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Die
chronische Geldnot, in der sich
Saladin
befindet, und die Gründe dafür werden in
Lessings Drama "Nathan
der Weise"
immer wieder zur Sprache gebracht. Sie ist es auch, die das dramatische
Geschehen auf ihre Weise immer wieder mit vorantreibt.
Schon Im Gespräch
zwischen Nathan und Al-Hafi (I,3) kommt das Thema zur Sprache, wenn der
Derwisch
Al-Hafi als Schatzmeister (Defterdar) in den Diensten des Sultans
Nathan dazu bewegen will, Saladin Kredit zu geben (I,3
V 407,
V 426). Dabei verschweigt er die Tatsachen allerdings nicht: In Saladins
Staatskasse sei immer wieder "Ebb'
im Schatz" (I,3
V 425), weil er mit seiner Mildtätigkeit - von seiner Verschwendung bei
der Hofhaltung kein Wort - einem "gutherzgen
Wahn" (I,3
V 460) folge und unzähligen Bettlern ständig weit mehr zukommen lasse,
als er sich leisten könne.
Beim Schachspiel von Saladin und
Sittah
(II,1) wird aufgezeigt, dass das, was Al-Hafi über den Sultan
berichtet, auch dessen Praxis im Umgang mit Geld entspricht. Ohne einen
Gedanken darüber zu verschwenden, will er A-Hafi rufen lassen, damit er
Sittah ihren Gewinn beim Schachspiel auszahlt (II,1
V 835).
So zeigt
Saladin wenig,
um nicht zu sagen, keinerlei Interesse, sich mit Geldangelegenheiten zu befassen.
An keiner Stelle des Dramas bringt der dies selbst pointierter vor als am
Ende seines Dialogs mit Sittah, wenn vom "leidige(n),
verwünschte(n) Geld" (II,1
V 914) spricht.
Woher es stammt, von wem es als Tributzahlungen letzten
Endes erpresst wird, interessiert ihn ebenso wenig wie die Tatsache, was im
Einzelnen mit ihm geschieht. Wichtig ist nur, dass er welches besitzt, um
seine machtpolitischen Absichten und mildtätigen Ambitionen umsetzen zu
können.
Als er von Al-Hafi die Wahrheit über seine finanzielle Lage
aufgeklärt wird und dabei erfährt, dass seine Schwester die ihr großzügig
als Schachgewinne überlassenen Mittel schon seit längerer Zeit für die
Hofhaltung des Sultan verwendet hat (II,2
V 984), zeigt er sich zwar gegenüber Sittah gerührt, rettet sich, die
Augen weiterhin vor der Wirklichkeit verschließend in Phrasen. "Ich
arm?" fragt er geradezu trotzig, "Wenn hab' ich mehr? wenn weniger
gehabt?/ Ein
Kleid, Ein Schwert, Ein Pferd, – und Einen Gott!/
Was brauch' ich mehr?
Wenn kanns an dem mir fehlen?" (II,2
V 988) Relativiert wird die Phrase durch die Einschränkung, die er
vornimmt, die Bereitschaft nämlich selbst zu sparen, solange andere, genauer
bezeichnet er sie freilich nicht, unter seiner finanziellen Klemme nicht zu
leiden hätten.
Um über Nathan an Geld heranzukommen, "der
Kleinigkeiten kleinste" (III,4
V 1745), wie an anderer Stelle (III,4)
betont, will sich der sonst so mächtige Sultan nur ungern zu "kleinen
Listen" (III,4
V 1744) gegenüber Nathan gezwungen sehen.
Als er wenig später den von
Nathan zugesagten Kredit in zahlreichen Beuteln (IV,3
Nebentext) erhält (IV,3),
will er aus Vorsicht, dass ihm das Geld schnell wieder "durch die Finger
(fällt)" (IV,3
V 2607) die eine Hälfte dazu nehmen, bei Sittah seine Spielschulden zu
bezahlen und den Rest davon ihr zur Verwaltung zu übergeben ("Mach dich davon bezahlt; und leg'/ Auf Vorrat, wenn was übrig bleibt").
Die andere Hälfte soll sein Vater mit seinen Truppen im Libanon bekommen.
Gegenüber diesem persönlichen und machtpolitischen Kalkül bleibt seine
vielgerühmte Mildtätigkeit "bis wenigstens die Gelder aus Ägypten zur
Stelle kommen" zweitrangig. Lediglich die christlichen Pilger in Jerusalem
sollen noch in den Genuss von mildtätigen Gaben kommen können, solange
jedenfalls, so muss man wohl ergänzen, wie der Waffenstillstand nicht
wirklich hinfällig ist und neue Kampfhandlungen begonnen haben. ("Wenn die
Christenpilger/ Mit leeren Händen nur nicht abziehen dürfen!",
IV,3 V 2613)
Und auch
im Gespräch mit den Mamelucken (V,1), die ihm die Nachricht
bringen, dass die langersehnten Tributzahlungen aus Ägypten eingetroffen
sind (V,1
V 3158) zeigt sich, dass Saladin einen Hang zur Verschwendung zeigt.
Nichtzuletzt im Gespräch mit dem dritten Mamelucken, deren besonderes
Verdienst nach Lage der Dinge wohl nur war, Saladin die Nachricht vom
Eintreffen der Karawane überbracht zu haben, gewährt er diesem, mit dem Bild
seiner eigenen Mildtätigkeit geradezu kokettierend, auf dessen forsches
Auftreten hin, drei Geldbeutel als "Botenbrod"
(V,1
V 3184).
In Szene
III,4 spielt die Geldnot, in der sich der Sultan befindet, eine ganz
maßgebliche Rolle. Der Umgang mit dem Problem und die von
Saladin
und
Sittah
ins Auge gefassten Möglichkeiten, sich Geld zu beschaffen, machen auch die
dahinter stehenden Überzeugungen zur Bedeutung der Staatsräson als Leitlinie
politischen Handelns deutlich.
Dabei geht der Begriff der »Staatsräson
auf die Philosophie »Niccolò
Machiavellis (1469-1527) zurück und bedeutet im Kern, das das
Staatsinteresse stets jeglichem Individualinteresse vorgeht. Im Dialog der
beiden muslimischen Geschwister stehen sich so der an der Staatsräson
orientierte Pragmatismus und Utilitarismus Sittahs und der
individualistische Idealismus des Sultans gegenüber, der, zumindest beim
Fallenstellen gegenüber Nathan nur mit größtem Widerwillen nach den
Prinzipien der Staatsräson, wie sie seine Schwester interpretiert, handeln
möchte. Trotzdem stimmt er letzten Endes dem Plan "aus der Pflicht des
Juden, seine Religion als die des auserwählten Volkes über alle anderen zu
stellen, ein einträgliches Erpressungsgeschäft" zu machen (Leisegang
1931/1984, S. 125)
Ihre unterschiedlichen Auffassungen lassen sich mit obiger
▪ Textgrafik (Strukturskizze. Schaubild, Strukturbild)
visualisieren.
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023