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Bei seinem Zusammentreffen mit dem im ganzen Pomp auftretenden
Patriarchen
von Jerusalem in den Kreuzgängen des Klosters muss sich der
Tempelherr
zunächst die verhohlen vorgetragene Kritik des Patriarchen wegen
seiner Verweigerung des Mordplans gegen
Saladin
anhören.
In diesem Zusammenhang stellt der Patriarch klar, dass er
keine Kritik am Machtanspruch der Kirche und keinen Zweifel an der
Übereinstimmung kirchlichen Handels mit der göttlichen Theodizee
gestatte. Als ihm der Tempelherr im Anschluss daran, den Fall
Recha
ohne Nennung irgendeines Namens vorträgt, lässt er keinen Einwand
des Tempelherrn mehr gelten, sondern wiederholt stereotyp, dass ein
Jude, der einen Christen zum Abfall vom rechten Glauben (Apostasie)
verleitet habe, auf dem Scheiterhaufen brennen müsse.
Der
Tempelherr, der diese letzte Konsequenz nicht annehmen will, wird,
als er sich vom Patriarchen verabschieden will, von diesem
aufgefordert, ihm den Namen des Juden preiszugeben. Denn er wähnt
sich darin sogar mit Saladin über die Grenzen der Religion hinweg
einig, dass Staat und Gesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert
würden, wenn das integrierende Band des Glaubens zerrissen würde.
Mit dem Hinweis, er müsse vor Saladin erscheinen, kann der
Tempelherr weiteren insistierenden Fragen des Patriarchen ein Ende
setzen und erklären, es habe sich nur um einen hypothetischen Fall
gehandelt. Nach seiner Verabschiedung beauftragt der Patriarch, der
dieser Beteuerung misstraut, den Klosterbruder der Sache auf den
Grund zu gehen.
Die Figur des
Patriarchen
in
IV,2:
Der Tempelherr beim Patriarchen stellt im Gegensatz zum
Tempelherrn
als
Charakter,
einen
Typus
dar, eine Figur, die auf einige wenige Merkmale reduziert, eine bestimmte
"Sorte von Menschen" darstellen soll. Dies wird mit der nachfolgenden
Strukturskizze (Schaubild, Strukturbild)
visualisiert.
Das Mittelalter als Handlungszeit für Lessings Stück war für
Lessings religions- und geschichtsphilosophische Absichten, die er mit dem
"Nathan" verfolgte, vor allem auch deshalb geeignet, weil er damit, "den Gegner in die Rolle des mittelalterlichen Inquisitors"
drängen konnte. (Barner/Grimm/Kiesel/Kramer
1987, S.318ff.)
Denn: Auf der Bühne des Theaters wollte Lessing die
Auseinandersetzung um »Theodizee
und »Deismus
fortführen, für die der
▪
Fragmentenstreit,
wie die Auseinandersetzung mit seinem Hauptwidersacher, dem Hamburger »Hauptpastor Johann
Melchior Goeze
(1717-1787), über die Wahrheit der Offenbarungsreligionen genannt
wurde.
Mit der
Figur des Patriarchen hat ihm Lessing im "Nathan" ein
satirisch wirkendes "Denkmal" gesetzt. Das gilt selbst dann, wenn man
berücksichtigt, dass die fast grotesk wirkenden Züge des
Patriarchen, nicht nur darauf abzielten, damit "eine Satire auf Goezen"
(Lessing) auf die Bühne zu bringen. Denn, wie (Barner/Grimm/Kiesel/Kramer
1987, S.318ff.) im Anschluss an Seeba betonen, sei die Figur des Patriarchen "sprachlich
gerade durch den Mangel an orthodoxen Inhalten, durch die Formalisierung
eines Standpunktes charakterisiert" (Seeba) gekennzeichnet.
Genau
damit habe Lessing nämlich "die entscheidenden Punkte des Goeze-Streits und der Auseinandersetzung mit erstarrten "Orthodoxisten"
(Lessing) überhaupt" ins Visier nehmen können: "Aus formalen Gründen wurde die inhaltliche
Diskussion unterbunden; um die Geschlossenheit des Systems zu bewahren,
wurden weiterführende Überlegungen blockiert." (ebd.)
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