Für die ▪ traditionelle Parabel
ist die Doppelstruktur von Bild- und Sachbereich ein
grundlegendes Merkmal. Mit ihr kann die Parabel unter bestimmten
textseitigen und leserseitigen Bedingungen ihre ▪
didaktische Funktion erfüllen.
Sie besteht darin,
dem dafür empfänglichen Leser eine allgemeine, universell gültige
Lehre über "Gott und die Welt" zu vermitteln, die das von Erzähler
und Leser geteilte, gemeinsame Welt- und Menschenbild bestätigt. Das
geschlossene Konzept traditioneller Parabeln unterstellt damit auch,
dass es einen solchen Sinn
▪
in einem
kohärenten Weltbild gibt.
Das war bei der
traditionellen Parabel lange das ▪
christlich-religiöse, dann auch ▪
das am
Vernunftdenken orientierte und schließlich auch das an ▪
marxistischen Theorien orientierte Weltbild, von denen jedes für
sich den nötigen, in sich geschlossenen und in sich kohärenten, nie zu
hinterfragenden Bezugsrahmen boten, innerhalb dessen sich die
didaktischen Ziele erfüllen konnten und sollten.
Es ist allerdings
immer erst der konstruktive, aber vom Text traditioneller Parabeln
möglichst genau gelenkte mentale Akt der Übertragung, der das
Sinnversprechen einlöst, mit dem der Erzähler in einer didaktischen
Parabel dem Leser gegenübertritt. Allerdings liegt auch hier der
Sinn nicht einfach auf der Hand.
Auch traditionelle Parabeln entziehen sich
oft "einem
spontanen Leserzugang" (Durzak
1986, S.348). Sie können "sperrig" und rätselhaft wirken,
wenngleich gewöhnlich nicht so sehr, wie ▪
moderne
Parabeln.
Sie können aber einem heutigen Leser, insbesondere, wenn der Text
aus länger zurückliegenden Zeiten stammt oder wenn er ihm Menschen-
und Weltbild zugrunde liegt, die einer heutiger Leser aus
verschiedenen Gründen nicht teilt, durchaus auch fremd bleiben.
Dabei können auch traditionelle Parabeln Gefühle ▪
alltäglicher,
▪ struktureller und
im Extremfall auch ▪
radikaler Fremdheit
auslösen. Um diese zu überwinden, können aber geeignete Strategien
helfen, die an ganz verschiedenen Punkten ansetzen.
Das, was
traditionelle Parabeln darbieten oder erzählen, bedeuten sie "eigentlich" nicht,
oder anders gesagt: Was erzählt wird, geht nicht im Erzählten selber
auf, sondern ist anders gemeint. Dieser "Uneigentlichkeitscharakter"
der Parabel macht auch darauf aufmerksam, dass bei ihr der
"gleichnishafte Charakter als Gattungskern" immer noch
spürbar ist. (Yun
Mi Kim 2012, S.26)
Für die ▪ traditionelle Parabel gilt, dass ihr "Sinn nicht in der Geschichte selbst, sondern in
dem, was ihr Inhalt bedeutet" (van
Rinsum 1986b, S.14), liegt. Dabei
ist "das Erzählte ... mehr als es selbst, es ist das in Anschauung
gebrachte Gemeinte, wobei es gleichgültig ist, ob das Gemeinte eine
Lehre oder auch nur eine Frage" darstellt. (Brettschneider
1971, S.74) Für die ▪ moderne Parabel
gilt dies allerdings nur mit Einschränkungen.
Ihre ▪
didaktischen Ziele soll die ▪
traditionelle Parabel (auch oft, aber
nicht völlig gleichbedeutend didaktische Parabel genannt) dadurch
erreichen, dass sie eine Geschichte erzählt, die ihren eigentlichen
Sinn erst nach der eindeutigen Übertragung auf einen außerhalb der
erzählten Geschichte liegenden (Bedeutungs-)Bereich enthüllt.
Ob das Ziel
erreicht wird, hängt dabei natürlich nicht nur vom Text, sondern vor
allem auch vom Leser selbst ab, der aus dem Text herauslesen muss,
dass etwas anderes gemeint ist, als das, was da erzählt wird, selbst
wenn das Erzählte, für sich genommen, durchaus auch Sinn machen
kann.
Um diesen Sinn der
Parabel zu verstehen, muss der Leser in einem quasi zweistufigen
Prozess zunächst einmal "erlesen", was im Text steht, und im
Anschluss oder auch während des Lesens, das Gelesene auf einen
außerhalb des Textes liegenden Bedeutungszusammenhang übertragen.
Was dabei geschieht, verläuft aber nicht in einem schematischen
Nacheinander, sondern beide Prozesse wirken ständig darauf ein, wie
wir den Text verstehen.
Was dabei im Umgang
mit dem Text passiert, hat man textseitig als so genannte
Doppelstruktur der Parabel beschrieben. Als eine Art
"Hilfskonstruktion" (Dithmar
1970, S.15) verdeutlicht sie, in
welchem strukturellen Verhältnis das Erzählte zu
dem eigentlichen Gemeinten steht und wie man sich den
Übertragungsprozess in einen neuen Bedeutungszusammenhang außerhalb
des Textes vorstellen kann.
-
Der
Bildbereich, auch Bildhälfte genannt, ist das, was in dem
Text erzählt wird. Sie ist einer alltäglichen Sinngebung zugänglich,
weil ihre Elemente und deren Beziehung zueinander der
außertextlichen Welt entstammen, auf die sie verweisen. Dabei
ordnet sich der Bildbereich dem Sachbereich unter, weil er
funktional darauf festgelegt ist, das im Sachbereich
liegende Allgemeine (Totalitätsbezug) in eine knappe Erzählung
"zu verpacken".
-
Als
Sachbereich, auch Sachhälfte oder
Gedankenbereich genannt, wird das außerhalb des Textes
selbst liegende Ganze (Totalität), man könnte es auch die außertextliche Welt
nennen, bezeichnet. Auf diesen Sachbereich bzw. Elemente daraus,
lässt sich das im Bildbereich Erzählte übertragen und dieser
Brückenschlag vom Bildbereich in den Sachbereich
gilt als der Schlüssel zu einem vertiefteren Verständnis einer
Parabel.
Im Idealfalle besitzen alle bedeutungstragenden Elemente des Bildbereichs
auch eine analoge Entsprechung im
Sachbereich, in dem Bereich also, auf den das Erzählte insgesamt
verweist.
Wer den
Verweisungszusammenhang von Bild- und Sachbereich in dieser Weise
versteht, findet eine ▪ Vielzahl traditioneller Parabeln,
welche die literarische Kommunikation zwischen Autor / Erzähler und
Leser / Hörer entsprechend der didaktischen Aufgabe der Parabel
gestaltet:
-
Der Autor bzw.
Erzähler kodiert seine Botschaft dabei quasi in doppelter Weise: Er
erzählt die Geschichte und schreibt unter der "Oberfläche" des
Textes eine eindeutige Lehre hinein. In der über den Text
vermittelten Kommunikation zwischen Erzähler und Leser spiegelt
sich die untergeordnete Rolle des erzählten Geschehens wieder:
Der Parabelerzähler ist wegen seiner Rolle als Vermittler der
"wahren" Lehre der ▪
wissende Lehrer eines in die Schülerrolle
versetzten Lesers, der den Text nur dann verstanden hat, wenn er
den Rezeptionsvorgaben des Erzählers folgt. Ein Musterbeispiel
dafür ist ▪
Lessings (1729-1781) ▪
Ringparabel
in seinem Drama ▪
Nathan der Weise
(1779), bei der ▪
Nathan
als Erzähler und Aufklärer des "unwissenden" Sultans
▪
Saladin
agiert.
-
So bleibt dem
Leser im Konzept traditioneller Parabeln nur
wenig Spielraum für eigene Sichtweisen. Entweder er teilt eben
die ihm vorgegebene konzeptuelle Basis, dann kann er ihren
▪ Sinn auch konstruieren, oder er tut dies nicht, und dringt
damit auch nicht zu ihrem tieferen Verständnis vor.
-
und wenig Chancen
für den Leser, der die konzeptuelle Basis der vermittelten Lehre
nicht teilt.