Die Themen der traditionellen (religiösen)
Erbauungsparabel leiten
sich von ihrer Funktion ab, "religiöse Überzeugungen zu verdeutlichen
oder diese einzuüben." (Zymner 2006a,
S. 307)
Ihr Fundament ist das überlieferte christliche Menschen- und
Weltbild, in dem alle Dinge in einer gottgewollten Ordnung ihren
festen Platz haben und der Sinn menschlichen Lebens sich nur in einem
»eschatologischen, auf das Jenseits gerichteten Daseinsbezug
verstehen ließ. Die Lebenswelt war bis in das 18. Jahrhundert hinein
ohne diesen Transzendenzbezug nicht denkbar.
Das Zeitalter der europäischen ▪ Aufklärung
sprengte mit seinen Grundsätzen "Berufung auf die Vernunft als
Maßstab des persönlichen und gesellschaftlichen Handelns, Hinwendung
zum Diesseits, positives Menschenbild, Gleichheit aller Menschen,
Einforderung der Menschenrechte für alle Menschen, Religionskritik,
Fortschrittsglauben" (Stephan
3. Aufl. 1989, S.122) den engen Rahmen dieses aus dem
Mittelalter stammenden Ordo-Denkens und bestimmte den Standpunkt des
Menschen in der Welt neu.
Der Mensch stand fortan nicht einfach an dem Platz, den ihm eine von
Gott geschaffene Ordnung zugewiesen hatte, sondern wurde mehr und
mehr Subjekt des eigenen Daseins, je mehr es ihm gelang, sich die
Welt mittels seiner autonomen Vernunft zu erschließen. Diese
"geschichtlich vermittelte Bewusstseins- und Wahrnehmungsstruktur"
stellte den neuzeitlich-modernen Menschen vor die Notwenigkeit ,
"ausschließlich aus der Kraft und den Möglichkeiten seiner
Subjektivität den der Wirklichkeit innewohnenden Sinn zu ermitteln."
(Billen
1982 /2001, S.267)
Die
Literatur der Aufklärung (1720-1785) machte indessen noch keinen
Unterschied zwischen ▪
Fabel und Parabel. Und die meisten
der zeitgenössischen regelpoetischen Abgrenzungsversuche der Genres
voneinander blieben umstritten.
In der so genannten "Latenzphase"
der Parabel als Gattung (Zymner 2006a,
S. 307) zwischen 1700 und 1778 treten alle namhaften Autoren der
Epoche " mit eigenen oder aus überlieferten Vorlagen erarbeiteten
Mustern" der Fabel hervor (Alt
2007, S.251), lange bevor ▪
Lessing (1729-1781) mit seinem Text "▪
Eine
Parabel" aus dem Jahr 1778, mit der er den so genannten ▪
Fragmentenstreit eröffnete, den Parabelbegriff als
Gattungsbegriff in der deutschen ▪
Literaturgeschichte etablierte.
Lessing bringt im Gegensatz zu anderen, die sich mit der Abgrenzung
der Parabel von der Fabel abmühten, stilistisch-wirkungsbezogene
Unterscheidungsmerkmale vor. "Die Fabel stelle einen Fall durch
individuell-konkretes Erzählen »als wirklich« vor Augen; die Parabel
begnüge sich durch einen hypothetischen Modus »an der Möglichkeit«
derselben." (Reallexikon
der deutschen Literatur (2007), Bd. III, S.13).
Der Leser einer Fabel soll seiner Ansicht nach bei der Rezeption des Textes in die
Lage versetzt werden, einen allgemeinen moralischen Satz in
einem einzelnen Fall möglichst naturnah und kurz oder wie er sagt
"nicht versteckt oder verkleidet" (Lessing, Abhandlungen 1759,
in: Dithmar (Hg.) 1982, S.146) ästhetisch-sinnlich zu erkennen.
Das zeitgenössische
Genre der
Fabel zu Zeiten Lessings, das zu einer "Leitgattung der
Aufklärungsliteratur" (Zymner 2006,
S. 118) avancierte, orientierte sich dabei an den "kurzgefassten,
teils in Prosa, teils versifiziert überlieferten Fabeln von »Äsop
(6. Jh. v. Chr.) und
Phädrus (1. Jh. n. Chr.)", die dem deutschen Publikum in der
bearbeiteten Fassung der Fabeln Äsops durch den Geraer
Gymnasialdirektor Johann Gottfried Hauptmann (1712-1782) bekannt
wurden. (vgl.
Alt 2007, ebd.).
▪
Lessing (1729-1781), »Johann
Gottfried Herder (1744-1803), »Johann
Wolfgang von Goethe (1749-1832) u. a.) und »Romantiker
wie »Friedrich
Schlegel (1772-1829) sowie der deutsche Philosoph »Georg
Wilhelm Friedrich Hegel (1770- 1831) verstehen jedenfalls
unter der Parabel "eine eigenständige literarische Gattung und
einen Erkenntnismodus von hohem Rang." (Reallexikon
der deutschen Literatur (2007), Bd. III, S.12) Sie lösten die Parabel
aus ihrem religiösen Bezugsrahmen.
Diese ▪
idealistische Überhöhung der Parabel mit ihrer Ausrichtung an
Höherem, Allgemeinerem, Universellem oder Absolutem war aber nicht
das einzige Parabelkonzept, das die weitere Gattungsgeschichte
beeinflusst hat.
Im ▪
19. Jahrhundert,
als sich der enge Verweisungszusammenhang zwischen Bild- und
Sachbereich, der die traditionelle Lehrparabel auszeichnete, schon
in Auflösung geriet, war davon offenbar so wenig zu spüren, dass der
Begriff Parabel im allgemeinen Sprachgebrauch sogar auf die "Sphäre
des Trivial-Erbaulichen" fällt. (ebd.)
Auch in der Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik hat man die
Parabel
in
ihrer biblischen, didaktischen, verrätselten und absurden Form
zusammen mit der Beispielerzählung, der Fabel, dem Spruchgedicht und
dem Gleichnis unter dem Begriff parabolische Formen der
Beispieldichtung zugeordnet. (vgl.
Braak
1969, S.162-165) Aber solche Einteilungen werden heute sehr
kontrovers gesehen.
Die didaktische Funktion der traditionellen Parabel basiert auf
einem kohärenten Weltbild, sei es nun religiös oder rational
fundiert, das Erzähler und Leser in einer Lehrer-Schüler-Beziehung
teilen können. Was dem Leser-Schüler als Lehre vermittelt wird,
steht in beiden Fällen letztlich außer Frage und braucht nicht
weiter erörtert zu werden, sondern nur in einer Erzählung zur
Anschauung gebracht werden. (vgl.
Brettschneider
1971, S. 71)
Didaktische Parabeln weisen einen Weg zum richtigen Leben, weil sie
"wissen", was ein gelungenes Leben ausmacht. Sie verweisen auf die religiösen, moralischen und sittlichen Grundlagen
menschlicher Existenz und die praktische Vernunft. Sie erheben einen
Totalitäts- und absoluten Wahrheitsanspruch und geben ein
Sinnversprechen für das Leben in der Welt, der sich in dem engen
Verweisungszusammenhang von Bild- und Sachbereich manifestiert. Ihre
Themen sind Transzendenz, Moral und die Sittengesetze der
menschlichen Gesellschaft.