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In der wissenschaftlichen Literatur gibt es verschiedene Thesen zur
Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. In einer kurzen
Zusammenfassung werden sie hier dargestellt.
- Der Begriff "Machtergreifung" beschreibt die
tatsächlichen intrigenhaften Vorgänge bei der Machtübertragung an
Hitler nicht richtig. "Machtergreifung" ist ein
nationalsozialistischer Propagandabegriff. Eigentlich waren sogar die
Personen und Kräfte, die Hitlers Ernennung zum Reichskanzler
betrieben haben, daran interessiert, Hitlers politischen
Vormachtsanspruch einzudämmen.
- Die meisten Zeitgenossen haben in der Bildung der Regierung unter
Hitler, der sog. "Regierung der nationalen Konzentration"
keinen maßgeblichen Einschnitt (Zäsur) im politischen Geschehen der
Weimarer Republik gesehen. Nicht selten wurde der ganze Vorgang
heruntergespielt und viele sahen in der Regierung Hitlers eine legale
Fortsetzung der Präsidialregierungen Brüning, Schleicher und von
Papen.
- Die These, wonach die Machtübernahme der Nationalsozialisten legal
gewesen sei, ist mehr als fragwürdig. Denn die Präsidialdiktaturen,
die ihr vorangegangen waren und Papens Staatsstreich zur Absetzung der
SPD-Regierung in Preußen waren eigentlich schon klar über die
Weimarer Reichsverfassung hinausgegangen.
- Wer den Machtantritt Hitlers am 30. Januar 1933 erklären will,
darf nicht nur auf die Verfassungskrise der Weimarer Republik,
die katastrophalen Folgen der Wirtschaftskrise mit der riesigen
Arbeitslosigkeit oder die raffinierte nationalsozialistische Technik
der Massenmobilisierung schauen. Ebenso wichtig war der Gesamtzustand
der politischen Kultur in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg, die
Unfähigkeit zum Kompromiss, das Verharren vieler Menschen in
autoritären, obrigkeitsstaatlichen Einstellungen und Haltungen, die
allmähliche Gewöhnung an Verfassungsbruch und das Überschreiten
demokratischer Spielregeln, das Akzeptieren von Gewalt als Mittel der
politischen Auseinandersetzung.
- Die Weimarer Republik hat sich am 30. Januar 1933 nicht selbst
aufgeben. Ihr Scheitern ist vielmehr eine Folge rechtskonservativer
Aushöhlung der Weimarer Republik gewesen.
- Ohne die Unterstützung von Teilen der Groß- und Schwerindustrie wäre
Hitler nicht so leicht an die Macht gekommen. Die Großindustrie ist für
den Erfolg der NSDAP mitverantwortlich, weil sie die NSDAP großzügig
finanziert und mit ihrer Intervention beim Reichspräsidenten die
Ernennung Hitlers durch Hindenburg maßgeblich mitbestimmt hat. Darüber
hinaus hat die Großindustrie aber auch immer wieder versucht, die SPD
und die Gewerkschaften politisch zu schwächen und auszuschalten. Dass
sie ferner immer beabsichtigte, Sozialleistungen abzubauen, hat die
Machtübernahme Hitlers zwar nur indirekt, aber doch nicht unwesentlich
gefördert.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
29.09.2013
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