Für
Waldberg (1890, S. XXVII) ist das Lied ▪ ACh
schoen Jungfraw halt mir zu gut (Nr. 51) aus dem ▪
Venus-Gärtlein (1656)
ein Beispiel für die Gestaltung eines alten volkstümlichen
Motivs, nämlich des
Streites zwischen der "heirathsüchtigen Tochter mit der abwehrenden
Mutter". Dass dieses Motiv wohl allgemein bekannt war, dürfte auch mit
ein Grund dafür gewesen sein, dass das Lied Aufnahme in das ▪
Liederbuch gefunden hat.
Die Dialogform des
Liedes macht es zugleich zu einem Rollenspiel, das in zwei Szenen
aufgeteilt ist.
Es beginnt mit dem aus
je einer Äußerung (Strophe) eines Mannes, Cavallier genannt, und
einer jungen Frau (Jungfrau) bestehenden kurzen Dialog, das den Anlasse
für das nachfolgende Gespräch zwwischen der Tochter und ihrer Mutter
darstellt. In einer über auf 9 Strophen verteilten Wechselrede erörtern
die beiden die Lage.
Der Cavallier,
mit dem das Lied beginnt, macht in der ersten Szene der jungen Frau
einen Heiratsantrag und geht offenbar davon aus, dass die junge Frau
seinen Antrag positiv beantworten werde.
Die junge Frau
erklärt, sie sei dem Antrag prinzipiell nicht abgeneigt, will aber vor
ihrer Einwilligung die Zustimmung ihrer Mutter einholen. Gleichzeitig
drückt sie aber auch ihre Erwartung aus, dass dies eigentlich nur
Formsache sei, denn schließlich müsse sie ihr ja einen Mann "geben" und
zeigt sich auch bereit, bei einer ablehnenden Haltung der Mutter darüber
hinwegzugehen und den Heiratsantrag dennoch anzunehmen.
Über die soziale
Stellung des Cavalliers erfährt man nichts. Auch wenn dessen
Alter nicht erwähnt wird, deutet die Bezeichnung "Knäblelein",
mit der die Tochter von ihm spricht, allerdings auf einen
vergleichsweise jugendlichen Freier hin, zu dem auch die zurückhaltende
Sprache und Wortwahl passt, mit der er seinen Heiratsantrag formuliert.
Davon, was er seiner Frau materiell zu "bieten" hat, ist nicht die Rede.
Auch die Verwendung des Begriffs Cavallier selbst lässt keine
sicheren Schüsse zu. Seine soziale Stellung spielt aber auch in der
weiteren Auseinandersetzung zwischen der Mutter und der Tochter keine
Rolle. Dass die Mutter Ansprechpartnerin der Tochter für ihren
Heiratswunsch ist, deutet darauf hin, dass sie selbst Witwe ist. Über
ihre materiellen Verhältnisse (weitere Kinder z. B.) erfährt man in dem
Lied nichts.
Nachdem die Tochter
ihrer Mutter die Neuigkeit mitgeteilt hat, dass sie einen Heiratsantrag
bekommen hat, wird sie sogleich von ihrer Mutter zurechtgewiesen. Sie
solle sich dafür schämen, überhaupt mit so einem Anliegen zu kommen.
Die Tochter besteht
hingegen auf ihrer Heiratsreife und bringt ihr Unverständnis für die
schroff ablehnende Haltung der Mutter zum Ausdruck. Dabei macht sie
diese darauf aufmerksam, dass viele andere junge Frauen, die zum Teil
noch jünger seien, schon einen Bräutigam gewählt hätten.
Die Mutter wird
ärgerlich und verlangt von ihr, sich diesen ganzen Unfug aus dem Kopf zu
schlagen, da sie gerade mal fünfzehn Jahre alt sei. Wenn sie achtzehn
Jahre sei, könne sie dagegen jederzeit heiraten.
Die Tochter lässt sich
damit aber nicht abspeisen und hält dagegen, dass dies noch viel zu
lange dauere. Außerdem hätte schließlich auch die Mutter schon mit
vierzehn Jahren geheiratet. Angst und bang werde ihr geradezu, wenn sie
solange warten müsse.
Die Mutter verteidigt
sich weiter in einem ziemlich schroffen Ton und verwehrt sich, gegen den
Vergleich, den ihre "heiratstolle" Tochter angestrengt hat. Sie sei
einfach von ihrem Vater verheiratet worden und habe dementsprechend gar
keine Wahl gehabt.
Aber auch dieses
Argument lässt die Tochter so nicht stehen, denn offenbar seien gerade
die "jungen Jahre" ihrer früh geschlossenen Ehe doch glücklich gewesen.
Sie selbst sei in der Lage zu beurteilen, wann die Zeit für sie selbst
gekommen, sie fühle sich reif genug und müsse sich und nichts für die
Zukunft aufsparen.
Als die Mutter merkt,
dass ihre Argumentation und ihr schroffes Auftreten gegenüber ihrer
Tochter wenig Erfolg zeitigt, fordert sie sie noch einmal auf die paar
Jahre, bis sie achtzehn sei zu warten, denn schließlich wisse sie in
ihrem Alter noch gar nicht, wie man einen großen Haushalt führen müsse.
Die Tochter lässt
jedoch auch dieses Argument nicht gelten und entscheidet sich auch gegen
die Schelte der Mutter, das Heiratsangebot ihres Cavailliers
anzunehmen. Dabei fällt indessen auf, dass das, was zuvor nur einmal
kurz mit der Formulierung "Angst
und Bang" angeklungen ist: Sie will nicht als "reines Jungfräulein"
sterben und nicht den persönlichen und sozialen Preis für den
"Flederwisch" bezahlen, wenn sie bis zum achtzehnten Lebensjahr alle
möglichen Heiratskandidaten abweise. Das Gespenst, als eine "alte
Jungfer" zu enden, treibt sie an und lässt sie auf ihrem Glücksanspruch
bestehen, den sie mit ihrer Heirat verwirklichen will.
Wie die Zeitgenossen
das Lied verstanden, warum sie es gesungen und ggf. sogar geliebt haben,
lässt sich nicht ermitteln. Orientiert man sich an der eingangs schon
erwähnten populären Motivtradition
vom Streit zwischen der "heirathsüchtigen Tochter mit der abwehrenden
Mutter" (Waldberg
(1890, S. XXVII) dann dürfte das Lied der Unterhaltung und zur
Belustigung über die "liebes-" und "heiratstollen" Mädchen gedient
haben. Das Heiratsalter eines Mädchens mit fünfzehn Jahren jedenfalls
war für bürgerliche Kreise sicherlich die große Ausnahme, während dies
im Adel durchaus noch verbreitet war.
Das Lied thematisiert
nicht die Liebe, sie kommt eigentlich nie wirklich zur Sprache, sondern
die Bedingungen, unter denen sich Vorstellungen davon im Kopf eines
jungen Mädchens entwickeln, das - und dies ist vielleicht die
wichtigste Botschaft - unter den gesellschaftlichen Zwängen seiner Zeit,
an seinen eigenen Vorstellungen festhält und dabei angesichts der
fehlenden hausväterlichen Gewalt für eine selbstbestimmte Entscheidung
eintritt. Doch dies ist natürlich eine moderne Sicht und Lesart auf die
"heiratssüchtigen" Teenager jener Zeit.