Für die Ringparabel (III,7) gibt es hauptsächlich
vieri Interpretationsansätze:
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Biographischer Ansatz:
Ringparabel als Beitrag Lessings im Rahmen
seiner Auseinandersetzungen mit dem Hamburger Hauptpastor Goeze (vgl.
Fragmentenstreit)
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Goezes Positionen: Bibel ist unmittelbare
Offenbarung Gottes, Christentum kann daher automatisch den
Anspruch auf Wahrheit erheben
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Lessings Position: Bibel ist keine Gotteswerk,
sondern Werk von Menschen, historisch-philosophische Kritik und
Auslegung nötig; Wahrheit der Bibel ist objektiv nicht
nachweisbar
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Geistesgeschichtlicher Ansatz:
Ringparabel als poetisches Votum für allgemein
tolerante und undogmatische Religionsausübung und für allgemeine
Denkfreiheit (vgl.
Aufklärung)
Für Eibl (1981,
S.20) gibt der Richter die Empfehlung "jeder Religion zu folgen, als ob
sie die wahre wäre", ohne dass die Konkurrenz der Kulturen, zu denen sie
gehören, um die Verwirklichung des Guten damit aufgehoben wäre. "Der
Dichter", so Eibl, " fordert damit ein radikales
Umdenken, weg vom Begründungsdenken, hin zum Bewährungsdenken. Denn
mögen Traditionen auch nicht bis hin zu »Speis und Trank« begründbar und
im Sinne solcher kausaler Herleitung rational zu legitimieren sein, so
haben sie doch eine rational zu rechtfertigende Aufgabe. Des Richters
Rat besteht darin, den Wahrheitsentscheid auf sich beruhen zu lassen und
die wechselseitigen Herrschaftsansprüche zu suspendieren, das Herrschaft
durch historische Herleitung nicht legitimiert werden kann; wenn, in
»über tausend Jahren«, irgendein Entscheid getroffen werden kann, dann
nur auf Grund der Wirkung der Ringe, d.h. auf Grund der Humansierungs-
und Integrationskraft, die einer Tradition innewohnt und die beim Streit
um die historische Legitimation ganz in Vergessenheit geraten war, ja,
sich in ihr Gegenteil verkehrt hatte."
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Religionsphilosophischer Ansatz
Kuschel (1998) verweist auf inhaltliche Parallelen zwischen der Ringparabel
und Aussagen des Koran über die Vielfalt der Religionen. So zieht der die 5. Sure des Koran heran, in der ein Nebeneinander der
Religionen gutgeheißen werde und zugleich von "Juden und Christen
(wenn sie nun einmal nicht Muslime werden können)" verlangt werde, "sich
an die Tora und das Evangelium zu halten." Schließlich werde "Gott sie
im Endgericht nach ihrer Schrift beurteilen, und nicht danach, ob sie
Muslime geworden sind". (Kuschel
1998, S.320, zit. n..
Fick 2010,
S.491)
Wenn der Richter in Lessing Ringparabel, die streitenden Brüder
auffordere, in praktischer Liebe die "»Echtheit«, d. i die »Wahrheit«,
ihrer Religion zu »beweisen«" (Fick
2010, ebd.), könne dazu auch eine Parallelstelle aus dem Koran (Sure
5,48) herangezogen werden, in der es heißt: "Und so Allah es wollte
wahrlich Er machte euch zu einer einzigen Gemeinde; doch will Er euch
prüfen in dem, was er euch gegeben. Wetteifert darum im Guten. Zu Allah
ist eure Heimkehr allzumal, und Er wird euch aufklären, worüber ihr
uneins seid." (zit. n.
ebd.)
Auf diese Weise finde nach Ansicht
Ficks (2010,
S.491.) die These
Kuschels (1998), Lessing lasse im "Nathan" vor allem den Islam zu
Wort kommen, in Kuschels Auslegung der Wendung »Ergebenheit in Gott«
ihren Schlussstein. Kuschel lese nämlich daraus die Anerkennung des
Islam heraus, zumal der Begriff Islam auf Deutsch schließlich
»Ergebenheit in Gott« bedeute.
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Fricke/Zymner
(1993, S.277) sehen in der Möglichkeit von bestimmten
inhaltlichen Elementen des Erzähltextes auszugehen, einen
weiteren möglichen Interpretationsansatz. Ansatzpunkte sind der
Opal,
der Künstler und die Zahl der Ringe.
Nach Ansicht des Richters müssen
insgesamt vier
Ringe vorhanden sein, da offenbar keiner der von den Söhnen
getragenen Ringe die Eigenschaften des Wunderringes zur Geltung bringen
kann. In diesem Sinne sind sie "betrogene Betrieger".
Der
Künstler gibt dem Vater drei vollkommen
gleiche Ringe zurück, die auch vom Vater nicht mehr unterschieden
werden können.
Der Edelstein Opal aber, der im Originalring
gefasst ist, ist als einziger Edelstein nicht künstlich herstellbar,
was dem Künstler aber raffend und aussparend unterstellt wird. Drei
gleiche Opale gibt es aber nicht. Daher müssen alle drei Ringe
"unecht" sein. Dies ist für das zeitgenössische Publikum Lessings klar. "Ist also der Künstler der Betrüger, besitzt
der Künstler den echten Ring - und nach der Uneigentlichkeit der
Parabel kann man sich fragen: Besitzt nun der Künstler (und nur der
Künstler) den rechten Glauben, die wahre Religion? Die Ringparabel
gibt auf diese versteckte Frage keine Antwort; und im einbettenden
Dialograhmen der Ringparabel wird diese Frage nicht angesprochen, weil
Nathans Überredungskünste den Sultan Saladin über die anschauende
Erkenntnis zu einer Art von Antwort führen - nicht jedoch zur einzig
möglichen: die Ringparabel schließt die Interpretation eben auch
nicht aus, eine poetische und besonders listige Kunst-Apotheose zu
sein." (Fricke/Zymner
(1993, S.278)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023
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