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Otto Wels (SPD): "Wir stehen jetzt am Scheidepunkt ..." 24.11.1925

Außenpolitik der Weimarer Republik

 
GESCHICHTE
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Otto Wels (SPD): "Wir stehen jetzt am Scheidepunkt ..."
zum Locarno-Vertrag, 24.11.1925

[...] Wie man auch zu den Verträgen von Locarno und zu dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund stehen mag, das fühlt ein jeder: wir stehen jetzt am Scheidepunkte der europäischen Politik. Es fragt sich jetzt, ob eine neue Welt. in der der Gedanke des Friedens lebendige Kraft haben soll, das Leben der Völker Europas in Zukunft beherrschen wird. oder ob die Mächte, die, auf Gewalt und kriegerischen Auseinandersetzungen fußend. dem Fortschritt, dem moralischen und materiellen Wiederaufbau den Weg dauernd versperren sollen.
Die ungeheure Wirtschaftskrise, die sich über die ganze Welt erstreckt, zwingt allen Staaten, zwingt allen Bevölkerungsschichten die Erkenntnis auf, dass der Periode des Wiederaufbaus nach den Jahren der kriegerischen Zerstörung die Wege geebnet werden müssen durch ein neues Verhältnis der Staaten Europas zueinander.  [...] Was seit Jahrzehnten in Europa fehlte, das Bedürfnis nach europäischer Solidarität, das ist heute ein sichtbares Bedürfnis aller europäischen Völker geworden.  [...] Es zeigt sich jetzt allerdings mehr denn je die Notwendigkeit, die Allgemeininteressen Europas, die mit den Interessen jedes einzelnen Landes identisch sind, den selbstsüchtigen Interessen von Gruppen. Cliquen und Parteien voranzustellen [...]
Es handelt sich gerade darum, das Bündnissystem der Vorkriegszeit und damit den Gegensatz. der zwischen Alliierten und Deutschland bestand. aus der Welt zu schaffen. Deutschland soll in Zukunft gleichberechtigt neben jenen Mächten stehen, nicht um mit ihnen gegen Russland zu marschieren. sondern um den Völkerbund aufzubauen. der schließlich auch Russland umfassen wird.
Die Fragestellung Völkerbund oder Bündnis mit Sowjetrussland dient nicht der Herbeiführung des Friedens,. sondern diese Fragestellung schließt den Gedanken an eine kommende Auseinandersetzung mit Gewalt in sich. Das Ziel der Politik aber, die nach Locarno geführt hat, ist die Ausschließung des Krieges und die Vorbereitung des Friedens. Deutschland braucht kein Bündnis mehr mit Sowjetrussland. Deutschland und Russland haben den Vertrag von Rapallo. Vor dem Tage von Locarno gelangte der deutsch-russische Handels- und Wirtschaftsvertrag zum Abschluss. Hinter diesem Vertrage steht auf deutscher Seite der Wille. mit Russland in Frieden und Freundschaft zu leben, wirtschaftliche Vorteile aus dieser Verbindung zu ziehen und auch Russland bei seinem wirtschaftlichen Aufbau zu helfen. Unsere Überzeugung ist es, dass Russland nicht dauernd aus der europäischen Wirtschaft und aus seinen Völkerleben ausgeschaltet werden kann ohne schwere Schädigung der übrigen Welt. Darum denkt in ganz Deutschland kein Mensch daran, sich nach dem Westen deshalb zu orientieren. weil er zwischen Deutschland und Russland einen Kordon errichten will. [...]

(H. Michaelis/E. Schraepler (Hrsg.), Ursachen und Folgen. Berlin 1958 ff. Band VI, S.414ff)

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 07.12.2024

    
   Arbeitsanregungen
  1. Welche Positionen vertritt der Verfasser/Redner zum Locarno-Vertrag.

  2. Benutzt er für seine Argumentation historische, wirtschaftliche oder bündnispolitische Argumente?

  3. Vergleichen Sie seine Position mit denen der anderen Parteien.
     

 
 
 

 
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