Dabei muss allerdings stets
beachtet werden, dass Gattungsfragen und -zuordnungen kein Selbstzweck
sind, sondern vor allem der Verständigung über Literatur dienen
sollten. In der Kommunikation über Literatur müssen sie ihre
Brauchbarkeit und ihren Nutzen für das Erschließen und Verstehen von
Texten immer wieder am konkreten Beispieltext unter Beweis stellen.
Die Schwierigkeit, den Begriff Lied eindeutig zu definieren, kann mit damit
umgehen, wenn man die nachfolgende Begriffsbestimmung as
"Gebrauchsdefinition" (Meier
2007, S.423) auffasst: "auf (1a) gesanglichen Vortrag zielendes oder
(1b) diesen fingierendes Gedicht in normalerweise (2) metrisch gebundene
Form mit in der Regel (3) gleichgebauten, durch (4) Reimschemata erzeugten
Strophen." (ebd.)
In jedem Falle sollte das Lied als eine
musikoliterarische Gattung
verstanden werden, die zu verschiedenen Zeiten ganz unterschiedliche
Varianten ausgeprägt hat. Insofern ist Lied auch nicht etwa mit dem
gleichzusetzen, was man gemeinhin unter einem Volkslied versteht.
Neben den
Volksliedern, die mit ihren Melodien meistens nur mündlich von
Generation zu Generation überliefert wurden, gab es auch eine aus
dem Mittelalter rührende religiöse und weltliche Lieddichtung in
lateinischer Sprache mit »Hymnen,
Sequenzen, »Cantionen,
»Vagantenlieder
usw.)." (Brunner
2006a, S.219)
Älteres
deutschsprachiges Liedgut ist dagegen kaum vorhanden und wenn, dann
auf Sammelhandschriften auf Pergament und durchweg ohne Melodien
erhalten. Eine dieser Handschriften ist »Große
Heidelberger (Manessische) Liederhandschrift (Zürich, um
1270). Später kamen Autorhandschriften auf, wie von ▪ Oswald
von Wolkenstein (1377-1445), daneben existierten aber auch
weiterhin sogenannte
Meisterliederhandschriften, die Lieder verschiedener, meist
namentlich nicht genannter Autoren, enthielten. Sie sind entweder
auf Pergament oder Papier niedergeschrieben. Diese
Meisterliederhandschriften konnten auch zu, allerdings
vergleichsweise unhandlichen Liederbüchern für den Privatgebrauch
zusammengestellt werden.
Im Mittelalter von
besonders großer Bedeutung ist der »Minnesang
(ca. 1150-1350), der zusammen mit den spätmittelalterlichen
Liebesliedern (ca. 1350-1500) die Tradition der Liebeslyrik
begründet. In Ich-Liedern oder Sängerliedern wird dabei u. a. die »Minneklage
erhoben oder in Rollenliedern die Liebe und ihre Probleme besungen.
In den »Neidhart-Liedern
wird immer wieder die Liebe des Ritters zu Bauernmädchen
thematisiert. Dazu kommt als Prunk- und Großform der »Leich,
der eine geistliche oder weltliche Thematik haben konnte.
Ab dem 13.
Jahrhundert bis über das 16. Jahrhundert hinaus spielte auch der »Meistergesang
eine wichtige Rolle. »Geistliche
Lieder existierten in unterschiedlicher Form, vereinzelt schon
als Gemeindelieder, sonst als Predigtlieder, auch die zu den
Liebesliedern zählenden Kreuzlieder der »Kreuzzugsdichtung
gehörten ebenso dazu wie »Leiche
mit religiösem Inhalt, Sangsprüche und Meisterlieder und vor allem ▪
Marienlieder und andere Legendlieder.. Erst nach der
lutherischen Reformation spricht man von Kirchenliedern.
Zu den Liedern mit
weltlichen Themen gehörte auch die »Sangspruchdichtung,
die sich mit bestimmten politischen Ereignissen der Zeit und oder
bestimmten Personen befassten, die im politischen Bereich agierten.