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Friedrich Schiller

Die Balladen Schillers

Wulf Segebrecht (1983)


Eine einheitliche, verbindliche Balladenbestimmung haben Goethe und Schiller nicht erarbeitet. [...]
Auf Wirkung freilich sind die Balladen deutlich abgestellt, wobei an eine moralische ebenso wie an eine ästhetische Wirkung gedacht wird. Die dramatischen Situationen, die lebhaften Wechselreden, die Ausrufe und bündigen Sentenzen wollen sich dem Gehör ebenso einprägen wie dem Herzen. Die Balladen sind eine rhetorische Gattung: zum Vortrag bestimmt, auf Überzeugung aus, sich dem Gedächtnis empfehlend.
Schiller bevorzugt theatralische Situationen: Personengruppen, Zuschauer und Akteure, stehen einander gegenüber. So in den Kranichen des Ibykus, in der Bürgschaft, im Taucher, im Handschuh. Die Handlung, die die Ballade zum »erzählenden Gedicht« macht [...], steht einerseits unter der Aufsicht und Weisheit höherer Mächte (die sich im Mythos oder in den Naturgewalten zu erkennen geben), andererseits dient sie zur Darstellung von Bewusstseinsveränderungen, die sich bei den Akteuren vollziehen: So springt der zunächst nur tollkühne, unerfahrene Jüngling als gereifter, von seinen Erfahrungen entscheidend geprägter und in seinem Bewusstsein grundlegend veränderter Taucher ein zweites Mal in die Tiefe - mit den entsprechenden Konsequenzen. Ohne einen machvoll verändernden Einfluss auf das Bewusstsein der Mörder des Ibykus bliebe das Verbrechen an ihm ungesühnt.
Den Kranichen des Ibykus liegt ein detektivisches Schema zugrunde; denn die Ballade beschreibt die Geschichte der Aufklärung eines Mordes, und die Täter werden am Ende ihres Verbrechens überführt. Die Rolle des Detektivs übernimmt im Medium des Theaters der griechische Mythos: Die Schuldigen werden von den Erynnien, den Rachegöttinnen, ereilt. Die Ballade gibt also im Sinne Schillers ein weiteres Beispiel für die Macht des Gesanges: Die Poesie, hier vertreten vom griechischen Drama, vollzieht die Gerechtigkeit, die zu vollziehen andere Institutionen nicht in der Lage sind. Allerdings ist es nicht die Wirkung des griechischen Dramas allein, die das Schuldbekenntnis der Mörder auslöst. Vielmehr kommen die Kraniche noch hinzu: Das Naturphänomen der Kraniche und der Mythos müssen zusammenwirken, wenn das klassische Ziel, die Durchsetzung wahrer Humanität, erreicht werden soll. [...]
Ein auffälliges Stilmerkmal der Balladen Schillers ist die insistierend ausführliche, häufig Einzelheiten summierende Beschreibung der jeweils äußeren Umstände, gleichsam der Kulissen, vor denen sich die Handlungen abspielen. Da werden mit geradezu zoologischer Präzision die bedrohlichen Tiere der Meerestiefe aufgezählt (Der Taucher), da treten in sorgfältiger Reihung »der Griechen Stämme« namentlich auf (Die Kraniche des Ibykus), und da werden gleich mehrere Strophen darauf verwandt, die Folgen des Unwetters zu beschreiben, mit denen Damon zu kämpfen hat (Die Bürgschaft). Hier werden aber auch wirkende Kräfte sichtbar: Schon die Kulisse der »froh vereinten« Griechen isoliert die Mörder, die unter ihnen sind; die Gegenwart der Meeresungeheuer macht das ganze Ausmaß der Gefährdung sichtbar, dessen Erfahrung den jungen Edelknaben eigentlich neuen Versuchungen gegenüber hätte immun machen müssen; und vor dem Hintergrund der in Auflösung befindlichen Natur erst erscheint die unwandelbare Treue des Damon in ihrer ganzen Größe. Schillers Balladen sind Werke von hoher und durchschaubarer Künstlichkeit; ihr Kunstcharakter wird dem Leser geradezu demonstrativ und effektvoll vorgeführt.

(aus: Wulf Segebrecht 1983, S.217f., gekürzt; )
 

 
   Arbeitsanregungen:
  1. Arbeiten Sie heraus, wie und mit welchen Mitteln die Balladen Schillers das literarische Konzept der Weimarer Klassik umsetzen.

  2. Welche Merkmale hat die Balladendichtung Schillers?

 →Operatorenkatalog des Landes Baden-Württemberg)

 
             
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