In ▪
epischen
Texten wird im Rahmen der ▪
Zeichensetzung bei
der
wörtlichen Rede (direkten Rede) von der Markierung durch ▪
Anführungszeichen
als Wiedergabeindizes sehr häufig Gebrauch gemacht.
Damit wird die direkte Rede von anderen ▪
Darbietungsformen wie dem
▪
Erzählerbericht, der
▪
indirekten Rede,
der ▪ erlebten Rede,
dem ▪ inneren
Monolog oder dem ▪
Bewusstseinsstrom deutlich abgehoben.
Aber es kommt in Erzähltexten auch vor, dass auf die ▪
Anführungszeichen verzichtet
wird. Dann kommen aber
meistens andere Wiedergabeindizes zum Einsatz.
1) Einrückungen
und Markierung mit Spiegelstrichen
Oft werden die Äußerungen
samt ihrer übergeordneten Sätzen eingerückt und die Sprecherwechsel
mt Spiegelstrichen signalisiert.
Beispiel 1:
Jens Ludwig
verfährt in seiner Kurzgeschichte "Vor dem Finale"
in dieser Weise (Auszug):
-
Es ist nichts, nein, nichts. Dieser Blick.
Sie nahm ihn mit, als sie von der Diele in die Küche wechselte. Jetzt gab es
kein Zurück. Wie immer eine kurze Pause, dann ging er ihr hinterher.
- Nein, ehrlich, was soll denn sein?
- Ach, nichts.
- Also doch.
- Also was?
Das Geschirr schepperte in den Geschirrspüler. Er griff nach einem Topf,
bugsierte ihn an ihr vorbei in die Spüle. So.
- Ich sage doch, es ist nichts.
- So? [...]
2) Sprecherangabe
ohne weitere syntaktische Einbettung vor der Äußerung
Ebenso kommt es vor,
dass - wie in
dramatischen Texten - einfach der Sprecher ohne weitere
syntaktische Einbettung vor die Äußerung gesetzt wird.
Beispiel 2:
In ihrer Erzählung »Trinidad«
(1994) lässt »Doris Dörrie
(* 26. Mai 1955 in Hannover) den Erzähler in einer
▪
szenischen Darstellung den nachfolgenden Dialog erzählen:
[...]
Sie: Meinst du, ich weiß nicht,
warum du dauernd diese Musik hörst, warum du von Trinidad schwärmst, als sei
es das Paradies auf Erden?
Er: Es ist das Paradies auf
Erden.
Sie: Ach, Scheiße. Und fass mich
nicht an.
Er: Heißt das, du verlangst von
mir ...
Sie: Genau.
Er: Du bist doch verrückt.
Sie: Ach ja?
Er: Woher nimmst du das?
Sie: Ich sehe es dir an.
Er: Gut. Ich war glücklich da.
Ja.
Sie: Ohne uns.
Er: Ja.
Sie: Warum?
Er: Die Menschen sind anders.
Sie: Die Frauen, meinst du.
Er: Auch die Frauen.
Sie: Wie?
Er: Das willst du doch gar nicht
wissen.
Sie: Doch.
Er: Wenn ich es dir sage, drehst
du durch, das weiß ich doch.
Sie: Tue ich nicht.
Er: Tust du doch.
Sie: Sag es mir.
Er: Was?
Sie: Was so toll ist an den
Frauen in Trinidad.
Er: O Gott.
Sie: Was?
Er: Sie führen keine Gespräche
wie dieses.
[...]
(aus: Doris Dörrie, Trinidad, in:
diess., Bin ich schön? Erzählungen, Zürich: Diogenes Verlag 1995, S.36f.)
3) Sprecherangabe
und Sprecherwechsel durch einen jeweils neuen Absatz
Oft wird in modernen literarischen Texten auf jegliche Markierung
▪ wörtlicher Rede
mit Satzzeichen oder sonstigen Zeichen- und
Absatzattributen (z. B.
▪
Schriftschnitt) selbst
verzichtet. Stattdessen wird der Sprecher, um Missverständnisse zu
vermeiden, immer wieder im Erzählerbericht angegeben und nur bei
einer eindeutigen Wechselrede wird auch darauf verzichtet. In
solchen Fällen wird der Sprecherwechsel allerdings meistens durch
einen jeweils neuen Absatz signalisiert.
Beispiel 3:
In ▪ Wolfgang
Borcherts
Kurzgeschichte
▪ "Nachts
schlafen die Ratten doch" wird in dieser Weise verfahren
(Auszug):
[...]
Ja, antwortete Jürgen
mutig und hielt den Stock fest.
Worauf passt du denn auf?
Das kann ich nicht sagen.
Er hielt die Hände fest um den Stock.
Wohl auf Geld, was? Der
Mann setzte den Korb ab und wischte das Messer an seinem Hosenboden hin
und her.
Nein, auf Geld überhaupt
nicht, sagte Jürgen verächtlich. Auf etwas ganz anderes.
Na, was denn?
Ich kann es nicht sagen.
Was anderes eben.
Na, denn nicht. Dann sage
ich dir natürlich auch nicht, was ich hier im Korb habe. Der Mann stieß
mit dem Fuß an den Korb und klappte das Messer zu.
Pah, kann mir denken, was
in dem Korb ist, meinte Jürgen geringschätzig, Kaninchenfutter. [...]
4) Verzicht auf
Wiedergabeindizes im Interesse eines nahtlosen Übergangs zwischen
Gesprochenem und Gedachten im Rahmen der zugrunde gelegten Erzählperspektive
Oft wird in modernen literarischen Texten auf jegliche Markierung
▪ wörtlicher Rede
mit Satzzeichen oder sonstigen Zeichen- und
Absatzattributen (z. B.
▪
Schriftschnitt) selbst
▪ in erweiterten Gesamtsätzen
verzichtet.
-
Damit wird die
wörtliche Rede so in den Erzählerbericht eingebettet, dass der
Verzicht auf Anführungszeichen auch wichtige Lesehilfen
beseitigt.
-
Natürlich wird
dadurch auch die Lesefreundlichkeit herabgesetzt, indem die mit
Wiedergabeindizes ermöglichte Abgrenzung von wörtlichen
Äußerungen gegenüber anderen Äußerungen erschwert wird.
Beispiel 4:
In seiner
Kurzgeschichte
▪
"Neapel sehen"
hat
▪
Kurt Marti
die
wörtliche Rede nicht durch die grammatisch geforderten Zeichen
markiert. So verfährt er auch im folgenden Ausschnitt:
Er lag im Bett und blickte zum
Fenster hinaus. Er sah sein Gärtchen. Er sah den Abschluss
des Gärtchens, die Bretterwand. Weiter sah er nicht. Die
Fabrik sah er nicht, nur den Frühling im Gärtchen und eine
Wand aus gebeizten Brettern. Bald kannst du wieder hinaus,
sagte die Frau, es steht alles in Blust*. Er glaubte ihr
nicht. Geduld, nur Geduld, sagte der Arzt, das kommt schon
wieder. Er glaubte ihm nicht. Es ist ein Elend, sagte er
nach drei Wochen zu seiner Frau, ich sehe immer das
Gärtchen, sonst nichts, nur das Gärtchen, das ist mir zu
langweilig, immer dasselbe Gärtchen, nehmt doch einmal zwei
Bretter aus der verdammten Wand, damit ich was anderes sehe.
Die Frau erschrak. Sie lief zum Nachbarn. Der Nachbar kam
und löste zwei Bretter aus der Wand. Der Kranke sah durch
die Lücke hindurch, sah einen Teil der Fabrik. Nach einer
Woche beklagte er sich, ich sehe immer das gleiche Stück
Fabrik, das lenkt mich zu wenig ab. Der Nachbar kam und
legte die Bretterwand zu Hälfte nieder. Zärtlich ruhte der
Blick des Kranken auf seiner Fabrik, verfolgte das Spiel des
Rauches über dem Schlot, das Ein und Aus der Autos im Hof,
das Ein des Menschenstromes am Morgen, das Aus am Abend.
Nach vierzehn Tagen befahl er, die stehengebliebene Hälfte
der Wand zu entfernen. Ich sehe unsere Büros nie und auch
die Kantine nicht, beklagte er sich.
Ein so gestalteter Text
gewinnt u. U. auch mit seiner ▪Schriftgestaltung
insgesamt einen anderen
▪
Schriftcharakter und u. U. auch eine andere Art der
▪
Anmutung,
denn in jedem Falle wird der Fließtextcharakter des Textes damit betont. Erzähltechnisch
ausgedrückt: die von direkter Rede ausgehende spürbare Unterbrechung des
Erzählflusses (vgl.
Vogt
1990, S.151),
wird damit in gewisser Weise gemindert.
Beispiel 5:
In seinem Roman "Professor der Begierde" (1978, 1998), stellt
der US-amerikanische Schriftsteller »Philip
Roth (geb. 1933) dar, wie der Literaturprofessor David Kepesh, ein Enkel jüdischer Emigranten, als im Grunde einsamer Egomane
von seiner sexuellen Begierde umgetrieben wird und erst zu sich selbst
findet, als er nach seiner Scheidung von Helen Baird, mit der drei Jahre
verheiratet gewesen ist, in der Lehrerin Claire Ovington eine
verständnisvolle Lebensgefährtin findet. In einer Psychotherapie
versucht er mit Hilfe von Dr. Frederick Klinger über seinen Schmerz nach
der Trennung von Helen hinweg- und wieder mit sich ins Reine zu kommen.
(vgl. Dieter
Wunderlich 2005) Während eines Therapiegesprächs wird die
szenische
Darstellung, die nur einmal mit dem
elliptischen "Das Telefon" als
Erzählerbericht
und den Sprechermarkierungen unterbrochen wird, mit
Anführungszeichen strukturiert, die aber - nicht konsequent gesetzt -
das jeweils vom Therapeuten im Raum Gesagte - zwischen Therapie- und
Telefongespräch fast bruchlos ineinandergreifen lässt.
»Warum
erlauben Sie Helen«, fährt Klinger fort, »die sich in ihrem
hektischen Bemühen, die Hohepriesterin des Eros zu sein,
kaputtgemacht hat - und die beinahe auch Sie mit ihren Behauptungen
und Andeutungen kaputtgemacht hat - warum erlauben Sie ausgerechnet
Helen immer noch, mit ihrem Urteil Macht über Sie auszuüben? Wie
lange wollen Sie ihr eigentlich noch gestatten, Sie dort
zurückzuweisen, wo Sie sich am schwächsten fühlen? [...] Was war den
ihr >mutiges< Suchen
...« Das Telefon. »Entschuldigen Sie«, sagt er. Ja, am Apparat. Ja,
nur zu. Hallo ... ja ich kann Sie sehr gut verstehen. Wie ist
Madrid? Was? Nun selbstverständlich ist er misstrauisch, was haben
Sie denn erwartet? Sagen Sie ihm einfach, dass er sich töricht
verhält, und dann vergessen Sie's. Nein, selbstverständlich wollen
Sie keinen Streit vom Zaun brechen. Das verstehe ich. Sagen Sie's
einfach, und dann versuchen Sie, allen Mut zusammenzunehmen. Sie
können sich ihm widersetzen. Gehen Sie zurück auf ihr Zimmer und
sagen Sie es ihm. Aber ich bitte Sie, Sie wissen doch genau, dass
Sie das können. Schön. Viel Glück. Und amüsieren Sie sich gut.
Wiedersehen. - »Was war denn ihre Sucherei anderes«, sagt er, »als
ein Ausweichen? Eine kindische Flucht vor dem, was man im Leben
wirklich schaffen kann?« - »Andererseits«, sage ich, »sind diese
Vorhaben, die man tatsächlich verwirklichen kann, so etwas wie eine
Flucht vor der Suche.« - »Bitte, Sie lesen gern und schreiben gern
über Bücher. Das schafft Ihnen nach eigenen Aussagen enorme
Befriedigung - oder hat es zumindest früher getan und wird es
auch wieder tun, das versichere ich Ihnen. Im Augenblick haben Sie
nur alles bis obenhin satt.[...]«
(aus: Philip Roth, Professor der Begierde 1978, Reinbek bei Hamburg:
Rowohlt, Neuausgabe 2004, S.123f.)