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Michael Lamprecht: Pizza picante (Romanauszug)

 Zeitgestaltung im erzählenden Text

 
FAChbereich Deutsch
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Zeitgestaltung im erzählenden Text

Zwei Bier und einmal Pizza picante. Nein, Regina, wollte nichts essen, meinte, sie sei satt. Markus überlegte, ob er seine Pizza auch wieder abbestellen sollte, denn der Gedanke, vor ihren Augen allein diesen belegten Hefeteig vertilgen zu müssen, verunsicherte ihn sehr. Doch der Kellner war bereits in der Küche verschwunden.
Das Bier kam, Regina drehte sich eine Zigarette, und sie begannen zu fachsimpeln. Markus wollte erst mal Sympathien einfahren und versuchte, möglichst einfühlsam zu reden. Er wollte auf keinen Fall das sagen, was Regina sowieso von einem Mann erwartete.
Er war ganz zufrieden mit sich. Doch dann kam die Pizza. "Willst du nicht wenigstens mal probieren?" fragte er, um Regina doch noch in die Speiseverrichtung einzubeziehen, die nun bevorstand. Aber sie lehnte weiterhin ab, jetzt schon fast genervt. So stach er nur für sich in den harten Teig und musste aufpassen, dass der Teller dabei nicht kippte. "Wie kann man eine so große Pizza nur auf einem Teller servieren, die gehört auf ein Holzbrett", suchte Markus nach einer Entschuldigung und erschrak über das Messer, das über das Porzellan quiekte. Das war ein viel versprechender Start. Er traute sich jetzt nicht, Regina anzusehen. Wahrscheinlich saß sie da, nippte genüsslich an ihrem Bier und freute sich auf das tolle Programm, das gerade erst begonnen hatte: Ein Mann und seine Pizza. Dreidimensional. Regina in der ersten Reihe, ganz dicht dran. Life.
Der Schnitt war nicht tief genug. Markus zerrte das angeschnittene Stück mit der Gabel vom Pizzarund, auf das er das Messer presste um die notwendige Gegenkraft aufbringen zu können. Jetzt quiekte die Gabel. Es gab einen Ruck und beinahe hätte er das große Stück mit dem Messer vom Teller gefegt. Er hatte noch nichts gegessen, und trotzdem arbeiteten seine Schweißdrüsen schon mit voller Kraft. Markus führte die Gabel möglichst ruhig vor seinen Mund, den er sehr spät und nur leicht öffnete. Unauffällig wollte er das Stück in den elegant wartenden Mundwinkel schieben. Er wollte den Eindruck vermitteln, als sei es für ihn völlig selbstverständlich, vor einer wildfremden Frau zu sitzen, um vor ihren prüfenden Augen eine Pizza zu verspeisen.
Jetzt machte er sich Sorgen um seine Kaugeräusche. Er kaute so langsam und so wenig wie möglich, und dennoch erreichte sein Schmatzen Regina sicherlich im Dolby-Stereo-Sound. Was sollte er machen. Einspeicheln ist wichtig. Kräftiges Einspeicheln verhindert magenbedingten Mundgeruch. Er war in einer Zwickmühle und hoffte nur, dass kein Tomatenmark an seinem Kinn hängen geblieben war.
Dann plötzlich dieses Brennen im Hals, das runterwandert bis zum Magen und die Speiseröhre zum Kochen bringt. Die Spur einer Peperoni, die Markus gedankenverloren auf die Gabel gespießt hatte, ohne an den Beinamen seiner Pizza zu denken, der ihm aber jetzt schweißnass aus den Augen quoll: picante! Das Bier, denkt Markus, das könnte mich retten. Er greift zu dem Glas und nimmt einen kräftigen Schluck, um das tobende Feuer in seiner Brust zu löschen. Doch das Bier kommt nicht weit, vielleicht bis zum ersten Halswirbel. Da stemmt sich ihm ein Schluckauf entgegen, der die Speiseröhre versperrt. Und zurück mit dem Schluck durch Nase und Mund. Markus prustet fürchterlich, und nicht alles an Regina vorbei.
Er läuft rot an und weiß, dass er den Peperonivorfall jetzt nicht länger für sich behalten kann. Und weil nun sowieso alles egal ist, stürzt er zur Toilette und lässt sich das Chlorwasser durch Schlund und Kehle laufen. Er kühlt seine Stirn, schaut verlegen in den Spiegel, wünscht, Ruth säße nebenan am Tisch und wischte sich sein Bier aus dem Haar.
Mit Ruth wäre das alles kein Problem. Da würde er jetzt ganz locker zurückgehen und weiter essen. Und ihr sagen, sie solle nicht so blöd kichern, und sich so lange über ihr Kichern aufregen, bis klar war, dass sie die Schuld an seinem Schluckauf trug.
Oder Ruth würde ihn trösten, ihn streicheln und trösten, und gemeinsam würden sie den Schluckauf besiegen.
Doch nebenan saß eine Emanze aus der Frauengruppe und lachte sicherlich hemmungslos. Lachte sich kaputt über die Männer, diese fresssüchtigen Tiere, die alles in sich hineinstopfen, unterschiedslos, die ganze Welt mit ihrer Gier überziehen und selbst vor einer Peperoni nicht Halt machen.
Jetzt würde endlich einer an seinem Schluckauf verrecken, endlich die Erde von einem dieser Gierhälse befreit, und dann wäre der Tag nicht mehr weit, an dem die Frauen die Macht übernähmen. Alle geschundenen Kreaturen würden befreit, die Legehennen aus ihren Batterien, und hinein kämen die Männer zur Samenproduktion. Und auf den Tisch kämen Müsli, Gemüse und Obst, von wegen Pizza picante. Oder vielleicht doch?
Als Markus wieder zu Regina an den Tisch kam, hatte sie große Pizza in handliche Stücke zerschnitten und die Peperonis aussortiert. Sie ließ sich sogar überreden, ein kleines Stück mit zu essen. Das verstand Markus in diesem Moment als schwesterliche Solidarität.
Wochen später beichtete sie ihm, dass sie an diesem Abend einen geradezu tierischen Hunger gehabt hatte. Am liebsten wäre sie über die Pizza hergefallen wie Max über die Graupen. Hätte sie runtergeschlungen mitsamt der Peperonis und wäre immer noch nicht satt gewesen. Aber da sie zu stolz war, sich von ihm einladen zu lassen, musste sie ihren Magen mit kleinen, wohldosierten Schlucken aus dem Bierglas besänftigen und mit ansehen, wie Markus Stück für Stück der Pizza verdrückte, am Schluckauf vorbei. Denn ihr Geld hatte sie in die Kinokarte investiert, blieben gerade noch eine Mark zwanzig für ein Bier.
Aber genascht hatte sie, nachdem Markus puterrot zur Toilette gestürzt war. Deshalb hatte sie die Pizza in Dreiecke zerschnitten - da fiel das nicht so auf.

(Michael Lamprecht, Die Gegenwart der Vergangenheit der Liebe, 1987, S.58-61)

Zeitgestaltung im erzählenden Text

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 20.12.2023

 
   Arbeitsanregungen:

  Interpretieren Sie den Text.

  1. Untersuchen Sie das Verhalten von Markus und Regina. Zeigen Sie unter Berücksichtigung der Zeitgestaltung auf, wie Markus die Situation erlebt.

  2. Arbeiten Sie heraus, mit welchen erzähltechnischen und sprachlichen Mitteln der Autor die Aussage der Geschichte gestaltet.
    Beachten Sie dabei vor allem die Zeitgestaltung des Textes.

 
 
 

 
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