Explizite
Transfersignale sind Formulierungen, die direkt ausdrücken,
dass das Dargestellte im Analogieschluss auf einen anderen
Bereich bezogen werden soll, oder sogar angeben, auf welchen
Bereich das, was im Text steht, übertragen werden soll. Diese
Ausführungen können kurz oder länger ausfallen. Oft geben
Vergleiche, die im Text vorkommen, Hinweise darauf, auf welchen
Bereich das Signal verweist.
Transfersignale veranlassen
den Leser,
den eigentlichen
Sinn des Textes außerhalb des Textes zu konstruieren und dabei
"im Rahmen des Bedeutungsspielraums des Erzähltextes" und des
Bedeutungsspielraums seiner Worte "eine oder mehrere (aber
keineswegs fixierte) neue globale Kohärenzbeziehungen zwischen den
Elementen der Erzählung" im Zuge der "geforderten Richtungsänderung
des Bedeutens" herzustellen. (Zymner 1991,
S.100)
Bei
▪
traditionellen Parabeln sind solche Transfersignale explizit
vorhanden und lassen "eine klare Unterscheidung zwischen der
parabolischen Erzählung und dem ausdrücklichen Transfersignal" (ebd.,
S.89) zu.
Die Entwicklung der Parabel war bis ins 19. Jahrhundert hinein
vor allem von ihrer Funktion bestimmt, eine Lehre zu vermitteln. Wie
sie das anstellte, war von ihrer Struktur einmal abgesehen, weniger
wichtig. Wenn, dann spielten ästhetische Überlegungen nur deshalb
eine Rolle, weil sie die Lehre in eine unterhaltsame und
volkstümliche Form kleideten. (vgl.
Brettschneider
1971, S.71)
Dementsprechend fanden ihre ▪
Themen in einem festgefügten religiös
fundierten, an moralischen und gesellschaftlichen Normen
orientierten geschlossenen System den erforderlichen Bezugsrahmen,
auf den sie sich mit ihrer Lehre beziehen konnte.
Dies trifft für gleichnishaften biblischen Parabeln ebenso zu wie
für die in der Tradition der ▪
Epoche der
Aufklärung stehenden Parabeln, mithin für die Parabeln von »Äsop
(ca. 600 v. Chr.) bis ▪
Lessing (1729-1781)
zu.
Zunächst einmal müssen die Intentionen des Erzählers und die
Erwartungen des Lesers aufeinander abgestimmt sein. Was der Erzähler
dem Leser vermitteln will und die Erwartung des Lesers, sich vom
Erzähler über etwas von Bedeutung für ihn unterweisen zu lassen,
müssen, damit die Parabel ihr didaktisches Ziel erreichen kann,
zueinander passen.
Nur, wenn der hinter dem Erzählten stehende "inhaltlich
ausgefüllte Bewussteinshorizont" des Erzählers mit dem in Einklang
zu bringen ist, was der Leser von einer für ihn bedeutungsvollen
Lehre erwartet (Erwartungshorizont) geht das Konzept der Parabel als
literarische Zweckform auf. Ohne ein Mindestmaß an Übereinstimmung
des Welt- und Menschenbildes zwischen Erzähler und Leser laufen die
Wirkungsintentionen der traditionellen Parabel also ins Leere. (vgl.
Billen 1982 / 2001, S.267)
-
Der Erzähler der
Parabel muss "eine Lehre besitzen oder sich zum mindesten im
Besitz einer Lehre glauben". (Brettschneider
1971, S. 71)
-
Und, was
eigentlich noch viel wichtiger ist: "Er muss von einem Fundus
allgemein anerkannter moralischer Grundsätze und
Verhaltensweisen ausgehen können, muss sich in Übereinstimmung
mit einem allgemeinen oder doch weithin verbindlichen Konsensus
befinden". (ebd.)
-
Der Leser muss
dabei davon ausgehen können, dass er die vermittelte Lehre auf
sein Dasein beziehen kann.
Was mit Hilfe einer traditionellen Parabel gelehrt wird, steht also
prinzipiell nicht in Frage und braucht also nicht diskutiert zu
werden, sondern nur in einer Erzählung zur Anschauung gebracht
werden. (vgl.
ebd.)
Die Lehren, um die es ihr geht, sind auch keine Rezepte oder
Antworten auf alltägliche Probleme der Lebenswelt, sondern beziehen
sich auf "religiöse Überzeugungen" (Zymner 2006a,
S. 307), auf Transzendentes, "das Hohe, das Außerordentliche, das
Unerreichbare" ( Goethe in: Wilhelm
Meisters Wanderjahre (1812, II. Buch, 1. Kapitel).
Auf diese Weise wird die literarische Kommunikation als eine hierarchische Lehrer-Schüler-Beziehung konstruiert.
Sofern man die Auffassung teilt, dass es etwas wie universell
gültige Wahrheiten gibt, die in einer Erzählung vermittelt werden
können, dann wird auch der Erzähler, "der von der Wahrheit einer
höheren Ordnung zutiefst ausgefüllt ist und um ihre Gültigkeit weiß"
(ebd.
S.266), fast "automatisch" zum Lehrer des Lesers.
Die vom Erzähler
intendierte Unterweisung kann aber nur gelingen, wenn sie nicht auf
"taube Ohren" trifft, der Schüler als bereit ist, sich belehren zu
lassen, weil er einerseits Halt und Orientierung in seinem Leben
braucht und andererseits dem Lehrer bzw. den von ihm vermittelten
Lehren vertraut, geeignete Hilfen dafür zu geben. Was der Lehrer
vermittelt, muss daher auch lernbar sein.
Wenn die Parabel in ein solches didaktisches
Setting
gebettet ist, wirkt sich dies auf die Gestaltung der Parabel aus,
bei der das Erzählte mit allen seine Elementen der lehrhaften
Funktion untergeordnet ist.
Natürlich kann man auch eine noch so lehrhaft daherkommende
traditionelle Parabel lesen und auf eine ureigene Art
verstehen, die nicht auf dem gemeinsamen idealen Horizont von
Erzähler und Leser beruht. Solche
Konkretisationen verkürzen aber
im Allgemeinen das Verständnis des Erzählten auf das vordergründige Geschehen.
Wie dem auch sei, der Leser hat als "folgsamer" Schüler des
lehrenden Erzählers wenig Spielraum: Er vollzieht bei der Rezeption
im Idealfall die vom Erzähler festgelegte Textintention durch die
analoge ▪
Übertragung des Bildbereichs in den (gewünschten) Sachbereich.
Wer's nicht kann, ist diesem bildungsbürgerlich-elitären Verständnis
nach eigentlich zu "dumm", um nach den Regeln eines
historisch bedingten Parabelverständnisses (Genre) zu lesen.