docx-Download -
pdf-Download
Feldpostbrief
von Max Bäßler,
geb. 19.02.1895, gefallen 12.09.1916 an der Somme)
»[...] Der Leutnant war da und gab mir den Auftrag, für eine würdige
Bestattung unserer Gefallenen Sorge zu tragen. Die waren nämlich
inzwischen von anderen Händen eingescharrt worden. Aber wir wussten die
Stellen. Auf dem Rückweg nach dem Nonnenbusch sah ich rechts vom
Laufgraben ein Stückel mit einer Feldpostkarte, auf der stand:
Richtschütze Kurt Limke. Etwas weiter ab erkannte ich an einem kurzen
Pfahl die Namen Beers und Lichtenbergers. Ich veranlasste noch am Abend im
Polygonwald das Nötige und ließ mich für den nächsten Tag vom Regiment
beurlauben. Unser Werk musste unter dem Mantel der Nacht getan werden.
Schon vor 3 Uhr nachts rief Gucks wilde Stimme meinen Namen in den
Unterstand. Draußen stand im tiefen Dunkel eine Schar mit Spaten und
Spitzhacken. Schweigend gingen wir unseren Weg. Draußen trennten wir uns
in kleinen Gruppen. Ich ging mit, Beer zu holen. Wir mussten tiefer
graben, als gedacht. Hässlicher, süßlicher Geruch stieg aus der Erde auf.
Rauchen durften wir nicht wegen des Feindes. Erst fanden wir einen
Infanteristen, der als dritter in dieses Grab gebettet war. Dann hoben wir
den armen Beer heraus. Ihn habe ich mitgetragen, vier Mann blieben da,
Lichtenberger auszugraben.
Wir wickelten unseren Toten in eine Zeltbahn und befestigten Stangen zum
Tragen an der Seite. Langsam ging der Tag mit blassem Rot auf. Ich musste
an das Lied von Hauff denken. Ein Toter, so primitiv gebahrt, hat schon
seine Last, aber am Rande des Nonnebusches wartete ein Wagen. Knoblauch
und Hunger lagen schon darauf. Jener, den Kopf mit dem schönen dunklen
Vollbart im Nacken, sah einem leidenden Christus ähnlich. Dann brachten
sie Lichtenberger, der einzige, der noch wie im Leben aussah, und
Zietschmann mit blutüberströmten Antlitz. Limke war nicht gefunden worden,
sein Grab war leer.
Im Polygonwald, in unserem Lager, hielten wir kurze Rast. Dann gingen wir
über die alte Stellung und den alten Ablösungsweg nach Becelaere. Dort
arbeiteten die Fahrer an den Gräbern, auf einem kleinen Soldatenfriedhof
neben der Kirche. Wir holten große Glasurziegel vom Dache eines
Gartenhauses zum Einfassen der Gräber und brachen blühende Flieder und
gelbe und rote Zweige zum Schmücken. Dann vertieften wir die Gräber noch
genügend. Inzwischen hatten sich alle eingefunden, die bei diesem letzten
Ehrenakt dabei sein wollten.
Wir senkten die Kameraden in die Erde. Ein 248er Fahrer, Bruder vom Rauhen
Haus in Hamburg, sprach herzliche Worte. Der Flieder duftete, die Zweige
glänzten auf den frischen Schollen, aber ungeduldig bröckelte die Erde
nach. In den Augen des alten Böhne standen ein paar große Tränen. Dann
warfen wir die die Blüten und Blätter auf die Toten und begannen, die
Gräber zuzuschaufeln. Der letzte Dienst, den ich meinem lieben Rudolf tun
konnte, war, dass ich ein blaues Käferchen von seiner kalten Wange strich.
Als ich ihn am Morgen zum ersten Mal im Tode gesehen hatte, hätte ich ihn
beneiden können um seine Empfindungslosigkeit; aber als ich jetzt sah, wie
die Regenwürmer und anderes Getier mit verschüttet wurden und das letzte
Endchen Zeltbahn verschwand, freute ich mich doch, dass mir die Maisonne
so schön schien und mir der Flieder duftend blühte.«
(aus: Witkop, Erich (1933): Kriegsbriefe gefallener Studenten. München
1933, S. 205 f., zit. n.:
http://users.telenet.be/aok4/briefe/baessler.htm , 15.01.07)
docx-Download -
pdf-Download
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
09.10.2023