Wackenroder (1773-1798), »August
Wilhelm Schlegel (1767-1845) und »Friedrich
Schlegel (1772-1829) sowie die Philosophen »Friedrich
Schleiermacher (1768-1834), »Johann
Gottlieb Fichte (1762-1814), »Friedrich
Wilhelm Joseph Schelling (1775-1854) und der Naturphilosoph »Johann
Wilhelm Ritter (1776-1810) gehörten. In ihrer Zeitschrift »Athenäum,
die zwischen 1798 und1800) in sechs Heften erschien, entwarfen sie "das
Programm einer alle Künste (Literatur, Musik, bildende Kunst) und
Wissenschaften (Philosophie, Theologie, Medizin u. a.) umfassenden
Universalpoesie im Sinne einer Weiterführung der Weimarer Klassik und
einer Synthese von Kunst, Staat und Gesellschaft." (Loquai
2006, S.353)
Aller Unterschiede zum Trotz kann man die
Romantik aber "nicht nur als Antithese zur Klassik" verstehen, sondern
als Fortsetzung. (vgl.
ebd., S.354) Mit ihren äußerst vielfältigen Denkmodellen, die sich
zum Teil auch widersprechen und in Konkurrenz zu einander stehen, wie z.
B. geschichtsphilosophisch fundierten Utopien, subjektivistischen
Rückzugsmodellen (Elfenbeinturm, Eremitenklause), rationalen Theorien
und ekstatischen Phantasien, ihrem System mit Chaos und ihrer Vernunft
und ihrem Irrationalismus bemüht sie sich doch "um eine ganzheitliche,
alle Bereiche des Lebens durchdringende, wechselseitige Erneuerung von
Kunst und Gesellschaft mit utopischen, an einem Kunstideal
ausgerichteten Ansprüchen." (ebd.)
»Caroline
Schlegel (1763-1809) zählte zur Gruppe Göttinger Professorentöchter,
die als »Universitätsmamsellen
bezeichnet wurden, weil sie sich zu einer Zeit literarisch-akademisch
und zum Teil auch politisch betätigten, als das bei Frauen noch sehr
unüblich war. Zugleich galt die "umfassend gebildete, mit soliden
Kenntnissen der französischen und deutschen Literatur ausgestattete
Intellektuelle" (Alt,
Bd. II, 2004, S.321) als »Muse,
die verschiedene Dichter und Denker der
Romantik inspiriert hat.
Nach
ihrer Zeit in der ▪
Mainzer Republik
(Juli 1792 - September 1793), mit der Caroline Böhmer
sympathisierte, wird sie 1793 von preußischen Truppen festgenommen und
inhaftiert und später wegen einer Schwangerschaft unter Hausarrest
gestellt. Dem Engagement verschiedener Verwandter, Freunde und
Bekannter, darunter der Brüder »Friedrich
und »August
Wilhelm Schlegel hatte sie zu verdanken, dass sie auf Anordnung des
preußischen Königs »Friedrich
Wilhelm II. im Juli 1793 freikamen.
Dennoch blieb Caroline Böhmer nach ihrer Haftentlassung in
Deutschland als "leichtfertige" Frau und "Democratin" gesellschaftlich
geächtet und wurde auch weiterhin durch die Obrigkeit konsequent
diskriminiert. Bei einem Besuch in ihrer Heimatstadt Göttingen erklärte
man sie kurzerhand per Dekret zur unerwünschten Person und Dresden
untersagte ihr von vornherein, in die Stadt zuziehen.
In dieser Situation wandten sich auch alte Freunde von Caroline Böhmer
ab, die 1795 fmit ihrer Tochter Auguste bei ihrer Mutter in Braunschweig
notdürftig unterkam. Dort traf sie einige Monate später August Wilhelm
Schlegel, den sie mit Rücksicht auf ihre schwierige wirtschaftliche und
gesellschaftliche Lage im Juli 1796 heiratete.
Schon kurz danach siedelte das Ehepaar mit Tochter Auguste nach Jena
um, wo sie sich in den akademischen Kreisen der Universitätsstadt besser
aufgenommen fand und sogar Johann Wolfgang von Goethe Mitte Juli zu
einem Überraschungsbesuch eintraf. Im Dezember fuhren Caroline und
August Wilhelm Schlegel für ein paar Tage nach Weimar.
August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schiller standen zunächst in
einem Verhältnis "der Gleichberechtigung und gegenseitigen Anerkennung"
zueinander. (Alt,
Bd. II, 2004, S.313) Doch diese Harmonie war schnell dahin, als
dessen jüngerer Bruder Friedrich im Deutschland-Journal
"kühle Rezensionen des aktuellen Horen-Jahrgangs" veröffentlicht und
auch über die Xenien
Anmerkungen im "Gestus kunstrichterlicher Herablassung" macht. (ebd.,
S.318) Die darauf einsetzende, vergleichsweise schnell fortschreitende Entfremdung
zwischen den Schlegels und Schiller ist dabei in großem Maße auf das Konto
»Friedrich
Schlegel (1772-1829)
gegangen. (vgl. ebd.)
Allein verantwortlich dafür war er allerdings nicht.
Denn natürlich spielt auch der programmatische Gegensatz der beiden
neben allen sonstigen Empfindlichkeiten eine große Rolle. Man hat
unterschiedliche Ansichten darüber, was die Einordnung Shakespares in
die Literatur angeht, ist sich uneins über die Bewertung
zeitgenössischer Autoren und hat auch grundlegend unterschiedliche
ästhetische Ansichten.
Wie so oft wurden auch diese sachlichen Gegensätze von persönlichen
Abneigungen überlagert und verstärkt. Und diese betrafen im Falle
Schillers vor allem »Caroline
Schlegel (1763-1809), die "Dame Lucifer", wie er sie
selbst nannte. Und auch die Ehefrauen können nicht gut miteinander, wie
dies Ratschläge belegen, die im Umfeld von »Charlotte
Schiller umhergingen: "Die Schillern lässt Dir sagen, sowie die
Schlegeln zum Haus heraus ist, sollst Du alle Türen und Fenster öffnen
und dann zwei Pfund Räucherpulver verschießen, damit die Luft von der
früheren Bewohnerin bis zu deren letzten Hauch gereinigt werde. Ein
Pfund Räucherpulver wolle die Schillern selbst dazu geben." (Brief
von Rosina Eleanore Döderlein an ihren Verlobten Friedrich Immanuel
Niethammer, zit. n.
Kleßmann
1992, S.148)
Schon die unterschiedlichen Biographien »Charlotte
von Schillers (1776-1826) sprechen Bände:
"Die provokationsfreudige Schlegel" (Alt,
Bd. II, 2004, S.320) hatte vor ihrer Heirat mit dem vier Jahre
jüngeren August Wilhelm Schlegel am 1. Juli 1796 schon eine Menge
erlebt. Sie "(hatte) bereits ein bewegtes
Leben mit verschiedenen Rollen hinter sich – als Göttinger
Professorentochter (ihr Vater war der einflussreiche Orientalist Johann
David Michaelis), als früh verwitwete Gattin eines Clausthaler Arztes,
Vertraute Georg Forsters und seiner in Mainzer Jakobinerkreisen aktiven
Frau Therese (der Tochter des Göttinger Philosophen Heyne, die später
Schillers Freund Huber heiratete), als Mutter eines unehelichen Kindes,
das sie mit einem jungen französischen Offizier gezeugt hatte, Gefangene
der kurfürstlich Mainzischen Regierung, die sie für eine deutsche
Revolutionssympathisantin hielt, schließlich als Freundin des älteren
Schlegel, der sie aus der Königsteiner Haft befreit und in Licka bei
Leipzig vor der Polizei versteckt." (ebd.,
S.320f.)
»Charlotte
Schiller (1776-1826), als geborene Charlotte von Lengefeld adelig
von Geburt, "(war) durch die Heirat mit Schiller gesellschaftlich
abgestiegen (...) und (musste) diese Tatsache wohl durch besonders stark
aufgetragene Prätentionen im Bereich gesellschaftlicher Vorgaben
ausgleichen (...)" (Appel
2013, S.156). Sie konnte zwar mit der Doppelliebe ihres Mannes mit
ihrer eigenen Schwester ▪
Caroline von Wolzogen
(1763 -
1847), die bis zum Tod Friedrich Schillers anhielt, erstaunlich lax
umgehen, auch wenn man sich allerorten darüber das Maul verriss, kannte
aber ansonsten wenig Pardon, wenn gegen Sitte und Moral verstoßen wurde.
Das machte sie von vornherein zu einer der wichtigsten
gesellschaftlichen Gegenspielerinnen Caroline Schlegels in Jena. Was
schon ihrem Mann nicht passte, dass Caroline auch in Gesellschaft so gar
nicht willens war, ihre rhetorische Naturbegabung und ihr enormes Wissen
herkömmlichen Normen folgend zurückzuhalten, sondern mitunter ohne
Diplomatie und Fingerspitzengefühl in gesellschaftlicher Runde
artikulierte, was sie dachte, war wohl das direkte Gegenbild zu dem, was
man den wenig ausgeprägten Konversationsfähigkeiten Charlotte Schillers
nachsagte. (vgl.
Roßbeck
2009, S. 136) Dazu entstand bei Charlotte Schiller noch der
Eindruck, dass auch Goethe nicht mehr sie, sondern Caroline zu
bevorzugen begann. (ebd.,
S.142) Dass Schiller "die intellektuelle Souveränität, mit der sich
Caroline Schlegel in die öffentlichen Dispute der Zeit einmischte" (Alt,
Bd. II, 2004., S.318), klar gegen den Strich gingen, rundet das Bild
dabei noch ab.
1798 kam der Philosoph
Friedrich Wilhelm Joseph Schelling nach Jena. Wie
Novalis
und
Ludwig Tieck verkehrte auch er bald im Hause Schlegel. Es
entwickelte sich eine Liebesbeziehung zwischen ihm und Caroline, die von
ihrem Mann toleriert wurde.