JUngfraw was moegt
jhr euch ziehen
[An eine (doch nur zum Schein) sehr schewe und schamhaffte Jungfraw)]
1.
JUngfraw was mögt jhr
euch ziehen1, Daß jhr pflegt vor mir zu fliehen, gleich wie ein schewe
Hinde2, wie ein Haaß dem Hund' und Winde, jagen überaus geschwinde.
2.
Warumb wolt jhr euch
verstecken,
wie ein Wild das in die Hecken, sich verkreucht, vor ängsten
bebet, wenn ein rauschend Windlein webet.
also jhr in Furchten lebet.
3.
O laßt euch vor mir nicht
grawen, ich hab´ keine Löwen Klawen, bin nicht wie
ein Bähr so grimmig auch
nicht rasend vngestümmig, wie ein Tigerthier zornsinnig.
4.
Ihr pflegt euch recht zu
gebahren, wie ein Kind von sieben Jahren,
gleich als sind euch frembd
die Sachen, was jhr mit dem Mann solt machen,
ich muß solcher Thorheit
lachen.
5.
Da ich euch doch offt
gesehen, hier und dar spatzieren gehen, wie jhr an der Haußthür
schwellen, Abends spat mit den Gesellen, euch so freundlich könnet
stellen.
6.
Ewre Stoltzheit, ewer
Prangen,
güldne Ketten, Perlen Spangen, thewre Kleider, hohe Kragen,
werdet jhr darumb nicht tragen, ewer Mutter zu behagen.
7.
Ihr spatzieret, tantzt
vnd springet, vnnd die Zeit damit verbringet, ewer
höfflich Bücken,
Neigen, Schertz und Gauckelwerck desßgleichen, an euch viel anders
zeigen.
8.
Ewer Leffeln3, Hände
klopffen, hälsen küssen, kützeln4,
stoppfen5,
schmutzerlachen 6,
schmatzen7,
lecken, Ohren zupffen, schimpffen, gecken8, was pflegt hinder dem zu
stecken.
9.
Anders nichts, als daß
jhr eben, euch nicht wolt ins Kloster geben, wer nicht blind ist kan wol
schauen, daß
jhr gleich wie sonst Jungfrawen, euch ließ gern mit einem
trawen.
10.
Frag ich, was sprecht ihr
geschwinde, daß jhr seyd der Sach ein Kinde, da jhr doch
seyd gnugsamb
mündig, zum Haußhalten gar außbündig, vnnd sonst vieler Sachen kündig.
11.
Seyd geschickt zu allen
Dingen, man kan bald in euch was bringen,
darumb bitt ich euch numehre,
laufft doch vor mir nicht so sehre, jhr habt dessen keine
Ehre9.
12.
Ich will hertzen euch vnd
drücken, lieben, laben, putzen, schmücken, ehren, nehren, vnnd hoch
achten, hegen, pflegen, ewer achten,
wollet solches doch betrachten.
13.
Ihr hört daß ich
meine
Dinge, fein natürlich vor euch bringe, ich verkauff euch keine Brillen,
kurz und gut nach meinem Willen, dann viel Wott10 den Sack nicht füllen.
14.
Gut teutsch red ich von
den Sachen, kan nicht viel Umbstände machen, wollet mich darumb nicht
hassen, sondern lieben guter massen,
wolt jhr nicht so mögt ihrs lassen.
(Quelle: Venus-Gärtlein.
Ein Liederbuch des XVII: Jahrhunderts. Nach dem Drucke von 1656,
herausgegeben von Max Freiherrn von
Waldberg, Halle a. S.: Max Niemeyer 1890, S. 128-130) - pd -
gemeinfrei)
Worterläuterungen:
1
ziehen: von sich zeihen = sich etwas vorzuwerfen
haben, sich versagen,
2 Hind(e):
Hirschkuh, ggf. auch für: Hirschkalb
3 Leffeln:
Läffeln = einer Person andern Geschlechts seine Liebe bezeigen, und in
engerer Bedeutung, schamlos seine Liebe oder Lüsternheit durch unanständiges
Betragen und besonders durch dreistes Küssen, an den Tag legen
4 kützeln:
kitzeln als Teil einer Liebkosung bzw. des Kokettierens
5 stopffen:
hier evt. mit den Füßen aufstampfen, "füßeln" (vgl.
Schweizerisches Iditotikon)
6
schmutzerlachen: heimlich lachen, schmunzeln, hier etwa: kokettierendes
Lachen
7 schmatzen:
jemanden so küssen, dass es schmatzt; in der Alltagssprache sagt man daher
auch einen Schmatz geben
8 gecken: zum
Narren halten, sein Spiel treiben, necken
9 Ehre: gemeint
ist wohl die jungfräuliche Ehre
10 Wott: h:
wahrscheinlich für Wort

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