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Gustav Stresemann an den Kronprinzen,
Sept. 1925
("Kronprinzenbrief")
Eurer Kaiserlichen Hoheit bitte ich verbindlichsten Dank aussprechen zu
dürfen für die Darlegungen Ihres Briefes vom 28. August. Ich freue mich,
dass das kleine Büchlein, über das ich mit Eurer Kaiserlichen Hoheit
gesprochen habe, Ihr Interesse gefunden hat. Gestatten Sie mir Ihnen
gleichzeitig von Berlin aus eine Zeitschrift übersenden zu dürfen, in
der Dr. Hans Schumann Darlegungen über den Sicherheits-Pakt
veröffentlicht hat, die zum großen Teil den Fragenkomplex berühren, der
in Ihrem Schreiben aufgeworfen ist. Darlegungen, die aufgrund
eingehender Besprechungen mit mir herrühren und insoweit meine eigenen
Ansichten wiedergeben.
Zu der Frage des Eintritts in den Völkerbund möchte ich folgendes
bemerken:
Die deutsche Außenpolitik hat nach meiner Auffassung für die nächste
absehbare Zeit drei große Aufgaben.
Einmal die Lösung der Reparationsfrage in einem für Deutschland
erträglichen Sinne und die Sicherung des Friedens, die die Voraussetzung
für eine Wiedererstarkung Deutschlands ist.
Zweitens rechne ich dazu den Schutz der Auslandsdeutschen, jener 10-12
Millionen Stammesgenossen, die jetzt unter fremdem Joch in fremden
Ländern leben.
Die dritte große Aufgabe ist die Korrektur der Ostgrenzen: die
Wiedergewinnung von Danzig, vom polnischen Korridor und eine Korrektur
der Grenze in Oberschlesien.
Im Hintergrund steht der Anschluss von Deutsch-Oesterreich, obwohl ich
mir sehr klar darüber bin, dass dieser Anschluss nicht nur Vorteile für
Deutschland bringt, sondern das Problem des Deutschen Reichs sehr
kompliziert (Verstärkung des katholischen Einflusses. Bayern plus
Österreich gegen Preußen, Vorherrschen der klerikalen und
sozialistischen Parteien in Deutsch-Österreich).
Wollen wir diese Ziele erreichen, so müssen wir uns aber auch auf diese
Aufgaben konzentrieren. Daher der Sicherheitspakt, der uns einmal den
Frieden garantieren und England sowie, wenn Mussolini mitmacht, Italien
als Garanten der deutschen Westgrenze festlegen soll. Der
Sicherheitspakt birgt andererseits in sich den Verzicht auf eine
kriegerische Auseinandersetzung mit Frankreich wegen der Rückgewinnung
Elsass-Lothringens, ein deutscher Verzicht, der aber insoweit nur
theoretischen Charakter hat, als keine Möglichkeit eines Krieges gegen
Frankreich besteht. Die Reparationslasten, die uns der Dawesplan
auferlegt, werden voraussichtlich schon 1927 untragbar sein. Wir müssen
dann eine neue Konferenz verlangen zur Neufeststellung der deutschen
Leistungsfähigkeit, ein Recht, das uns nach dem Versailler Vertrag
jederzeit zusteht. Bei Vergleichung der 2 1/2 Milliarden, die wir als
Maximalsumme zu zahlen haben (m. E. können wir nicht mehr als 1,75
Milliarden bezahlen) mit den durchschnittlich über 4 Milliarden an
Verzinsung ihrer Kriegsschuld. die die Gegenseite zu zahlen hat, müssen
wir bedenken, dass die Gegner steuerlich mindestens ebenso belastet sind
wie wir.
Die Sorge für die Auslandsdeutschen spricht für den Eintritt in den
Völkerbund. Ich darf auf die Ausführungen von Krammarsch hinweisen, die
in der oben erwähnten Zeitschrift wiedergegeben sind. Auch das Saarland,
selbst die am weitesten rechts stehenden Politiker, sind für diesen
Eintritt. Wir werden in Genf der Wortführer der ganzen deutschen
Kulturgemeinschaft sein, weil das gesamte Deutschland in uns seinen Hort
und Schild sehen wird. Die Bedenken, dass wir im Völkerbund überstimmt
werden, gehen von der falschen Voraussetzung aus, dass es in diesem
Völkerbundsrat, der die Entscheidung hat, eine Überstimmung gibt. Die
Beschlüsse des Völkerbundsrats müssen einstimmig gefasst werden.
Deutschlands ewiger Sitz im Völkerbundsrat ist ihm zugesichert. Wenn wir
jetzt im Völkerbundsrat wären, würde Polen in Danzig in der Frage der
Post nicht durchkommen, weil der Einspruch des deutschen Vertreters
genügen würde, um diesen Anspruch zurückzuweisen. Polen, die
Tschechoslowakei, Jugoslawien und Rumänien, die sämtlich durch
internationale Verträge gebunden sind, für ihre Minderheiten, d.h.
speziell für die deutschen Minderheiten zu sorgen, werden sich nicht so
sträflich über ihre Verpflichtungen hinwegsetzen können, wenn sie
wissen, dass Deutschland alle diese Verfehlungen vor den Völkerbund
bringen kann. Zudem sind alle die Fragen, die dem deutschen Volk auf dem
Herzen brennen, z.B. Fragen der Kriegsschuld, allgemeine Abrüstung,
Danzig, Saargebiet etc. Angelegenheiten des Völkerbunds, die durch einen
geschickten Redner im Plenum des Völkerbunds zu ebenso vielen
Unannehmlichkeiten für die Entente werden können. Frankreich ist bei dem
Gedanken des Eintritts Deutschlands in den Völkerbund durchaus nicht
entzückt, während England ihn herbeiwünscht, um Frankreichs bisher
überragenden Einfluss in dem Völkerbund entgegentreten zu können.
Die Frage des Optierens zwischen Osten und Westen erfolgt durch unseren
Eintritt in den Völkerbund nicht. Optieren kann man ja übrigens nur,
wenn man eine militärische Macht hinter sich hat. Das fehlt uns leider.
Wir können weder zum Kontinentaldegen für England werden, wie einige
glauben, noch können wir uns auf ein deutsch-russisches Bündnis
einlassen. Ich warne vor einer Utopie, mit dem Bolschewismus zu
kokettieren. Wenn die Russen in Berlin sind, weht zunächst die rote
Fahne vom Schloss und man wird in Russland, wo man die Weltrevolution
wünscht, sehr zufrieden sein, Europa bis zur Elbe bolschewisiert zu
haben und wird das übrige Deutschland den Franzosen zum Fraß geben. Dass
wir im Übrigen durchaus bereit sind, mit dem russischen Staat, an dessen
evolutionäre Entwicklung ich glaube, uns auf anderer Basis zu
verständigen und uns durch unseren Eintritt in den Völkerbund durchaus
nicht nach dem Westen verkaufen, ist eine Tatsache, über die ich E. K. H
gern gelegentlich mündlich Näheres sagen würde Die große Bewegung, die
jetzt durch die Naturvölker geht, die sich gegen die koloniale
Beherrschung großer Völker wendet, wird, glaube ich, durch unseren
Eintritt in den Völkerbund in keiner Weise zum Schaden dieser Völker
beeinflusst. Das Wichtigste ist für die unter 1) berührte Frage der
deutschen Politik das Freiwerden deutschen Landes von fremder Besatzung.
Wir müssen den Würger erst vom Halse haben. Deshalb wird die deutsche
Politik, wie Metternich von Österreich wohl nach 1809 sagte, in dieser
Beziehung zunächst darin bestehen müssen, zu finassieren und den großen
Entscheidungen auszuweichen.
Ich bitte E. K. H., mich auf diese kurzen Andeutungen beschränken zu
dürfen, und darf im Übrigen wohl bitten, diesen Brief selbst - den ich
absichtlich nicht unterzeichne, damit er nicht, auch nur aus Versehen,
in fremde Hände fällt - freundlichst unter dem Gesichtspunkt würdigen zu
wollen, dass ich mir natürlich in allen meinen Äußerungen eine große
Zurückhaltung auferlegen muss. Wollen E. K. H. mir Gelegenheit geben,
über diese Fragen, die demnächst ja zur Entscheidung drängen. in einer
ruhigen Stunde sprechen zu können, so stehe ich gern zur Verfügung.
Eine kleine Schrift,
'Die Sendung des Prinzen Wilhelm' darf ich
gleichfalls von Berlin nach Oels abgehen lassen. Ich bitte, sie
freundlichst unter dem Gesichtspunkt zu prüfen, welcher Mittel sich
einst Stein und Hardenberg bedienen mussten, um den preußischen Staat am
Leben erhalten zu können.
Die freundlichen Grüße E. K. H. bitte ich ehrerbietigst erwidern zu
dürfen.
(QueIle: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes,
Bonn, Nachlass Stresemann, Bd. 29.)
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
07.12.2024