Die Lehren des Hamburger Aufstandes
1923
»Ernst Thälmann, 23.10.1925[...] Der Hamburger Aufstand entsprang der revolutionären
Situation vom Herbst 1923. Der Herbst 1923 brachte die tiefste, ganz
Deutschland umfassende, alle Schichten und Klassen der Bevölkerung
ergreifende Krise der Bourgeoisie. Der Ententeimperialismus hatte seine
Zerstörungsarbeit vollendet. Der zehn Monate lange Ruhrkrieg war für die
deutsche Bourgeoisie verloren. Die Markwährung, die beim
Regierungsantritt des Reichskanzlers Cuno auf 8000 stand, stieg auf 4,5
und 6 Billionen. Die Arbeiter konnten für ihre Löhne nichts mehr kaufen.
Sogar "die treuesten Diener des Staates", die Beamten, begannen
zu rebellieren. Die Mittelschichten waren ruiniert. Das Gespenst des
Hungers schritt durch Deutschland.[...] Neue Wellen des Klassenkampfes
rollten in ganz Deutschland heran. Die Arbeiter kämpften noch nicht um
die Macht, sondern nur um die dringendsten Tagesforderungen, um die
Beseitigung der brennendsten Not. Der Kampf vollzog sich noch vorwiegend
in "friedlichen" Formen. [...]
Vom Moment des Sturzes der Cuno-Regierung an sprang der Funke des
Bürgerkrieges durch Deutschland. Schon vorher war an der Ruhr, in
Hannover, in Oberschlesien, in Bayern und anderen Teilen Deutschlands
geschossen worden. Jetzt wurde es mit jedem Augenblick klarer, dass eine
friedliche Entscheidung nicht mehr möglich war. Der erbarmungslose
gewaltsame Kampf zwischen Klasse und Klasse wurde unvermeidlich. Aus den
Streiks wurden Zusammenstöße, aus den Kundgebungen wurden blutige
Kleinkämpfe zwischen Arbeitern und Polizei in Dutzenden deutscher
Städte. [...] Eine unmittelbar revolutionäre Situation war
vorhanden. Alle Bedingungen für den Sieg der Arbeiterklasse waren da,
außer einer einzigen: dem Bestehen einer klaren, eisern
zusammengeschlossenen, unauflöslich mit den breitesten Massen verbundenen
kommunistischen Partei, die entschlossen und fähig war, den spontanen
Kampf der Arbeitermassen zu organisieren, ihn zu leiten.
Die Führung unserer Partei versagte in der entscheidenden Stunde. Der
Eintritt führender Kommunisten gemeinsam mit den linken Sozialdemokraten
in die sächsische Regierung war nur dann richtig, wenn dieser Schritt
einem einzigen Ziel diente: der Organisierung der Revolution, der Bewegung
der Massen, der Aufnahme des Kampfes in ganz Deutschland.
Gerade dieses Ziel verlor die damalige Leitung unserer Partei aus den
Augen. Unsere Führer benutzten ihre Stellung in der sächsischen
Regierung nicht zur Entfesselung, sondern zur Vermeidung des Kampfes.
[...] So scheiterte im Herbst 1923 die Revolution am Fehlen einer ihrer
wichtigsten Voraussetzungen: dem Bestehen einer bolschewistischen Partei.
[...]
Der Hamburger Aufstand bildete, wie es in den Thesen der Januar-Exekutive
von 1924 heißt, den "Gegenpol zu Sachsen". [...] Die
Wasserkante hatte die gleiche Entwicklung durchgemacht wie das ganze
übrige Deutschland. Eine Welle von Streiks und Lohnkämpfen jagte durch
das ganze Küstengebiet. Am 20. Oktober fanden in Hamburg mächtige
Arbeitslosendemonstrationen statt. In verschiedenen Stadtteilen kam es zur
Plünderung von Lebensmittelgeschäften und zu blutigen Zusammenstößen
mit der Polizei. Die Bannmeile wurde seit Jahren zum erstenmal mit Gewalt
durchbrochen. Am Dienstag, dem 23. Oktober, in der Frühe, Punkt 5 Uhr
wurden bald in allen Hamburger Außenbezirken die Polizeiwachen von
revolutionären Kampftrupps überfallen, die Polizeibeamten sämtlich
entwaffnet. Alle Vorräte an Waffen und Munition aus den sechsundzwanzig
überrumpelten Polizeiwachen nahmen die revolutionären Kampftrupps mit
sich. Als das Polizeipräsidium seine Überfallkommandos und die von
außerhalb bereits herangeholten Verstärkungen entsandte, waren die
Kampfbezirke in bewaffnete Festungen verwandelt. Hunderte von Arbeitern
und Arbeiterfrauen bauten in den Straßen Barrikaden. [...] Sie standen
drei Tage und drei Nächte. Sie griffen an, sie fielen, sie wichen
zurück, aber sie ergaben sich nicht. Sie retteten die Ehre der
Kommunistischen Partei Deutschlands. Sie waren die Preisfechter der
deutschen Arbeiterklasse. Hamburg wurde geschlagen. Die Barrikadenkämpfer
wurden niedergeworfen.[...] Die proletarische Revolution hat mehr als eine
blutige Niederlage ertragen. Sie ist niemals daran verblutet. Sie ist
stärker, stolzer, entschlossener weitergeschritten. [...] Die Aufstände
des Proletariats sind Etappen auf dem Siegeszuge der Revolution nicht nur
durch ihre unmittelbaren positiven Resultate, sondern vor allem infolge
der großen Lehren, die sie der ganzen Arbeiterklasse einhämmern.
Was sind die wichtigsten Lehren des Hamburger Aufstandes?...]
3. Der Aufstand führte zur Niederlage, weil er isoliert blieb, weil er
nicht in Sachsen und im ganzen Reiche sofort unterstützt wurde. [...]
Gerade darin, in der Organisierung und Zusammenfassung der gesamten
Arbeiterklasse in allen Industriezentren und Großstädten im ganzen
Lande, besteht die Rolle der kommunistischen Partei als Vortrupp des
Proletariats. Gerade darum brauchen wir eine eiserne, völlig
geschlossene, restlos verschmolzene, unbedingt disziplinierte Partei.
4.[...] Unsere Schwäche bestand nur darin, dass wir nicht verstanden,
diese Massen fest um uns zu scharen, sie rechtzeitig in allen Teilkämpfen
zu uns herüberzuziehen, mit ihnen die Einheitsfront gegen die
sozialdemokratischen Führer zu schließen.[...]
9.[...] Die schwerste Lücke in der Hamburger Kampffront war das
Fehlen kommunistischer Betriebszellen. Eine Kämpferschar wie die
Hamburger, die sich auf fest verwurzelte Zellen in allen Betrieben und auf
die Vereinigung der breitesten Arbeitermassen stützt, wird künftig in
einer ähnlichen Situation unbesiegbar sein.[...]
(aus: Die Rote Fahne (Berlin), Nr. 245 vom 23. Oktober
1925, zit. n.: Quelle: Ernst Thälmann - Ausgewählte Reden und Schriften
in zwei Bänden, Bd. I, Frankfurt: Verlag Marxistische Blätter
1976, S. 69 ff.) Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
07.12.2024
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